Hans-Peter Friedrich, Bundesgrenzminister. – In Kumpanei mit Ihrem Amtskollegen in Frankreich haben Sie der EU-Spitze vorgeschlagen, zwischen den europäischen Ländern Grenzkontrollen wieder einzuführen, als »ultima ratio« und zeitlich befristet. Ihre Idee stieß weithin auf Kritik, der »Europagedanke« sei da beschädigt worden, nur um dem französischen Staatspräsidenten für seinen Wahlkampf demagogische Hilfe zu leisten – der nämlich warnt gern vor der »Flut von Flüchtlingen«, die an den nationalen Grenzen abgewehrt werden müsse. Wir vermuten, daß Ihre Kritiker Sie unterschätzen. Lediglich eine Gefälligkeitsgeste, die Sie Sarkozy erweisen wollten? Eher wohl der Versuchsballon für die ernsthafte Absicht, Grenzpfähle wieder zur Hand zu haben, um Europas Reichtumszonen vor Armutsmigranten zu bewahren, durchaus auch solchen aus den niederkonkurrierten Ländern der EU.
Hendrik Lörges, Ministererklärer. – Das Bundesinnenministerium (BMI) gab eine Studie zur »Integrationsbereitschaft« von muslimischen Zuwanderern in der Bundesrepublik in Auftrag; die Bild-Zeitung kam vorab an die Ergebnisse derselben und machte daraus die Schlagzeile: »Junge Muslime verweigern Integration«. Die Verfasser der Untersuchung sahen dadurch ihre Auswertung verfälscht, und Hans-Peter Friedrich erklärte, aus seinem Ministerium sei das Boulevardblatt nicht bedient worden. Nun haben Sie als Sprecher des BMI diese Behauptung dementiert: Die Studie sei der Bild-Zeitung tatsächlich vorzeitig aus dem Ministerium zur Kenntnis gegeben worden, gelogen habe Ihr Minister aber nicht, sondern »in dem Moment offensichtlich von der Weitergabe nichts gewußt«. Wir entnehmen dem, daß Friedrich ein ganz spezielles, ein momentanes Erinnerungsvermögen hat – er weiß etwas, weiß das im nächsten Moment aber nicht mehr, es kann ihm dann in einem anderen Moment wieder einfallen. Nur gut, daß Sie dies klargestellt haben, jetzt wissen wir seine Aussagen im Lichte dieser Auskunft einzuschätzen.
Peer Steinbrück, Vortragsreisender. – Aus den Angaben des Bundestages über die Nebeneinkünfte von Abgeordneten geht hervor, daß Sie in der Zeit Ihres Mandats durch Vortragstätigkeiten außerdienstlicher Art Einkünfte von mindestens 500.000 Euro erzielt haben. Ein nettes Sümmchen, wenn man bedenkt, daß Ihre Arbeitskraft ja gewiß im wesentlichen durch die Aufgaben eines Volksvertreters in Anspruch genommen war. Sie sollten noch einmal überlegen, ob Sie wirklich wieder Bundesminister werden oder gar den Job eines Vizekanzlers mitübernehmen wollen, das könnte zeitweilig zur Einkommensminderung führen. Ihre für unternehmerisches Publikum unterhaltsamen Auftritte könnten Sie dann zwar fortsetzen – aber ohne Honorierung. Ohne zeitnahe jedenfalls.
Thomas de Maizière, CDU-Kriegsminister. – Sie haben vorgeschlagen, einen »Veteranen-Tag« einzuführen, wohl damit die aus Altersgründen nicht mehr für kriegerische »Friedensmissionen«, zum Beispiel am Hindukusch und im Kosovo, brauchbaren Kämpfer ihren Wehrwillen behalten und an ihre Enkel weitergeben und wenigstens an einem Tag offiziell gerühmt werden, tunlichst unter Beteiligung einer Musik- und Fahnenabordnung der Bundeswehr. Unklar ist allerdings, ob auch die in den Genuß der Ehrung kommen sollen, die nicht schießen durften. Davon wären dann aber auch Sie und Ihre Vorgänger, die SPD-Kriegsminister Struck und Scharping, betroffen. Da das nicht sein darf, schlägt Ossietzky Ihnen vor, daß Sie und künftige deutsche Kriegsminister einsatzwütige Politiker und Militärs, also auch sich selbst, am Veteranen-Tag zu Ehren-Veteranen ernennen können. Und auch Zivilisten wie Wolfgang Biermann, die sogar den Krieg öffentlich propagieren und loben. Damit würden Sie für mehr Klarheit sorgen.
Matthias Meisner, Der Tagesspiegel. – In Ihrem Leitartikel mit dem Titel »Das linke Spektrum« nennen Sie den Gedanken an ein mögliches Comeback von Oskar Lafontaine, »dem Holzhammer-Anführer«, »bizarr«. Besorgt über eine drohende Überalterung der Parteiführung geben Sie zu bedenken: »Jetzt schon ist Lafontaine 68, fünf Jahre älter als sein Kompagnon Gregor Gysi.« Wir fürchten, daß es sich hier um eines jener Verhältnisse handelt, die auch eine Linkspartei nicht ändern kann.
Oliver Polak, »Stand-up-Comedian«, taz. – Mit Ihrem Einfall, Günter Grass in blutige SS-Stiefel zu stecken, was Sie offenbar für einen gelungenen Scherz halten, haben sie den absoluten Tiefpunkt des Debatten-Niveaus erreicht. Aber noch ein zweites Bild aus ihrem Text bleibt haften: Ihr Scheitern bei dem Versuch, »den Umriß Israels zu zeichnen«. Das liegt, Ihnen zum Trost gesagt, nicht an mangelnder Begabung, sondern daran, daß die »grüne Grenze«, die den Staat bis 1967 von der Westbank trennte, auf keiner israelischen Landkarte mehr verzeichnet ist. Hier liegt die wahre Ursache, warum es keinen Frieden geben kann. It’s the border, stupid.
Henryk M. Broder, Politclown. – In einem Fernsehinterview haben Sie die rhetorische Frage gestellt, warum alle Welt ständig von Israel redet. Es gäbe doch noch andere Konfliktzonen, zum Beispiel Tibet. Hoffentlich hat Henryk M. Broder die Sendung nicht gesehen. Er würde Ihnen sofort vorwerfen, daß Sie unausgesprochen Tibet mit der okkupierten Westbank und die chinesische Regierung mit der von Netanjahu »vergleichen« – und schon wären auch Sie als potentieller Antisemit entlarvt.
Stephan-Andreas Casdorff, Chefredakteur des Tagesspiegel. – Nach zwei leidenschaftlichen Leitartikeln über Israels Recht zum Präventivschlag und den »Antisemitismus« von Günter Grass geben Sie nun überraschend den Possenreißer. Wie alle anderen kritisieren auch Sie das Einreiseverbot für Grass, krönen Ihren Kommentar aber mit der Überpointe, die israelische Regierung solle Grass einladen, um ihn zu beschämen und eines Besseren zu belehren. Vielleicht sollten Sie eine solche Reise besser selbst unternehmen, um sich durch Augenschein davon zu überzeugen, in welchen Zustand die Regierung Netanjahu »die einzige Demokratie im Nahen Osten« inzwischen gebracht hat. Zum Besichtigungsprogramm gehört allerdings auch die »befreite« Westbank, deren einheimische Bevölkerung seit nunmehr 45 Jahren unter menschenunwürdigen Bedingungen zu leben gezwungen wird. Könnte es sein, daß Ihnen das völlig entgangen ist?
Sigmar Gabriel, francophil. – Im ersten Wahlgang hat Ihr Favorit bei der französischen Präsidentschaftswahl Erfolg gehabt, auf Spiegel online kommentierte Jakob Augstein, daß dies für Sie ein Grund zu heftiger Freude sei und der deutschen Sozialdemokratie die Chance verschaffe, sich gegen Angela Merkels Europapolitik und deren »Sparzwang« zu profilieren. Aber will Ihre Partei dies überhaupt? Mit Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier? Und mit der Perspektive einer Großen Koalition, wenn es für eine Regierung mit den Grünen zusammen nicht reicht, nach der Bundestagswahl? Oder im Bündnis mit den wirtschaftsliberalen Grünen als Partei der zweiten Agenda-»Reform«? Augstein freut sich auf ein »Comeback der Sozialdemokratie« in Europa. Noch steht das Finale in Frankreich aus, aber auch wenn François Hollande Präsident wird – er hat dem Finanzmarkt schon zugesichert, Erschreckendes sei dann aus Paris nicht zu befürchten. Die Superreichen werden um ihr Wohlergehen nicht fürchten müssen, ihr Vermögenspolster reicht, um eine kleine Steuererhöhung zu verkraften. Und mit der deutschen Bundeskanzlerin wird sich auch Hollande arrangieren können. Wir vermuten: Unvorsichtig wäre es, wenn Sie vor dem Bundeskanzleramt rufen würden: »Ich will hier rein.« Eine gesellschaftspolitische Brechstange ist Ihr Freund in Frankreich nicht. Gar nicht so nebenbei: Nachdenklich müßte Sie stimmen, daß es der rechtspopulistischen Kandidatin in Frankreich gelungen ist, in großem Umfange Wähler aus der Arbeiterbevölkerung für sich zu gewinnen, weil diese das Gefühl haben, die »Sozialisten« seien mit den Wirtschaftsherren verbandelt. Protest gegen kapitalistische Verhältnisse also, der von rechts her eingefangen und verdreht wird. Noch ist das kein deutsches Problem. Noch. Mit der Verurteilung des »Extremismus« läßt es sich nicht lösen.