erstellt mit easyCMS
Titel092013

Tabus in der fdGO  (Friedrich Wolff)

In Art. 5, Abs. 1, Satz 2 und 3 Grundgesetz heißt es unmißverständlich: »Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.« Schön, aber Tabus finden statt. Sigmund Freud erklärte: »Die Tabuverbote entbehren jeder Begründung, sie sind unbekannter Herkunft, für uns unverständlich, erscheinen sie jenen selbstverständlich, die unter ihrer Herrschaft leben.« Richtig. Und wo gab es Tabus? Wikipedia weiß es: »Im Ostblock war es bis zu Glasnost, Perestroika und zum Fall des Kommunismus tabu, über Verbrechen der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg und danach zu sprechen und zu schreiben.« Aus der BRD berichtet Wikipedia nur über Tabuthemen von gestern: »Die Darstellung von Homosexualität im deutschen Fernsehen war lange Zeit ein Tabuthema.« Und: »Planung war in der Bundesrepublik bis zur Mitte der 1960er Jahre sowohl aus historischen (Vierjahresplan als Herrschaftsinstrument des NS-Regimes), als auch aus außenpolitischen bzw. innerdeutschen Gründen (Staatswirtschaften in der UdSSR bzw. in der DDR) tabuisiert.«

Über andere Tabus in der freiheitlich demokratischen Grundordnung zu berichten, ist Wikipedia offenbar durch ein Tabu verboten. Da war doch zum Beispiel der Name DDR lange Zeit aus dem Wortschatz der Medien verbannt, es gab nur »Zone« oder »Ostzone« oder »Sowjetzone«. Als die DDR endlich abgeschafft war, ging es weiter: Sie wurde schlicht – als wäre damit alles über sie gesagt – »der Unrechtsstaat« genannt, nahezu einhellig, aber das Ergebnis von mehr als 100.000 staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren war ein Tabu. Nur der anscheinend ahnungslose Berliner Generalstaatsanwalt Christoph Schaefgen berichtet darüber in der Fachzeitschrift Neue Justiz, und zwei Professoren der Humboldt-Universität schrieben es in einem teuren Jurabuch. Im übrigen wurde das Resultat der juristischen Bewältigung der DDR-Vergangenheit nahezu einhellig verschwiegen, denn es war kümmerlich. Es hatte sich herausgestellt, es gab in der DDR keine Folter, keine Einweisung in die Psychiatrie aus politischen Gründen und auch keine Zwangsadoptionen. Ganze 25 »Stasi«-Mitarbeiter wurden nach Angabe des Generalstaatsanwaltes Schaefgen verurteilt, davon einer zu Freiheitsstrafe, 22 zu Bewährung, einer zu Geldstrafe, einer zu Verwarnung. Diese Wahrheit wurde strikt tabuisiert.

Die Liste der gegenwärtigen Tabus ist noch länger und politisch aussagekräftiger. Da ist zum Beispiel das aktuelle Thema der geringen Geburtenzahl. Das gab es auch einmal in der DDR, doch es wurde gelöst. Das Statistische Bundesamt berichtet: »In der ehemaligen DDR gab es wegen der rückläufigen Geburtenentwicklung in den 1970er Jahren umfangreiche staatliche Förderungsmaßnahmen für Familien mit Kindern. Dies führte zunächst zu höheren Geburtenzahlen von Ende der 1970er Jahre bis Mitte der 1980er Jahre.« Welche Förderungsmaßnahmen das waren, wird nicht berichtet, lieber verweist man auf Frankreich. Die DDR-Errungenschaften sind tabu.

Immerhin wird die Tatsache, daß es in der »Ehemaligen« genügend Kinderkrippen und Kindergärten gab, jetzt gelegentlich anerkannt, so in der Berliner Zeitung. Regierungsamtlich scheut man solche Tatsachenfeststellungen. Das DDR-Krebsregister wird jetzt, wo ein solches auch in der BRD eingeführt werden soll, nicht erwähnt. Da muß es doch Erfahrungen gegeben haben, negative und positive. Uninteressant. Die DDR darf nicht in positivem Licht erscheinen. Die DDR war marode, heißt es, sie hatte Schulden. Daß die Schulden pro Kopf der Bevölkerung niedriger waren als in der BRD, kann man nur im Internet erforschen. Wer tut das? Alle sind vom Gegenteil überzeugt: Wie sagte Freud: »... für uns unverständlich, erscheinen sie jenen selbstverständlich, die unter ihrer Herrschaft leben.« Das Recht des Unrechtsstaates verdient gleichfalls keine Erwähnung. Die Sicherungsverwahrung, die von den Nazis in das Recht eingeführt worden war, wurde in der DDR abgeschafft. Sie hätte keinen Ärger mit Straßburg gehabt. Welche Folgen das Fehlen der Sicherungsverwahrung in der DDR hatte, wird nicht berichtet. Wäre es nicht interessant? Und das Zivilrecht der DDR, insbesondere das Erbrecht, wäre es nicht gleichfalls diskussionswürdig?

Abzockerbanken gab es in der DDR nicht. Der Kapitalismus befindet sich jetzt auf der Welt in einer Krise. Die Alternative Sozialismus wird verteufelt oder tabuisiert. Kapitalismus gilt als alternativlos. – Zensur braucht nicht, wer Tabus hat.