Raphael Gross, erleichtert. – Vier Monate nach der Kritik des Tagesspiegels am Umgang des von Ihnen geleiteten Fritz-Bauer-Instituts mit dem Initiator des Auschwitz-Prozesses haben Sie dieses Amt aufgegeben und zum 1. April die Leitung des Simon-Dubnow-Instituts für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig übernommen. Das erspart Ihnen unangenehme Debatten im Stiftungsrat des Fritz-Bauer-Instituts.
Harald Martenstein, Tagesspiegel. – Sie sind imstande, historische, politische und ökonomische Zusammenhänge so einfach darzustellen, daß Ihre Leserinnen und Leser gegen jeden Zweifel immun werden. Aufgrund Ihrer überzeugenden Kommentare weiß man: Die Regierung in Athen ist dumm und unverschämt. Am stärksten hat uns Ihre Geschichte vom braven Klaus und dem bösen Heinz beeindruckt, der keine Dankbarkeit kennt. Immer wieder hilft Klaus ihm, seine Schulden loszuwerden, aber Heinz macht neue Schulden, und als Klaus sich nicht mehr in der Lage sieht zu zahlen, beschimpft Heinz ihn als »Faschisten«. Es ist also fast wie in der europäischen Wirklichkeit – mit dem kleinen Unterschied, daß es Hitler-Deutschland war, das das besetzte Griechenland zur Zahlung einer Anleihe zwang, die bis heute nicht zurückgezahlt ist. Mit viel List und Tücke widersetzte sich die Bundesrepublik Deutschland seit Adenauers Zeiten dem Abschluß eines Friedensvertrags – mit US-amerikanischer Unterstützung, weil die Deutschen als Verbündete gebraucht wurden. Wenn Sie solche Details erwähnt hätten, wäre Ihre schöne Geschichte von Klaus und Heinz freilich etwas weniger überzeugend ausgegangen.
Joachim Gauck, Erinnerungspolitiker. – Am 6. Mai sprechen Sie auf dem Friedhof des ehemaligen STALAG 326 in Stukenbrock-Senne, des größten Lagers für Kriegsgefangene aus der Sowjetunion im damaligen »Reichsgebiet«. An die 50.000 Insassen sind dort durch Hungerrationen und elende Unterbringung zu Tode gebracht worden. Um das Gedenken daran kümmert sich seit Beginn der 1960er Jahre der Arbeitskreis »Blumen für Stukenbrock«, zunächst diffamiert, weil Kommunisten darin mitwirkten, dann zeitweise, als in der Altbundesrepublik regierungspolitisch »Wandel durch Annäherung« angezielt war, staatsoffiziell hofiert, inzwischen wieder in die Ecke gestellt; mit Rußland verbindet sich jetzt ja das im Westen vorherrschende Feindbild. Es gibt seit einiger Zeit eine kleine Dokumentationsstelle in Stukenbrock-Senne, mit einer halben Stelle aus Landesmitteln bezahlt. Der Trägerverein ist in seinen Möglichkeiten äußerst beschränkt. Bund und Land lassen, ganz im Unterschied zu anderen Gedenkorten, die Erinnerung an das STALAG 326 verkümmern. Warum? Weil hier in Massen Soldaten der Roten Armee verreckt sind? Ihr Besuch in Stukenbrock-Senne ist als kleine kompensierende staatsmännische Geste zu verstehen, nach Moskau zum 9. Mai mochten Sie nicht fahren. Soll es dabei bleiben? Immerhin könnten Sie Bund und Land anmahnen, das STALAG 326 aus der Vergessenheit zu holen. Dadurch als Putin-Versteher in Verruf zu kommen, haben Sie doch beileibe nicht zu befürchten. Die Verantwortung für das Lager in Stukenbrock-Senne lag beim Oberkommando der Wehrmacht. Daß Sie daran erinnern, erwarten wir nicht.