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Titel916

Die deutschen Zensoren – Dummköpfe?  (Jochanan Trilse-Finkelstein)

So zu lesen bei Heinrich Heine in seinem Reisebild »Ideen – Das Buch Le Grand«, Kapitel XII, was eigentlich kein Reisebild, sondern Liebeserklärung und Kampfschrift, im Grunde ein glanzvoller Essai ist: Liebeserklärung an eine junge Frau, von der auch Heines Biograf nicht genau weiß, wer diese ist oder war, und an Napoleon I., den der Dichter zunächst fast lebenslang verehrt und ihm mehrmals literarische Denkmale gesetzt hatte, nicht ohne kritische Sichten: Unbedingt habe er ihn nur bis zum 18. Brumaire geliebt. Heine hatte gewusst, was Zensur war, sogar wie ihre Arbeit auf dem Papier aussah und dies im obengenannten Kapitel sogar grafisch ausgestellt – eine Seite mit Strichen und eben den vier Wörtern »Die deutschen Zensoren – Dummköpfe?« –, einen lebenslangen Kampf geführt in tapfer-treuem Bündnis mit seinen Verlegern, mit den Cottas in München und Julius Campe in Hamburg, mit den Lévy frères (Verlag Brüder Lévy in Paris) – mit diesen freilich gefahrloser, leichter, den fortgeschritteneren Verhältnissen gemäß.


War Heine auch ein Lieblingsfeind der Zensur, so beileibe nicht der einzige. Und deutsche Herrscher waren nicht die einzigen, welche diese Institutionen lancierte – im eigenen Interesse wiewohl im Interesse von Grundbesitzern, Industriellen (besonders der Waffenproduzenten, wie wir seit antiken Zeiten wissen). Die kulturhistorische Wissenschaft hat sich schon früher mit diesem Thema befasst. Unter anderem Heinrich Hubert Houben – bereits seit 1911 in Einzelstudien (bedeutend die Sammlung der »Gespräche«, 2. Auflage 1948) –, dem Michael Werner 1973 mit »Begegnungen mit Heinrich Heine, Berichte von Zeitgenossen« gefolgt ist. Schon in diesen Sammlungen geht es nicht nur um Heine als Zentralfigur: In diesen Werken wird der gesamte schäbige Apparat mit seinen Instrumenten, vor allem dem Instrument Spitzel durchleuchtet und offengelegt. Besonders ausgeprägt war die Zensur im Nazi-Reich – da war ja fast alles an moderner Literatur verboten, wenn nicht gleich zu Beginn ihrer Herrschaft verbrannt, übriges verbannt und die Schriftsteller gleich mit.


Nun will uns der US-Amerikaner Robert Darnton mit einem zunächst belangvoll erscheinenden Buch »Die Zensoren« darauf aufmerksam machen, dass es zu andern Zeiten und anderswo Gleiches, zumindest Ähnliches gegeben hat – Zensoren. Das Werk trägt den umständlichen Untertitel »Wie staatliche Kontrolle die Literatur beeinflusst hat. Vom vorrevolutionären Frankreich bis zur DDR«. Es ist in drei Teile gegliedert: I. Das Frankreich der Bourbonen – Druckprivileg und Repression; II. Britisch-Indien – Liberalismus und Imperialismus; III. Das kommunistische Ostdeutschland, womit offenbar irreführend die DDR gemeint sein soll.


Es ist ein Buch des Hasses und zugleich der Verlegenheit: Der Verfasser mochte das System der DDR nicht, konnte sich aber den kaum vergleichbaren literarischen Leistungen dieses armen und kleinen, aus der Katastrophe von 1933-45 entstandenen Landes nicht verschließen. Aber es musste der Begriff Zensur daraufgesetzt werden, die es gab. Die bereits im ersten Teil gestellte Frage: Wann und wo gab es sie nicht, so lange es Literatur gab und gibt? Es gab sie immer: im babylonischen, dabei fruchtbaren Gewaltsystem und in der scheinbar so freien antiken griechischen Hochkultur, im auch nicht immer finsteren europäischen Mittelalter und selbst in der so freien Renaissance. Alle Herrschenden gaben ihren großen Autoren neben Geld Grenzen und Hürden – die Autoren benötigten die Gunst von Geldhäusern oder gar von Päpsten. Man befrage mal Goethe, was für Mühen der hatte; Beziehungen über Herrscher bis zum Kaiser in Wien waren oft nötig. Seine Kollegen aus dem Sturm und Drang hatten es noch schwerer; die Aufklärer Frankreichs schafften viel, sogar eine Revolution, doch auch dort: Hürden und Opfer – just davon weiß Darnton zu berichten. Und was für kluge Köpfe waren zwischen Diderot und Voltaire am Werke, Weltliteratur zu schaffen. Und bei Balzac und anderen ging es weiter, in immerhin schon freieren Gesellschaften. Deutschland – ob noch das Heilige Römische Reich Deutscher Nation oder der nachrevolutionäre Deutsche Bund – stand mal wieder armselig nach. Büchner oder gar Heine konnten die traurigsten Lieder singen. Heines klugem Verleger Julius Campe, der so viele Zensoren in deutschen Teillanden aufs Kreuz gelegt hatte, gilt Dank und Ruhm.


Nach 1848/49 ging es gemäßigter zu – auf beiden Seiten, der Literatur wie der Zensur. Die kaiserliche Phase zensurierte auch, doch mit mäßigem Geschick – man denke an Wilhelm II. und seinen lächerlichen Auftritt gegenüber Gerhart Hauptmann. In der Weimarer Republik diktierte der Markt breit und ziemlich fruchtbar. Seine Zeit war kurz, die Nazis verbrannten und verboten. Nach 1945 entwickelte sich Literatur halbwegs prächtig, in Ost und West. Allmählich zeigten sich eigene Gesichter; um auf jeder Seite einige Namen zu nennen: Böll, Grass, Hochhuth, Walser in West, Brecht, Heym und Seghers in Ost (mit dem Gewicht von Nationalliteratur und Exil), dazu Hacks und Heiner Müller in Ost, denen man Prosa-Autoren wie de Bruyn, Strittmatter und Christa Wolf hinzufügen möchte.


Damit sind wir bei Teil III unseres Buches mit dem ominösen Titel »Das kommunistische Ostdeutschland«. Was man von US-Amerikanern so alles lernen kann beziehungsweise soll!? Ein kommunistisches Deutschland – so etwas hat es niemals gegeben. Nur zaghafte Anfänge. Konnte ein kleines junges Gebilde es sich in diesem Weltgefüge leisten, eine offene, auch literarische Opposition zuzulassen? Es hatte sie zugelassen, doch in Maßen. Literatur hat manches bewegt und die Zensur manches verhindert. Ein Bürgerkrieg mit möglichen Weltfolgen konnte, durfte nicht sein; daher auch nur eine vorsichtige bis maßvolle Kritik, in der die Literatur trotz allem große Vorrechte hatte. Und die Autoren viel Ärger. Mit Kampf und auch List der Schriftsteller und Verlage ist dennoch viel erreicht worden – in allen Genres, so unterschiedlich auch immer. Die Prosa hatte es oft schwer, de Bruyn hatte es oft sehr schwer, doch es ist viel von ihm erschienen. Bei andern Gattungen war es ähnlich und anders: Volker Braun war als Lyriker glücklicher, als er es als Dramatiker sein konnte – wie oft musste er umarbeiten!


Überhaupt die Dramatiker: Selbst Brecht hatte freies Glück nicht gleich, so bei seinen Nachkriegsanfängen – immerhin erhielt er ein eigenes Theater, das Theater am Schiffbauerdamm Berlin, Theater seines Durchbruchs, weltbekannt als Berliner Ensemble. Welcher Stückeschreiber nach Shakespeare hatte das schon? Sein Staat war eine Königin! Und heutige dieses Genres – etwa Hacks, Hein, H. Müller? Auch internationale Größen des Genres hatten und haben selten diese Gunst genossen – nach Maßgabe der königlichen Gunst Corneille, Racine, Molière; gelegentlich einer der großen Spanier, kaum einer der großen Russen, nicht mal Gorki, dessen Namen freilich zahlreiche Bühnen tragen.


Doch alle genannten Autoren hatten eben ihre Zensur und oft die Behörde gleich dazu. Hatte Hacks den größeren Ärger in seiner Frühzeit, so Müller vor allem im letzten DDR-Dezennium; dafür wurde er stetig in der BRD aufgeführt und wurde zur zeitweiligen Fernseh-Ikone. Mitunter spielten weniger die »strafbare« Literatur als auch persönliche Beziehungen mit. Und ein wenig Unsinn zur Groteske: Zensurierte Bücher wurden oft eifriger gelesen als die braven. – Nebenbemerkung: Manchmal erscheint Zensur sogar wichtig. Mancher Dreck und Schimpf bliebe uns Lesern erspart, zum Beispiel eine wenngleich kommentierte Edition von Hitlers »Mein Kampf«.


Das von Robert Darnton vorgelegte Buch regt an, genügt freilich den Erwartungen nicht. Drei zusammengewürfelte Aufsätze machen noch kein Buch aus, sondern bilden einen Einband. Bourbonen, Britisch-Indien und DDR bilden keine Einheit – die Umstände und Ursachen sind zu anders.


Zensur hat Literaturen beeinflusst – in jeglicher Richtung. Bleibt das Fazit: Eine Geschichte der Zensur müsste geschrieben werden, Zensur ist Kulturgeschichte. Ein Einzelautor schafft das nicht, das beweist schon der damals so einzigartige Houben, und der blieb wesentlich im nationalen Bereich (Heines wegen musste er sich mit Frankreich auseinandersetzen). Im Zeitalter einer »Globalisierung« kann solch ein Werk nur international geschrieben werden.


Zusammengefasst lässt sich resümieren, und ich tue es am Drama: Wo zwei Verlage (Henschel und Volk und Welt) allein in einer Buchreihe wie der »Internationalen Dramatik« 104 Bände mit circa 600 Titeln aus aller Welt herausgebracht haben, wo Dramen gedruckt worden sind und Theater gespielt worden ist – international anerkannt –, kann Literatur auch unter Zensur und just dieser Zensur nicht nur schlecht gewesen sein. Gleichwohl ist Angst ein schlechter Begleiter. Und die Zensoren in der DDR hatten (in welch politischer Gestalt auch immer) Imprimatur erteilt!

Robert Darnton: »Die Zensoren. Wie staatliche Kontrolle die Literatur beeinflusst hat. Vom vorrevolutionären Frankreich bis zur DDR«, Übersetzung aus dem Englischen von Enrico Heineman, Siedler Verlag, 368 Seiten, 24,99 €