»In Deutschland wächst nur noch der Staat«, bejammerte Springers Welt am 18. April auf ihrer Titelseite die jüngste Konjunkturprognose der Bundesregierung. In der Woche vorher hatte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) abermals die Wachstumsprognose für das laufende Jahr nach unten korrigiert – auf jetzt nur noch 0,5 Prozent. Dies sei, so verweist die Zeitung auf Berechnungen des Bundesfinanzministeriums, im privaten Bereich ein Minusergebnis, weil der sogenannte fiskalische Impuls, also die durch staatliche Ausgaben erzeugten ökonomischen Tätigkeiten, für 0,7 Prozent Wachstum verantwortlich seien. Folglich sei das einzige, was noch zwischen dem Nullwachstum und der Rezession stehe, die Ausgabenpolitik der Bundesregierung und der nachgeordneten staatlichen Ebenen.
Hoffnungen für die hiesigen Unternehmen gebe es angesichts dessen nur noch im fernen Osten – »China wird zum Rettungsanker« heißt es am selben Tag im Wirtschaftsteil. In China nämlich habe die kommunistische Regierung energische Maßnahmen zur Belebung der auch dort schwächelnden Konjunktur ergriffen – unter anderem mit einer Senkung der Mehrwertsteuer von 16 auf jetzt nur noch 13 Prozent zum 1. April.
Die deutsche Regierung vollzieht damit die wachsende Skepsis der deutschen Wirtschaftsinstitute nach, die in ihrem »Gemeinschaftsgutachten« am 4. April ihre früheren optimistischen Wachstumsprognosen – ursprünglich hatten sie von fast zwei Prozent phantasiert – deutlich nach unten korrigiert hatten. Überschrift und Tenor des Gutachtens: »Konjunktur deutlich abgekühlt – Politische Risiken hoch«. Trotzig endet ihre eigene Zusammenfassung der trüben Lage mit dem »Bestätigen« der Prognose für das kommende Jahr: »Das Bruttoinlandsprodukt dürfte im Jahr 2020 um 1,8 Prozent zunehmen.« Wetten auf diese Zahl dürfte keiner der beteiligten Professoren annehmen, denn diese Hoffnung lässt sich aus allem möglichen begründen – aber nicht aus den insgesamt 80-seitigen Gutachten selbst. Zwar würden die USA weiter, wenn auch verlangsamt, positive Zahlen melden, der Aufschwung »im Euroraum ist … dagegen … zum Erliegen gekommen«. Insgesamt habe sich weltweit »generell im Verarbeitenden Gewerbe« die Konjunktur »stark abgekühlt«. Dieses Gewerbe aber ist der Kern der kapitalistischen Wachstumsmaschinerie. Zwar wird beschworen, »die Dienstleistungskonjunktur« sei »nach wie vor intakt«. Aber es ist im Kapitalismus nun einmal so, dass die Wirtschaft nicht wächst, wenn sich alle Beschäftigten gegenseitig gegen Geld die Haare schneiden oder Lebens- gegen Ernährungsberatung tauschen. Der Rezession, die gegenwärtig nur durch staatliche Stabilisatoren abgewendet wird, nähert sich so die deutsche wie die europäische Wirtschaft in Trippelschritten an. Zunehmend werden die unentwegt weiter wachsenden Rüstungsausgaben zum wichtigsten Rettungsanker des »verarbeitenden Gewerbes«.
Zwar herrscht weiter – bis in die sozialdemokratisierte Linke hinein – der Unwillen, der sich abzeichnenden Dauerkrise der auf Tauschwirtschaft beruhenden Produktionsweise ins Auge zu sehen. Aber die Symptome dieser sich als Siechtum ausprägenden finalen Krise nehmen für jeden, der sehen mag, zu: Neben den spürbaren Klimaveränderungen, die letztlich nur Resultat des inneren Zwangs dieses Systems sind, zur Aufrechterhaltung der stetigen Verwandlung von Geld in mehr Geld (G-G‘) immer mehr Naturreichtümer als Waren zu verheizen, lassen nun trotz dieser naturzerfressenden Gier die inneren Wachstumskräfte in allen kapitalistischen Zentren nach. Letztlich ist das Resultat die von marxistischer Seite schon länger angekündigte Hinausdrängung der Ware Arbeitskraft aus dem Produktionsprozess und damit die Untergrabung der eigenen Grundlagen des auf Ausbeutung dieser Ware beruhenden Systems. Zur ökologisch-ökonomischen Krisendynamik kommt – ebenfalls einer bekannten inneren Logik folgend – wie ein dritter grinsender Sensenmann das rasante Wachstum der Rüstungsausgaben hinzu. Die ökonomische Stagnation auf der einen Seite wird so in der perversen Dialektik des warenproduzierenden Systems ergänzt durch das einzige Wachstum, das noch geht: Rüstungswachstum.