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Nordenglischer Frühling  (Joachim Guilliard)

Die Nachricht schlug in London ein wie eine Bombe: George Galloway kehrt ins Parlament zurück. Die britischen Medien waren perplex. Der streitbare linke Glasgower war 2003 wegen seiner Aufforderung an britische Soldaten, den Einsatz im Irak zu verweigern, aus der Labour-Partei geflogen. Nun hat er überraschend Labour zum zweiten Mal ein als sicher geglaubtes Mandat abgenommen – und das mit einer sensationell hohen Mehrheit.

Bei einer Nachwahl im nordenglischen Bradford erhielt er als Kandidat der 2004 gegründeten Antikriegspartei »Respect« 18.341 Stimmen (56 Prozent). Die Labour-Partei, die seit über 40 Jahren den Sitz gewonnen hatte, verlor über 10.000 Stimmen und kam nur noch auf 8.201 (25 Prozent). Auch die Konservativen sackten um knapp 10.000 auf 2.746 Stimmen (8,4 Prozent), und die mitregierenden Liberalen Demokraten landeten unter fünf Prozent. Seine Stimmengewinne sind damit die höchsten in der jüngeren britischen Geschichte und werden nur vom Sieg eines Liberalen bei Nachwahlen 1983 übertroffen. Es war auch das erste Mal seit 1973, daß ein Kandidat, der keiner der drei etablierten Parteien angehört, eine Nachwahl gewann.

Galloway saß bereits von 1987 bis 2010 im britischen Unterhaus, bis 2003 für die Labour-Partei. Nachdem er wegen seiner aktiven Gegnerschaft zum Irakkrieg aus der Partei ausgeschlossen worden war, vertrat er bis 2010 die von ihm 2004 mitgegründete Partei Respect. Schon sein knapper Wahlsieg 2005 im traditionellen Labour-Wahlkreis Bethnal Green & Bow im Osten Londons hatte für Aufsehen gesorgt. Bei den Wahlen 2010 war er jedoch gescheitert.

Den staatstragenden britischen Parteien und Medien ist er seit langem ein Dorn im Auge. Entsprechend wütend waren die Attacken des britischen »Kommentariats«, wie es Patrick Cockburn vom Independent bezeichnet. Das Wirtschaftsblatt The Economist nannte ihn »einen Haßgegner des britischen Establishments«, der seinen Sitz hauptsächlich seiner marktschreierisch herausgestellten Opposition gegen den Afghanistankrieg verdanke. Doch was könnte für britische Politiker relevanter sein, fragt Cockburn, angesichts der 407 in diesem sinnlosen Krieg gefallenen britischen Soldaten.

Galloway war in den 1990er Jahren bereits entschiedener Gegner der Kriege gegen Jugoslawien und den Irak. Er war einer der wenigen britischen Politiker, die das verheerende Irak-Embargo und die Hunderttausende von Opfern, die es forderte, zum Thema machte. Als führendes Mitglied der landesweiten »Stop the War Coalition« engagierte er sich gegen den Afghanistankrieg, den zweiten US-geführten Überfall auf den Irak und letztes Jahr gegen den NATO-Krieg gegen Libyen. Aktuell ist er ein scharfer Kritiker der aggressiven westlichen Interventionspolitik gegen Syrien und den Iran. Ein großes Ärgernis fürs politische Establishment sind auch sein Engagement für die Rechte der Palästinenser und seine wöchentlichen Fernsehsendungen im iranischen Nachrichtensender Press TV, wo er unter anderem in The Real Deal den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad interviewte (im Unterschied zum ZDF auf eine faire Art). In der 45minütigen Talkshow Comment, können Zuschauer zu aktuellen Ereignissen Stellung nehmen. Aber in Großbritannien kann man PressTV seit Januar nicht mehr über Satellit empfangen, da die britische Rundfunkaufsicht die Ausstrahlung des von der staatlichen iranischen Rundfunkgesellschaft IRIB betriebenen Programms sperrte.

Vertreter der etablierten Parteien bemühen sich nun, den Erfolg Galloways als lokalen Ausrutscher hinzustellen, der ohne jede politische Bedeutung für das übrige Land sei. Sie versuchen den großen Stimmengewinn des Schotten vor allem mit dem hohen Anteil von Asiaten und Muslimen in Bradford zu begründen, wo über 40 Prozent der Bevölkerung aus Pakistan, Indien oder Bangladesch stammen. Denn »der beste Weg, die Stimmen von Muslimen zu ergattern, ist bekanntlich der, einen schottischen Katholiken gegen einen Muslim von Labour aufzustellen«, spottete Mark Steel im Independent. Auch Respect-Sprecher weisen daraufhin, daß Labour schließlich nicht zufällig einen pakistanischen Muslim aufgestellt hatte.

Tatsächlich waren es aber sein radikaler Antikriegskurs, seine scharfe Kritik an der unsozialen Sparpolitik, sein Eintreten für sozial oder durch ihre Herkunft Benachteiligte, die Galloway für Wähler aus allen Bevölkerungsgruppen attraktiv machten. Seine langjährige kompromißlose, nicht opportunistische Haltung und seine herzhaften Attacken auf die politischen Führer des Landes kamen vor allem bei vielen jungen Leuten gut an, die ihrerseits auf moderne Weise, zum Beispiel per Facebook, für ihn warben. Auch viele junge Muslime und Musliminnen engagierten sich in ihrem Umfeld für ihn. Galloways Kampagne zeige, so Steel, wie die Bevölkerung und vor allem die Jugend wieder für aktive Politik zu gewinnen ist. »Hauptverantwortlich für Bradfords Niedergang war eine faulige Mischung aus Selbstgefälligkeit, Inkompetenz, Opportunismus und Cliquenherrschaft«, so begründete Galloway im Guardian die Umbruchstimmung. Schon während Labours dreizehn Regierungsjahren war die Stadt völlig heruntergekommen, die Kürzungspolitik der neuen Regierung verschärft das Elend. Die städtischen Schulen rangieren am Ende der landesweiten Bewertungsskala. Die Jugendarbeitslosigkeit hat sich in den letzten drei Jahren verdreifacht und ist nun doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt.

Durch ihre Stimmen für den als aufrechter Kämpfer für Gerechtigkeit und Solidarität wahrgenommen Galloway konnten die Bradforder ihren Zorn auf die leeren Versprechungen der etablierten Parteien und deren asozialen Kurs zum Ausdruck bringen, so die linke Wochenzeitung Socialist. Während der Kandidat der Labour-Partei, Imran Hussain, der den Afghanistankrieg immer noch verteidigt, sich vor öffentlichen Diskussionen mit anderen Kandidaten drückte, drängten sich mehr als 1000 Leute in eine Halle, um dabei zu sein, als Galloway über einen nötigen Wechsel für Bradford sprach.

Das Wahlergebnis entspringe der gleichen allgemeinen Unzufriedenheit mit der Politik der etablierten Parteien, die letzten Sommer die Unruhen in britischen Städten auslöste, so Galloway im Guardian. Mit leichter Ironie bezeichnete er daher seine Wahlkampagne auch als »Nordenglischen Frühling«. Auf den T-Shirts seiner Anhänger stand »Bradford Spring«.