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Titel1214

Für »die May«  (Manfred Wekwerth)

»Die May« – so kennt sie die Welt. Gisela May ist ein Weltstar. Ein Weltstar allerdings nicht für den roten Teppich. Rot ist bei ihr etwas ganz anderes: ihre Haltung zur Welt. Ihre Lieder bewegen nicht nur die Jury, ihre Lieder bewegen die Menschen. Ob sie in winzigen Dörfern singt oder vor den Delegierten der UNO-Vollversammlung: Ihre Lieder verändern die Welt. Sie sind im besten Sinne »eingreifendes Denken«, wie es Brecht wollte. Hanns Eisler hatte sie entdeckt, als er eine Vorstellung am Deutschen Theater sah, wo die May zunächst engagiert war. Als er sie singen hörte, sagte er: »Das ist so politisch, weil es so schön ist.« Dies niederschreibend bemerke ich die große Ungerechtigkeit, die ich – wie es viele tun – Gisela May widerfahren lasse.

Denn sie ist vor allem eine echte, große Komödiantin, und zwar mit viel Humor, Beobachtungsgabe und von erstaunlicher Normalität.

Ich hatte sie am Deutschen Theater als »leichtes Mädchen« gesehen, das in dem sowjetischen Stück »Sturm« die Partei bedrängt, unbedingt in die Partei aufgenommen zu werden. Den sie dort bedrängt, das war Ernst Busch, der Vorsitzende.

Das Feuerwerk, was da auf Busch niederging, überraschte selbst den mit allen Wassern gewaschenen Ernesto, denn eine solche Palette von gekonnter, ordinärer Anmache, die da auf die Partei niedergeht, hatte ich bis dahin auf dem Theater, obwohl es eine winzige Szene war, noch nicht erlebt. Hätte es da noch eines Anstoßes gebraucht, sie ans Berliner Ensemble zu holen?

Ich hatte das große Glück, gleich die erste Rolle am BE mit ihr zu erarbeiten. Es war die Madame Cabet, eine Näherin und Wohnungsvermieterin in Brechts Stück »Die Tage der Commune«. Erstaunlich, wie schnell Gisela in die für sie ungewohnte Spielweise hineinfand. Die Rolle wurde in ihrer ordinären Güte, dem hilfreichen Geschäftssinn, dem Humor à la France eine zentrale Figur der Aufführung. Eine kleine Verschwörung verband uns besonders: Helene Weigel, die Prinzipalin, haßte Verschiebungen von Premierenterminen. Wir waren aber tatsächlich nicht fertig geworden, da wir während der Proben das unfertige Stück zu Ende »dichten« mußten. So verabredeten wir mit Gisela, die hinter der Kulisse eine kleine Leiter besteigen mußte, um an ihr Fenster im ersten Stock zu gelangen, beim »Aufstieg« – zur Generalprobe – eine Stufe zu verfehlen und die kleine Leiter herunterzufallen, allerdings mit lautem Aufschrei. Die Weigel war entsetzt, Gisela humpelte unter Klagen in ihre Garderobe, und die Verschiebung um 14 Tage war gerettet.

Giselas enormen Arbeitseifer konnte ich bewundern, als wir, von der Öffentlichkeit immer wieder verlangt, »Mutter Courage« wieder in den Spielplan aufnahmen. Hier hatte sie zwei schwere Aufgaben: Und zwar von der großen Weigel zu lernen – und gleichzeitig sich von ihren Tönen und Gesten frei zu machen. Großartig meisterte sie den schweykschen Humor, aber auch den entsetzlichen Abstieg. Und das Experiment gelang. Man spricht heute von der Weigel Courage und der May Courage.

Aber wer Gisela nur auf der Bühne erlebt hat, kennt sie immer noch nicht vollständig. Dazu mußte man Gast sein zu Ihren »Festen«, zum Beispiel zu Ihren Geburtstagen. Hier ließ sie es sich nicht nehmen, in bester kabarettistischer Manier jeden einzelnen Gast vorzustellen.
Und so ist wieder ein Geburtstag an der Reihe – und zwar ein runder. Und dieses Mal bin ich es, der hiermit die Conférence hält. Und gleichzeitig möchte ich mich entschuldigen, daß ich hier nur einen kleinen Teil ihres großen, vielfältigen Lebenswerkes genannt habe. Von allen Wünschen, die an diesem Tage zu Dir gehen, hier mein größter: Mach weiter!

Dein Manfred