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Titel1319

Bremer Koalitionsgeschacher, quergedacht  (Rudolph Bauer)

Ob zum Zeitpunkt des Erscheinens der folgenden Überlegungen die Prämisse derselben noch gültig sein wird, ist eine offene Frage, leider aber wahrscheinlich. Die Prämisse lautet: Nach der Bremer Bürgerschaftswahl werden die SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke eine Koalition bilden und im Stadtstaat, dem kleinsten Bundesland der Republik, die Regierung bilden. Den Regierungschef stellen, wie seit 73 Jahren schon, erneut die Sozialdemokraten. CDU, FDP und AfD bleiben, wie bereits vor der Wahl, weiter in der Opposition.

 

Das Zustandekommen der SPD/Grüne/Linke-Koalition wird in der Politik einerseits als linkes Bündnis gefeiert, andererseits als Bürgerschreck beargwöhnt. »Rot-Rot-Grün« beziehungsweise »Rot-Grün-Rot« oder »R2G« – so das von den Medien bedenken- und gedankenlos verbreitete emblematische Firmenschild der Bremer Liaison – könnte richtungweisend sein für die Bildung einer künftigen Bundesregierung in Berlin. Ein linker Ruck wird von den einen erhofft. Vor einem roten Desaster wird auf der anderen Seite gewarnt.

 

Aber worum geht es?

 

These 1: Das Zusammengehen der drei Parteien wird die Hoffnung nicht erfüllen, die aus fortschrittlicher Sicht damit verbunden ist. Von einem linken Bündnis kann nicht die Rede sein. Die SPD ist neoliberal ausgerichtet, nicht links. Das war einmal. Die Grünen waren nie links. Ihr ökologischer Ansatz verkennt die gesellschaftlichen Widersprüche und lenkt ab von den profitwirtschaftlichen Ursachen der Gründe für den Klimawandel. Im doppelbödigen Interesse westlicher Werte befürworten sie Kriege. Ihr angeblicher Internationalismus beschränkt sich auf das Willkommenheißen jener Geflüchteten, die auf dem Weg nach Europa nicht verhungern, in Lagern festgehalten werden oder ertrinken.

 

These 2: Fatal ist die Bereitschaft der Partei Die Linke, dem in der vorausgegangen Legislaturperiode schon bestehenden und bei der Bürgerschaftswahl durch Stimmenverlust abgestraften SPD/Grüne-Bündnis zu einer Regierungsmehrheit zu verhelfen. Die Linke erlaubt der SPD und ihrer Verbindung mit den Grünen ein »Weiter so« wie bisher. Weder zwingt sie die SPD, sich an der Seite der Linken in der Oppositionsrolle zu erneuern. Noch leistet sie einen Beitrag zur Offenlegung der Machtgelüste des bürgerlichen Flügels der Grünen und ihrer notwendigen Entlarvung an der Seite der CDU.

 

These 3: Die Regierungsbeteiligung der Linkspartei als kleinster der Koalitionspartner wird deren sozialistisches Profil auf absehbare Weise noch weiter entschärfen und vernebeln, statt es zu entwickeln und als eine echte politische Alternative deutlich werden zu lassen. Eine durch notwendige Zugeständnisse in der Koalition mit SPD und Grünen verwässerte Programmatik wird Die Linke in den Abwärtsstrudel der SPD mit hineinziehen und ihr schaden. Das trägt bei zur Aufwertung der Grünen einerseits und der AfD zum anderen. Abzuwarten bleibt, ob die CDU, abermals in der Oppositionsrolle, wieder zurückfällt in ihre Rolle der kläffenden Hunde, die nicht beißen.

 

These 4: Die Linkspartei könnte in der Opposition erstarken und zusammen mit sozialen Bewegungen und Gewerkschaften Druck auf eine Regierung aus CDU, Grünen und FDP ausüben. Statt in Regierungskompromisse eingebunden zu sein und politisch gelähmt zu werden, könnte sie bei künftigen Wahlen sogar gegenüber der SPD an Profil und Stimmen gewinnen.

 

These 5: Der auf die Regierung ausgeübte gesellschaftliche Druck durch Die Linke würde verstärkt werden, wenn auch die SPD aus der Oppositionsrolle heraus und an der Seite der Linken wieder mehr zu einer Politik bereit ist, die sich auszeichnet durch die Nähe zu jenen Bevölkerungsgruppen, deren Vertrauen und Zustimmung sie seit Hartz IV immer mehr verspielt hat.

 

These 6: Sozialdemokraten und Linke in der Opposition bilden einen starken antifaschistischen, gegen die AfD in der Opposition agierenden Block. Wenn sich das Oppositionslager jedoch aus CDU und FDP zusammen mit der AfD rekrutiert, kann sich tendenziell ein rechter Block bilden und an politischer Stärke gewinnen. Die Gefahr des Zusammengehens und einer künftigen gemeinsamen Regierung von CDU und Rechten sollte bedacht werden, um nicht einer Entwicklung wie in der Weimarer Republik Vorschub zu leisten.

 

These 7: Eine Regierungskoalition aus CDU und Grünen würde zunächst bedeuten, dass die beiden Parteien den Regierungsauftrag ernst nehmen, der ihnen als Stimmengewinnern der Bremer Bürgerschaftswahl erteilt wurde. Wenn sie dem Auftrag nicht entsprechen, missachten die Grünen den von der Wählerschaft signalisierten Willen zum Wandel. Schädlich für das Vertrauen der Bevölkerung in das politische System ist das Abweichen von der parlamentarisch-demokratischen Gepflogenheit, dass die Partei mit den meisten Wählerstimmen, also die CDU, daraus den Auftrag zur Regierungsbildung ableiten kann. In Gestalt der Bremer SPD erhebt die zweitstärkste Partei den Anspruch auf die Regierungsbildung.

 

These 8: Eine CDU/Grüne-Regierung würde in logischer Weise die bisherige politische Entwicklung beider Parteien (in Bremen und im Bund) fortsetzen. Der Prozess lässt sich als die konservative Etablierung der Grünen und die ökologische Modernisierung der Christdemokraten umschreiben – beides, wohlgemerkt, zwar erkennbar im Interesse kapitalistischer Produktionsverhältnisse (was auch für SPD/Grüne/Linke gilt), aber auch gebunden an deren krisenhaften Niedergang (auf den nur eine linke, das heißt marxistische Partei die angemessene Antwort geben kann).

 

These 9: Und die FDP? Wenn CDU und Grüne in zentralen Fragen der künftigen Regierungspolitik übereinstimmen, bestehen zwei Möglichkeiten: Entweder die Freidemokraten beteiligen sich als kleinster (und entsprechend bescheidener) Partner an den von den Vorstellungen der beiden Großen ausgehandelten Bündnisvereinbarungen. Oder sie verweigern sich – und die beiden Großen haben den Mut zu einer Minderheitsregierung!

 

These 10: Bei einer CDU/Grüne-Minderheitsregierung in Bremen besteht die Chance, dass soziale und Arbeitnehmerthemen aus der Opposition heraus auf die Tagesordnung gebracht werden können. Falls sich CDU und Grüne auf eine soziale Politik mit mehr Gerechtigkeit und Demokratie verständigen würden, können SPD und Linke das bei Abstimmungen als Opposition unterstützen.

 

These 11: Auch auf Bundesebene wäre es wünschenswert, wenn die geschwächte SPD sich in der Opposition von ihrem Abstieg erholt, sich grundsätzlich erneuert, Vertrauen gewinnt und zusammen mit der Partei Die Linke ein sozialistisches Programm entwickelt. Auf dieser Grundlage hätten beide Parteien eine Chance, bei künftigen Bundestagswahlen eine gemeinsame Mehrheit zu erobern. Dagegen ist eine führende Rolle der SPD in Zukunft nicht zu erwarten, wenn sie sich entweder gegen Die Linke (wie in der GroKo) oder mit Hilfe der Grünen und Linken (wie in Bremen absehbar) positioniert.

 

These 12: Die Linke muss sich bei jeder Regierungsbeteiligung die Frage stellen, wer dabei gewinnt: die Parteirepräsentanten (durch persönlichen Machtgewinn) oder diejenigen, welche die Partei repräsentiert (innenpolitisch durch die Beibehaltung und Verbesserung sozialer Standards und demokratischer Rechte sowie außenpolitisch durch die Erhaltung beziehungsweise Wiedergewinnung des Friedens). Nur im Interesse Letzterer – der großen Bevölkerungsmehrheit – ist das Mitregieren legitim.