erstellt mit easyCMS
Titel1411

Der alltägliche Imperialismus  (Eckart Spoo)

Im Sommer 1944 erlebten wir manchmal zwei oder sogar drei Bombennächte nacheinander. Das war nicht auszuhalten. Die Menschen in Tripolis haben jetzt seit mehr als drei Monaten eine Bombennacht nach der anderen erlebt, und die NATO – unsere noble Wertegemeinschaft – hat ihre Angriffe inzwischen auf immer mehr libysche Orte ausgedehnt. Aber wir erfahren fast nichts darüber, wir bleiben ungestört. Es gibt anderes, womit wir uns beschäftigen dürfen. Der Rundfunk Berlin-Brandenburg teilt mir in den Morgennachrichten mit, welche Kirche im Lande Brandenburg zur »Kirche des Monats« bestimmt worden ist. Und die Schlagzeile der Frankfurter Rundschau, die Titelseite beherrschend, ist »Hoffnung für Strauss-Kahn«. Der Bewußtseinsindustrie wird es wenn nötig gelingen, uns noch weitere Monate Gesprächsstoff über den »sozialistischen Politiker« und das Zimmermädchen zu liefern. Die Schlüsselindustrie des Jahrhunderts, wie Hans Magnus Enzensberger sie schon vor bald 50 Jahren genannt hat, wird uns auch weiterhin zuverlässig Tag für Tag mit Lügen bombardieren. Zum Beispiel daß die Arbeitslosigkeit zurückgehe – während immer weniger Menschen Arbeit finden, von der sie leben könnten. Und daß wir, wenn wir uns um Frieden und Gerechtigkeit in Nahost sorgen, Antisemiten seien.

Aber die Lüge kann ihre Macht über uns verlieren, wenn wir uns über die Interessen klar werden, denen sie dient: imperialistische Interessen. Ein alter, erprobter, weltweit verbreiteter wissenschaftlicher Begriff – aber unbeliebt bei allen, die vom Imperialismus profitieren oder zu profitieren hoffen. Ich denke, wir sollten nicht versäumen, ihn in jedem Gespräch, in jeder Rede, in jedem Aufsatz und am besten auch in vielen E-Mails zu verwenden. Eben um Klarheit zu schaffen. Denn der Imperialismus beherrscht uns alle: die Afghanen, die Iraker, die Libyer, die Griechen, die Italiener und auch uns Deutsche. Und überall herrscht er nach der altbekannten, von den alten Römern formulierten Methode: divide et impera. Er teilt den Sudan, er teilt Palästina, er teilt vielleicht auch Libyen, er hat den Balkan in kleine und kleinste Staaten geteilt. Er bringt ethnische und religiöse Gruppen gegeneinander auf, und am liebsten bewaffnet er sie alle gegenseitig, denn nichts bringt mehr Profit als Aufrüstung und Krieg. Und wenn wir uns über »die Griechen« empören, die uns angeblich unseren Wohlstand rauben, oder über »die Muslime«, die uns brave Juden- und Christenmenschen angeblich bedrohen, dann schmunzelt er satt-zufrieden – weil wir uns dann nicht über ihn empören.