Mörder sind erfinderisch. Doch auch wenn sie ihre Bluttat als »gezieltes Töten« umschreiben: Es bleibt Mord. In diese Kategorie gehören auch die jüngsten völkerrechtswidrigen Aktivitäten der USA bei der »Entsorgung« oder »Liquidierung« oder »Beseitigung« unliebsamer Zeitgenossen durch Spezialkommandos (Osama bin Laden) oder die Mord-Versuche mit raketenbestückten Drohnen (Muammar al-Gaddafi). Dieses gezielte Morden in Ländern wie Irak, Afghanistan, Pakistan, Jemen oder jetzt Libyen wird oft damit erklärt oder sogar gerechtfertigt, daß die USA nach dem furchtbaren Anschlag auf die Türme des World Trade Center in New York am 11. September 2001 das Recht hätten, sich in »Selbstverteidigung« mit einem »Krieg gegen den Terror« zur Wehr zu setzen. Aber wie war es denn vor 2001?
Als sich der US-Kongreß 1975 mit den Plänen der US-Präsidenten Eisenhower, Kennedy, Johnson und Nixon (1953 bis 1974) befaßte, durch gezielte Tötungen unliebsame Politiker wie Lumumba (Kongo), Che Guevara und die Gebrüder Castro (Kuba) sowie General Schneider (Chile) oder lästig gewordene Verbündete wie Trujillo (Dominikanische Republik) und Diem (Südvietnam) aus dem Weg zu räumen, nannte man es noch Mord, und die Aufsehen erregenden Untersuchungsergebnisse des Kongresses wurden in einem »Mord-Report« veröffentlicht (s. das im Dezember 2001 unter diesem Titel erschienene Ossietzky-Sonderheft).
Auch gezielte Massenmorde – zumeist an Kommunisten oder solchen, die dazu erklärt und deren Namen auf Todeslisten festgehalten wurden – gehörten laut Kongreßuntersuchungen zum Repertoire von US-Regierungen, so in Indonesien 1965, in Vietnam während der »Operation Phoenix« in den 1960er Jahren sowie in lateinamerikanischen Staaten.
Ein Beispiel dafür ist Guatemala. Der mittelamerikanische Staat war bereits in den 1950er Jahren ein Modellfall für die spätere Terror- und Invasionspolitik der USA gegenüber Kuba. Der bürgerlich-demokratische Politiker Jacobo Arbenz hatte 1950 vor der Wahl versprochen, einen Teil der riesigen Kaffee- und Bananen-Plantagen des US-Konzerns United Fruit Company – später umbenannt in Chiquita Brands International – an arme landlose Bauern zu verteilen.
Arbenz wurde demokratisch mit großer Mehrheit zum Präsidenten gewählt, doch für die US-Regierung war die angekündigte Enteignung von Ländereien – selbst gegen Entschädigung – schon Kommunismus pur. Sie befürchtete, eine solche Politik könnte Nachahmer in Lateinamerika finden.
Washington hatte schon vor der Wahl, wie aus Regierungsdokumenten hervorgeht, mit den Vorbereitungen für einen Staatsstreich in Guatemala begonnen: mit der Ausbildung von Terroristen, mit Waffenlieferungen an Agentengruppen, mit Sabotageaktionen, einem Handelsboykott und auch mit diplomatischem Druck und Psychoterror. Der damalige US-Botschafter in Guatemala und die gesamte diplomatische Vertretung waren tief in den Putsch gegen die Regierung Arbenz verwickelt.
Es gab umfangreiche CIA-Listen von angeblichen Kommunisten und ihren Sympathisanten, die nach einem erfolgreichen Putsch sofort zu verhaften seien. Wörtlich hieß es in einem CIA-Telegramm: »Sie gehören zu denen, die gefährlich sind für unsere Interessen ... Mindestens einsperren und deportieren ...« Das Wort »mindestens« bedeutete: Die Planung gezielter Mordanschläge auf Linke spielte bei den Putsch-Vorbereitungen der USA eine entscheidende Rolle. Bereits drei Monate vor der Wahl lag ein CIA-Dokument mit dem Titel »Mord-Planung Guatemala« vor.
»Mord-Planung« ist auch das Schlüsselwort eines 19 Seiten langen CIA-Dokuments, das der US-Geheimdienst erst nach einem halben Jahrhundert freigab. Dazu gehörte eine Todesliste mit mehr als 1.000 Namen angeblicher Kommunisten. Bis zum US-Putsch in Guatemala im Juni 1954 stellte die CIA weitere Listen zwecks »Auswahl von Personen zur Beseitigung« oder »frühzeitiger Ausrottung« von Anhängern der rechtmäßigen Regierung auf.
Um sicher zu sein, daß die geplanten Morde zur Zufriedenheit der Initiatoren ausgeführt würden, verfaßte die CIA 1953 ein Handbuch für »Assassinations«, also politische Morde, das später vielen Militärdiktaturen in Lateinamerika als Arbeitsmaterial diente. Darin wurden Vorgehensweisen und Instrumente für einen Mord ausführlich und genau beschrieben und empfohlen: »Die einfachsten örtlichen Werkzeuge sind oftmals die effektivsten Mittel für den Mord. Hammer, Axt, Schraubenschlüssel, Schraubenzieher, Feuerhaken, Küchenmesser, Lampenständer oder alles, was hart, schwer und handhabbar ist, wird genügen. Alle improvisierten Waffen haben den wichtigen Vorteil der Verfügbarkeit und offensichtlichen Harmlosigkeit.« Sollte für den Mord eine scharfe, messerähnliche Waffe verwendet werden, dann riet das CIA-Mordhandbuch: »Stichwunden in den Körper sind unzuverlässig, wenn nicht das Herz getroffen wird ...Völlig zuverlässig ist es, das Knochenmark im Halswirbelbereich zu durchtrennen ...«
Besonderen Wert legte die CIA auch auf die Tarnung der Mordanschläge. »Mord-Anweisungen sollten niemals aufgeschrieben oder aufgezeichnet werden«, heißt es im Mord-Handbuch. Man brauche immer die Möglichkeit, glaubhaft zu dementieren. Das bald 60 Jahre alte CIA-Dokument räumt sogar ein, daß politischer Mord moralisch nicht zu rechtfertigen sei. Daher, so der Rat des US-Geheimdienstes, »sollte er von moralisch überempfindlichen Personen nicht versucht werden«.
Am 9. Juli 1954 – nach dem erfolgreichen US-Putsch in Guatemala – konnte das Putschhauptquartier an die CIA-Zentrale in Washington voller Stolz melden: »Es sieht jetzt so aus, daß die gegenwärtige Regierung von Guatemala vollständig von der CIA ... gestaltet worden ist.« Die Politik des gezielten Mordes und Totschlags hatte sich bezahlt gemacht. Auch heute scheinen die Kriegsbrandstifter – nicht nur in Libyen – auf eine ähnliche Mord-Dividende zu hoffen.