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Der Generalsprozeß  (Wolfgang Beutin)

Parallelen zum Weltbühne-Prozeß des Jahres 1931, in dem juristische Vorkämpfer des Nazi-Regimes Carl von Ossietzky zu anderthalb Jahren Haft verurteilten, weil er die Wahrheit über die verfassungs- und völkerrechtliche Aufrüstung veröffentlicht hatte, drängten sich auf, als 1962 der Publizist Lorenz Knorr wegen Beleidigung führender Bundeswehr-Generale vor Gericht stand. Er hatte in einer Rede in Solingen Bundeskanzler Konrad Adenauer vorgeworfen, verurteilte Kriegsverbrecher an die Spitze der Bundeswehr gestellt zu haben. In seinem Schlußplädoyer sagte Knorr: »Ich bin bereit, den Weg zu gehen, den Ossietzky gehen mußte – mit allen Konsequenzen, die damit verbunden sind.« Daß ihm die Haftstrafe erspart blieb und daß die Geldstrafe, zu der ihn die Richter in erster und zweiter Instanz verurteilten, im Revisionsverfahren aufgehoben wurde, ist sicher nicht allein darauf zurückzuführen, daß der Angeklagte bestens informiert und motiviert war. Er hatte auch zwei glänzende Anwälte, Walther Ammann und Heinrich Hannover. Und der Prozeß fand starke Aufmerksamkeit im Ausland; viele Prominente traten für Lorenz Knorr ein.

Der Reichsgerichtsprozeß gegen Ossietzky wurde geheim geführt. Auch im »Generalsprozeß« von 1962 ging es um Wahrheiten, die nicht publik werden sollten. Die Justiz wollte den Angeklagten und seine Verteidiger unter allen Umständen daran hindern, den Wahrheitsbeweis für seine inkriminierten Äußerungen anzutreten. Keinesfalls sollte über Bundeswehr-Generale gesagt werden dürfen, sie seien Massenmörder. Knorr hatte sie nicht ausdrücklich so genannt, aber keinen Zweifel daran gelassen, daß sie nach den vorliegenden Dokumenten persönlich für Massenmord verantwortlich waren. Im Prozeß stellte sich heraus, daß auch unter den Staatsanwälten und Richtern, die sich anheischig machten, über einen Friedenskämpfer zu urteilen, verurteilte Kriegsverbrecher waren.

Knorr selbst berichtet jetzt, fast 50 Jahre später, in einem Buch über den »Generalsprozeß« – eine bewegende Lektüre, die nicht nur die Vor- und Frühgeschichte der Bundesrepublik erhellt, sondern auch die Gegenwart samt Kriegsverbrechen der NATO. Die Rede, für die er sich in drei Instanzen verantworten mußte, hatte er vor der Bundestagswahl 1961 in einer Veranstaltung der Deutschen Friedens-Union gehalten; er war Direktoriumsmitglied der DFU. In der Rede setzte er sich namentlich auseinander mit General Adolf Heusinger (1897–1982), Hauptkriegsverbrecher, Hitlers Operationschef bei den Überfällen auf die Nachbarstaaten Deutschlands, 1957–1961 Generalinspekteur der Bundeswehr, 1961–1963 Vorsitzender des Ständigen Militärausschusses der NATO; General Hermann Foertsch (1900–1976), im 2. Weltkrieg verantwortlich für das Aushungern Leningrads (mindestens 800.000 Tote), 1961–1964 Generalinspekteur der Bundeswehr; General Josef Kammhuber (1896–1986), verantwortlich für völkerrechtswidrige Befehle und auch für einen Luftangriff auf die deutsche Stadt Freiburg im Breisgau, den die Nazi-Propaganda Frankreich anlastete, unter Adenauer Inspekteur der Luftwaffe; Admiral Friedrich Ruge (1894–1985) erteilte unter anderem den Befehl, bei Angriffen deutscher U-Boote auf Geleitzüge auch die unter internationalem Schutz stehenden gekennzeichneten Rettungsschiffe zu versenken, später Inspekteur der Bundesmarine, ab 1967 Professor in Tübingen; General Hans Speidel (1897–1984), des Geiselmords und anderer Kriegsverbrechen überführt, 1957–1963 Befehlshaber der NATO-Landstreitkräfte Mitteleuropa.

Der bis 1962 amtierende, dann nicht mehr zu haltende Bundesminister für Verteidigung, Franz Josef Strauß, erstattete Anzeige gegen den Referenten wegen Beleidigung. Der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer lehnte es ab, aufgrund der Anzeige Anklage zu erheben, ebenso der bayerische Generalstaatsanwalt. Beide begründeten dies mit Hinweis auf die grundgesetzlich verbürgte Meinungsfreiheit und auf die geschichtlichen Tatsachen. In Nordrhein-Westfalen hingegen fand sich die Justiz sogar bereit, Knorr zusätzlich wegen Staatsgefährdung anzuklagen, wovon er aber gleich in erster Instanz freigesprochen wurde. Bertrand Russell unterstützte Knorr mit den Worten: »Es ist eine verkehrte Welt, was da in Westdeutschland geschieht! Jene, die als Kriegsverbrecher verfolgt und bestraft werden müßten, üben militärische Spitzenämter aus – und Sie, der Sie nichts anderes als die Wahrheit offengelegt haben, stehen deshalb vor Gericht! … Sie wurden dadurch international bekannt als ein Vorbild für Zivilcourage und historische Konsequenz!« Die im Generalsprozeß vorgelegten Dokumente gaben den Ausschlag, daß Frankreichs Staatspräsident General de Gaulle, Repräsentant des französischen Widerstands gegen das Nazi-Regime, dem als Oberkommandierender des NATO-Abschnitts Europa-Mitte in Fontainebleau residierenden deutschen General Speidel ein »Quasi-Ultimatum« stellte, binnen 48 Stunden Frankreich zu verlassen. In der NATO-Ratstagung in Ottawa 1963 zitierte der dänische Außenminister Häkkerup aus den Belastungsdokumenten. Nach einer Anhörung eröffnete der Vorsitzende den Generalen Heusinger und Speidel, daß sie ihre Ämter eingebüßt hätten.

Lorenz Knorr, der schon in seiner Jugend am Widerstand gegen Krieg und Faschismus beteiligt war, wird am 18. Juli in ungebrochener Schaffenskraft 90 Jahre alt. Er hat fast 50 Bücher geschrieben und ist trotz schwerer Schicksalsschläge und Behinderungen immer noch als packender, überzeugender Vortragsredner unterwegs. Zu seinem 70. Geburtstag wurde er mit einer Festschrift geehrt. Heinrich Hannovers Beitrag endete mit den Worten: »Es ist an der Zeit, die Weltbrandstifter von heute und morgen zu benennen. Eine richtig verstandene freiheitliche Verfassung gibt uns das Recht dazu, und das Beispiel eines Lorenz Knorr sollte uns den Mut geben, von diesem Recht Gebrauch zu machen.«

Lorenz Knorr: »Generäle vor Gericht. Oder: Darf man Nazi-Militärs als Massenmörder bezeichnen?« PapyRossa Verlag, 288 Seiten (davon 82 Seiten Dokumentenanhang), 16 €