Dass der Schriftsteller und Fotograf Detlef Bluhm damals auf den Auslöser gedrückt und diese Zeitreise ermöglicht hat, sei ein Glücksfall, freute sich Peter Walther vom Brandenburgischen Literaturbüro Potsdam in seiner Laudatio zur Eröffnung der Ausstellung »Leseland im Umbruch« in der Remise des Schlosses Rheinsberg. Die vom Kurt-Tucholsky-Literaturmuseum und dem Brandenburgischen Literaturbüro veranstaltete Exposition mache deutlich, dass »vor allem den Menschen im Osten die Zeit nach 1989 Flexibilität, Pragmatismus, Leistungs- und Wandlungsbereitschaft abverlangt hat« – Eigenschaften, die heute »angesichts verkrusteter Strukturen in Politik und Gesellschaft« wieder besonders nötig seien. Walther fand vor allem den »skurrilen Kontrast zwischen den über Jahrzehnten vernachlässigten Fassaden und der schrillen Farbigkeit der Schaufensterwerbung« auf den Ablichtungen von 60 Buchhandlungen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern bemerkenswert, aufgenommen 1990/91, als der heutige Geschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in Berlin-Brandenburg, Detlef Bluhm, noch als Verlagsvertreter unterwegs war. Alle boten das gleiche Bild, ob es eine der großen, marktbeherrschenden staatlichen Volksbuchhandlungen war oder eine der wenigen privaten oder kirchlichen. Peter Walther stellte fest: »Die Häuser kamen mit dem Tempo nicht mit, in dem die Menschen seinerzeit gezwungen waren, sich an die neuen Verhältnisse anzupassen.« Diese neuen Verhältnisse betrafen bei den staatlichen Buchhandlungen vor allem die Privatisierungen, welche die Treuhandanstalt durchführte. Die privaten und kirchlichen wiederum mussten erst lernen, mit den neuen Marktbedingungen umzugehen, die sowohl den Buchhandel selbst als auch die Eigentumsverhältnisse an Immobilien anbelangten.
Detlef Bluhm lichtete damals 92 Buchhandlungen in 70 Orten ab. Von den 60 in der Remise zu sehenden Buchhandlungen existieren heute noch 22 in anderen Gebäuden und nur zwölf am ursprünglichen Standort, wusste er bei der Führung durch seine Ausstellung zu berichten. »Bei der Privatisierung sollten die Buchhandlungen an die Leute gehen, die dort gearbeitet haben, aber das Geld, das an die Treuhand gezahlt werden musste, war nicht wenig, wenngleich weniger als es im Westen des Landes gewesen wäre.« Zehn- bis zwanzigtausend D-Mark wurden im Schnitt als Kaufpreis fällig. Als Beispiel nannte Detlef Bluhm die ehemalige Volksbuchhandlung »Ulrich von Hutten« in Frankfurt an der Oder, die eine der größten in Brandenburg war. Es gibt sie zwar noch an gleicher Stelle, »sie ging aber vorübergehend an Kiepert, weil die Mitarbeiter den großen Kredit nicht übernehmen wollten«. Nur bei elf Buchhandlungen hatten zumeist die Leiterinnen der Filialen des Volksbuchhandels das Risiko übernommen und das Geschäft erfolgreich fortgeführt.
Zu den Risiken kam das veränderte Kaufverhalten. Der Fotograf schrieb in der Bildliste zu Niemegk: »Diese Buchhandlung schloss am Ende des Tages, an dem ich sie im Sommer 1990 erstmals besuchte, für immer. Dem Inhaber gehörte auch das Haus, und er meinte, dass sich die Buchhandlung in den neuen Zeiten nicht rentieren würde.« Peter Walther weiß, warum: »Das einstige Leseland war zu großen Teilen auf riesigen Halden entsorgt worden. Zu den Bestsellern jener Zeit gehörte noch über Jahre das Buch ›Tausend legale Steuertricks‹.« Das Reise- und Ratgebersegment stand im Vordergrund. Die Kunden hätten vor allem Stadtpläne und Reiseführer von Berlin und Brandenburg gewollt, ergänzte der einstige Vertreter durchaus verständnisvoll. Zu den Schwierigkeiten habe auch gehört, dass unseriöse Verlagsvertreter den Buchhändlern »Westbücher aus den 60er, 70er Jahren, also Ramsch-Ware, aufgeschwatzt und teuer verkauft haben«.
Detlef Bluhm verschwieg nicht, dass es kurz nach 1989 in dem Gebiet, das er bereiste, auch Neugründungen von Buchhandlungen gab. Dazu gehörte die von Bestensee, die jedoch nicht lange überlebte. Ganz verschwunden sind insgesamt 37 Volks-, Kreis- und Stadtbuchhandlungen sowie private Buchhandlungen. Eine traditionsreiche kleine Buchhandlung war die von »Carl Bürmann« in Fürstenwalde, die sich in der DDR tapfer gehalten hatte, obwohl private Buchhandlungen bei der Bücherzuteilung benachteiligt wurden. Sie kam auch gut über die Wendezeit und existiert trotzdem nicht mehr. Durch den Bau eines neuen Stadtzentrums mit großem Kaufhallenkomplex ist sie ohne Standortwechsel an einen ungünstigen, kaum begangenen Platz an einer Kreuzung geraten.
»Kaum zu glauben, dass alles dies inzwischen fast dreißig Jahre her ist«, resümiert Peter Walther. »Völlig andere Probleme stehen auf der Tagesordnung, und auf einmal tut sich der alte Graben zwischen Ost und West wieder auf.«
Bis 30. September in Rheinsberg in der Remise am Schloss. Eintritt frei. Weitere Informationen: www.tucholsky-museum.de.