She’s a liar, liar, oh, she’s a liar. No you can‘t trust her, no, no, no« (Sie ist eine Lügnerin, Lügnerin, oh, sie ist eine Lügnerin. Man kann ihr nicht trauen, nein, nein, nein). So sang im vergangenen Jahr kurz vor den britischen Parlamentswahlen ein Chor in einem Protestsong der britischen Band Captain SKA gegen Premierministerin May. Der Song war im höchsten Maße ungerecht. Vorgeworfen wurden ihr darin lediglich einige Bagatellen: darunter die Tatsache, dass sie ursprünglich Neuwahlen ausgeschlossen hatte, sowie ihr Sparkurs und die soziale Ungleichheit im Lande. Ungeachtet dessen wurde der Clip innerhalb weniger Tage 1,5 Millionen Mal auf YouTube aufgerufen, in den britischen Amazon-Single-Charts stand er an der Spitze und bei iTunes auf Platz 2. Die wahrheitsliebende Premierministerin als Lügnerin zu verleumden, war höchst ungerecht, denn diese ist auch Angehörige der Church of England, regelmäßige Gottesdienstbesucherin und bezeichnet ihren christlichen Glauben immerhin als wesentlichen Bestandteil ihrer Grundüberzeugungen.
Wer daran zweifelte, wurde alsbald eines Besseren belehrt und musste erkennen, dass ihre Diffamierung als Lügnerin eine böswillige Unterstellung war. Denn nach der Parlamentswahl zeigte sie aller Welt, dass sie eine verantwortungsbewusste, der Wahrheit verpflichtete Politikerin ist. Schon kurz nach dem verbrecherischen Anschlag auf den ehemaligen Doppelagenten Skripal und dessen Tochter in Salisbury wusste sie, dass das russische Nervengift Nowitschok eingesetzt worden war und der Kreml dahintersteckte. Dadurch gelang es ihr, 26 Staaten davon zu überzeugen, die ihrerseits insgesamt 140 russische Diplomaten auswiesen. Als die von ihr geleitete Regierung leider nicht in der Lage war, auch nur einen Beweis für die russische Schuld vorzulegen und böswillige Zungen davon sprachen, das ganze »Lügengebäude« sei zusammengebrochen (Ossietzky 14/2018), war sie letztlich frei von jeglicher persönlicher Schuld. Schließlich hatte sich die Premierministerin auf ihre Ermittler und erfahrenen Geheimdienste verlassen müssen! Auf wen denn sonst?
Neuerdings erhält sie zusätzlichen Trost und Unterstützung. Die USA kündigten im Skripal-Fall weitere Sanktionen gegen Russland an, da dessen Regierung »chemische oder biologische Waffen genutzt und damit gegen internationales Recht verstoßen habe«. Die Strafmaßnahmen würden am oder um den 22. August folgen. Kurz zuvor hatte der Guardian berichtet, dass britische Behörden Russland um die Auslieferung zweier Verdächtiger im Skripal-Fall ersuchen werden. Vielleicht kann Theresa May angesichts solcher Hilfe doch noch aufatmen?
Völlig unbeteiligt war Theresa May an einem weiteren »ernsten Vorfall« in der Stadt Amesbury, nicht weit entfernt von Salisbury. Ein Paar war laut Scotland Yard mit Nowitschok vergiftet worden. Die Frau verstarb im Krankenhaus, der Mann soll inzwischen gesundet sein. Der britische Verteidigungsminister Gavin Williamson beschuldigte kurz nach der Vergiftung Russland unmissverständlich: »Die Realität sieht so aus, dass Russland eine Attacke auf britischem Boden verübt hat, die zum Tode eine Bürgerin Großbritanniens geführt hat.« (Quelle für dieses und weitere Zitate: https://de.sputniknews.com) Auf Beweise verzichtete er.
Das russische Außenministerium nannte die Anschuldigungen ein »altes gutes Mantra« zum Thema »das haben die Russen getan« und rief die britische Seite auf, bei der Ermittlung der Umstände beider »Vorfälle« zu kooperieren. Die britische Seite zeigt dazu keinerlei Bereitschaft.
Premierministerin May trat beim »zweiten Vorfall« persönlich nicht in Erscheinung, und zweifellos hat ihr Verteidigungsminister bei seiner Beschuldigung Russlands ohne Rücksprache mit seiner Regierungschefin gehandelt. Weiß diese doch mittlerweile, dass das Nowitschok-Schwert im Kampf gegen den Kreml stumpf geworden ist.
Mays Regierung setzt in den Brexit-Verhandlungen neuerdings geschickt auch auf die antirussischen Stimmungen in der EU. Sollte es zu keinem Deal kommen, würde Putin allen Grund zum Jubel haben, was unbedingt vermieden werden müsse. Leider zeigt Brüssel für dieses Argument bislang wenig Verständnis.
Immer mehr besinnt sich May deshalb der alten britischen Tugend, wonach man den politischen Gegner nur dann erfolgreich bekämpfen kann, wenn man von einer Position der Stärke aus handelt. So ließ sie denn in der ersten Julihälfte ihren Ersten Seelord der Royal Navy, Philip Jones, in einem Interview gegenüber dem TV-Sender Sky News erklären, Großbritanniens Streitkräfte würden ihre Präsenz im Nordatlantik im Rahmen der Eindämmung der »wachsenden russischen Bedrohung« verstärken. London habe zehn Jahre lang den »Wiederaufbau des Potentials und der Größe« der russischen Flotte nicht bemerkt, und nun müsse es darauf reagieren. Zu Recht erinnern sich Frau May und der First Sea Lord, dass England jahrhundertelang eine unschlagbare Seemacht war. An diese Tradition gilt es anzuknüpfen und im Kalten Krieg gegen Russland neben den USA und Frankreich auch immer neue Verbündete zu suchen und zu finden, seien diese auch noch so klein.
So traf sich Theresa May Ende Juli in London mit dem katarischen Emir Tamim bin Hamad Al Thani. Danach veröffentlichte ihr Büro eine offizielle Pressemitteilung, in der Russland und dessen Außenpolitik angegriffen wurden. Mitgeteilt wurde darin, dass die Premierministerin und der Emir sich darauf geeinigt hätten, die Beziehungen zu Russland »aus der Position der Stärke« zu entwickeln und dessen »böswilligen Handlungen« zusammen entgegenzuwirken sowie allgemeine Normen und Prinzipien durchzusetzen. Allerdings erdreistete sich die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, diese offizielle Verlautbarung unter die Lupe zu nehmen und anschließend festzustellen: »Wir …waren ziemlich überrascht, denn in einer entsprechenden Pressemitteilung, die die katarische Seite verbreitete, gibt es kein Wort über Russland und umso mehr keine kritischen Aussagen gegenüber unserem Land. In den Gesprächen mit den Diplomaten der russischen Botschaft in Katar dementieren unsere katarischen Partner kategorisch die Tatsache, dass man sich in Doha mit dem wohlbekannten antirussischen Vorgehen von Theresa May solidarisiert.«
Sacharowa verwies darauf, dass Großbritannien erneut eine antirussische Kampagne anheize, die darauf abziele, Russland das Schuldgefühl für Vergehen aufzudrängen, die es nie begangen habe. In London habe man offenbar beschlossen, sich im Wunschdenken zu üben und diejenigen in die Reihen seiner Unterstützer aufzunehmen, die die antirussischen Ansichten nicht teilen.
Offensichtlich handelt es sich bei der Mitteilung der Sprecherin des Moskauer Außenministeriums um eine der üblichen russischen Gegenpropagandaattacken. Aus einer einfachen Pressemitteilung des Büros der Premierministerin solche weitreichenden Schlussfolgerungen zu ziehen, verletzt grundlegende Normen zwischenstaatlicher Beziehungen. Dabei handelte es sich doch lediglich um die fehlerhafte Wiedergabe der Gespräche mit dem Emir seitens niederer Mitarbeiter in der Downing Street. Man kann sicher sein, dass ihre Chefin davon nichts gewusst hat, denn Theresa May ist keine Lügnerin, wie im Protestsong der britischen Band Captain SKA behauptet wird, sondern eine wahrheitsliebende grundehrliche Haut.