Haarig
Man kann den Leuten Suppe servieren
mit Haaren darin, ungelogen.
Man muss die Haare nur schön frisieren,
behaupten gern die Demagogen.
Günter Krone
Mit weniger Austerität erfolgreich
Wie in finanzschwachen Staaten seit einiger Zeit üblich, hatte auch Portugal auf Geheiß seiner Kreditgeber ursprünglich strenge Sparmaßnahmen (engl. »austerity«, neudt. »Austerität«) eingeführt. Doch dann gehörte António Costa, politisch zur »linken Mitte« gerechnet, 2015 bei den Landeswahlen zu den Gewinnern. Er hatte unter anderem versprochen, die von der Vorgängerregierung bewirkten Lohnkürzungen rückgängig zu machen, weil »ein Zuviel an Austerität eine Rezession nur verschlimmert« (dieses und die folgenden Zitate: New York Times online, 22.7.2018, Übersetzung jeweils: H. K.).
Von Costa geleitet, machte sich die neue Regierungskoalition unter Beteiligung von Kommunisten und anderen Linken daran, die härtesten der Sparmaßnahmen zurückzunehmen und dennoch die Eurozone-Regeln zu erfüllen. Trotz Protests von Kreditgebern wie Deutschland und dem Internationalen Währungsfonds sorgte Portugals linkes Kabinett für einen höheren Mindestlohn, höhere Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst, höhere Renten und höhere Urlaubsansprüche als die zuletzt geltenden, half auf der anderen Seite Firmen durch Steuererleichterungen und unterstützte kleine und mittlere Unternehmen, sparte dafür aber unter anderem an der Infrastruktur.
Und das Ergebnis? Das Selbstvertrauen der Portugiesen ist gewachsen, Unternehmer und Arbeitskräfte wieder motiviert, berichtet die NYT. Produktions- und Exportzahlen sowie ausländische Investitionen seien gestiegen, andererseits Portugals Haushaltsdefizit von jährlich 4,4 Prozent auf unter ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesunken – mit der Aussicht auf schwarze Zahlen schon in zwei Jahren.
Doch das Land ist noch nicht über den Berg. Die Staatsverschuldung ist weiterhin hoch, schlecht bezahlte Teilzeitarbeit weit verbreitet, der erhöhte Mindestlohn noch immer einer der niedrigsten in der Eurozone. Gewerkschaften fordern nicht nur höhere Löhne, sondern wollen auch, dass öffentliche Mittel zur Verringerung der herrschenden sozialen Ungleichheit eingesetzt werden. »Es ist noch viel zu tun«, meint Premierminister Costa. »Aber als wir angefangen haben, sagten viele Leute, wir hätten uns Unmögliches vorgenommen. Wir haben gezeigt, dass es eine Alternative gibt.«
Helga Kühn
Flucht nach Spanien
Bootsflüchtlinge sind an der Küste Andalusiens nichts Neues. Seit langem kommen Flüchtlinge aus Afrika über die Meerenge von Gibraltar nach Spanien. Vor Jahren war es Tarifa, wo die Flüchtlinge häufig tot an Land gespült und in einem Massengrab bestattet wurden. Heute bekommt jeder Ertrunkene seine eigene Kammer in der großen Grabkammeranlage, häufig mit dem Hinweis »anónimo«.
In den letzten Monaten steigen die Zahlen der Flüchtlinge, die den Weg nach Europa über Spanien suchen. In spanischen Zeitungen findet man Schlagzeilen wie »Spanien – das neue Italien«. Es sind besonders die Politiker der Partido Popular (PP), welche den neuen spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez von der Partido Socialista Obrero Español (PSOE) wegen seiner neuen Willkommenskultur für Flüchtlinge kritisieren.
Die PP lehnte bisher die Aufnahme von Flüchtlingen immer ab. Von der EU hat Spanien für die Betreuung von Flüchtlingen einmalig 50 Millionen Euro erhalten. Doch auch der neue, ehrgeizige Vorsitzende der PP, Pablo Casado, machte inzwischen seine Aufwartung bei den Flüchtlingen und besuchte eines der Flüchtlingscamps in Algeciras. Wohl eher ein PR-Termin, denn er mahnt mit deutschen Szenarien: Es sei nicht möglich, eine Million Afrikaner in Spanien aufzunehmen.
Es war der Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero (PSOE), der mit Marokko 2005 ein Abkommen zur Überwachung der Küsten des nordafrikanischen Königreichs schloss. Es flossen erhebliche Mittel aus dem EU-Haushalt nach Rabat, damit (Boots-)Flüchtlinge weder das spanische Festland noch die Enklaven Ceuta und Melilla sowie die Kanaren erreichen können.
Am 26. Juli berichtete El País nun, dass über 600 Afrikaner den Grenzzaun von Ceuta überwunden haben. Die Geflüchteten setzten selbstgebaute Flammenwerfer, Stöcke und gebrannten Kalk – bei Berührung verätzt er die Haut – gegen die Guardia Civil ein. Insgesamt 132 Personen benötigten medizinische Hilfe. Die Zahl wurde nicht aufgeschlüsselt. Hunderte weitere Flüchtlinge wurden am Zaun von der marokkanischen Polizei gestoppt und zurückgeschickt. Spanische Polizisten hätten sogenannte Push-Back-Abschiebungen (direkte Rückweisungen) seit der neuen PSOE Regierung nicht mehr vornehmen dürfen.
Die aus EU-Mitteln finanzierten Doppelzäune von Melilla und Ceuta sind sechs Meter hoch und mit NATO-Stacheldraht versehen. Nach offiziellen Angaben erreichten bis Ende Juli über 24.000 Flüchtlinge Spanien über das Mittelmeer, das waren so viele wie im gesamten Jahr 2017. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) stammen die meisten Flüchtlinge aus Krisenländern südlich der Sahara. Inzwischen wurde von der EU ein neuer Grenzwall mit den afrikanischen Staaten Mali und Niger errichtet. Militärhilfe von Franzosen und Deutschen und EU-Mittel haben den Weg durch die Sahara fürs erste versperrt. Mali ist derzeit der zweitgrößte Auslandseinsatzort der Bundeswehr. Damit ist die Bundesrepublik Partei mit ihren Soldaten im Bürgerkrieg in Mali. Immer neue Grenzwälle werden niemanden von seinen Fluchtplänen abhalten. Die Fluchtursachen müssen beseitigt werden.
Karl-H. Walloch
P.S.: Beim Treffen des spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel am 11. August wurde eine gemeinsame EU-Front gegen die Fremdenfeindlichkeit Europas gefordert. Das Treffen zum Thema Flüchtlinge fand auf Sánchez‘ Einladung im Palacio de los Guzmanes in Sanlúcar de Barramda am Rio Guadalquivir in Andalusien unweit des Doñana Nationalparks statt. In der Flüchtlingspolitik streben Spanien und Deutschland eine europäische Lösung an. In Flüchtlingsfragen koordiniert Spanien die Verhandlungen mit Marokko.
Freispruch
Die Mühlen der Justiz, wer weiß das nicht, mahlen langsam. Der Grundsatz gilt unverändert auch für Atheisten, dass man auf hoher See und vor Gericht in Gottes Hand ruhe. Will heißen: Das Ende ist ungewiss. Und manchmal überraschend.
Wolfgang Schmidt – er könnte auch Müller, Meier oder Schulze heißen, denn atypisch ist sein Fall keineswegs, weshalb man ihn exemplarisch nennen muss – wurde im Jahr 2012 von Hubertus Knabe, dem Direktor der Gedenkstätte in der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt Berlin-Hohenschönhausen, angezeigt. Knabe fand, dass Schmidt, ehemals Oberstleutnant des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft habe.
Bei dem »Verstorbenen« handelte es sich um den vom Obersten Gericht der DDR 1952 zum Tode verurteilten und hingerichteten Bombenleger Johann Burianek. Auf Antrag der »Arbeitsgemeinschaft 13. August« hatte das Landgericht Berlin 2005 das Urteil des Obersten Gerichts gegen ihn jedoch aufgehoben, womit Burianek rehabilitiert war.
Schmidt meinte, dass offenkundig nicht klar gewesen sei, wer da von allen Sünden freigesprochen worden ist – wohl wissend, dass allein die Tatsache, von einem DDR-Gericht verurteilt worden zu sein, Grund für diese Entscheidung gewesen war. Empört zählte Schmidt in einem Beitrag auf der Internetseite mfs-insider.de Burianeks Straftaten auf und nannte diesen »Anführer einer terroristischen Vereinigung« und einen »Banditen«. Die Darstellung rief den Exorzisten aus Hohenschönhausen auf den Plan. Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten folgte Knabes Vorhaltung und verurteilte am 27. September 2012 Schmidt zur Zahlung von 40 Tagessätzen à 30 Euro. Dieser wollte aus verschiedenen Gründen die 1200 Euro nicht zahlen und legte Berufung ein, welche am 18. März 2013 von der nächsten Instanz, dem Landgericht Berlin, jedoch verworfen wurde. Die daraufhin beantragte Revision lehnte am 18. Juli 2013 das 3. Kammergericht Berlin ohne jede Begründung ab, womit es dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Berlin folgte.
Nunmehr rief Schmidt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe an. Und es reagierte: Die 3. Kammer des Ersten Senats beschloss am 24. Januar 2018 einstimmig, dass die Berliner Entscheidungen aufgehoben werden und das Landgericht neu verhandeln muss. Die gefällten Urteile verletzten nach Auffassung der Karlsruher Richter Schmidts Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gemäß Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes: »Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.« Darüber informierte das BVerfG in einer Pressemitteilung am 20. Februar. Der politische Kontext von Schmidts Aussagen sei mangelhaft berücksichtigt worden. »Polemische Kritik an einer Person, die in der frühen DDR-Zeit hingerichtet und später in der Bundesrepublik rehabilitiert wurde, ist als Meinungsäußerung von dem Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1) grundsätzlich gedeckt«, heißt es dort.
In der Begründung seiner Entscheidung führte das oberste deutsche Gericht die Straftaten an, die zu Burianeks Verurteilung geführt hatten: Er habe »als Mitglied der KgU (›Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit‹) Werk-spionage betrieben«. Vor Beginn der Jugendfestspiele 1951 habe Burianek mit seinen Mittätern »Reifentöter« beziehungsweise »Krähenfüße« auf Berliner Ausfallstraßen ausgelegt und Stinkbomben in Menschenansammlungen und vor marschierende Kolonnen geworfen. Ein Brandsatz unter einer Festsäule habe nicht gezündet, so dass das Attentat erfolglos geblieben sei. Von einem für den 21. Februar 1952 geplanten Sprengstoffanschlag auf eine Eisenbahnbrücke habe Burianek Abstand genommen, da ein Fluchtwagen nicht zur Verfügung gestanden habe.
Der Berliner Tagesspiegel befand, der Berliner Justiz bleibe nach den Ausführungen der Karlsruher Richter »wenig anderes übrig«, als Schmidt freizusprechen. Schmidt regte die Heuchelei etwa im Umgang mit Terroristen schon immer auf und wurde dafür als »Geschichtsrevisionist« verleumdet. Bekanntlich sind Terroristen Rebellen und Widerstandskämpfer, wenn sie Bomben an der richtigen Stelle legen. Oder, wie der Tagesspiegel in süffisanter Eindeutigkeit seinen Beitrag überschrieb: »Ein DDR-Widerständler kann ein ›Bandit‹ sein.«
Am 12. Juli 2018 sprach in einer halbstündigen Verhandlung das Berliner Landgericht Wolfgang Schmidt wie erwartet frei. Selbst der Staatsanwalt hatte eine solche Entscheidung gefordert. Schmidt freute sich selbstverständlich über das Urteil, weil nach fünf Jahren der Ungewissheit und Verunsicherung endlich die Sache beendet war, wobei er kritisch in seinem Schlusswort anmerkte, dass »sich damit im Grundsatz an der fortbestehenden Ausgrenzung und Diskriminierung der ehemaligen Angehörigen des MfS nichts ändert«. Gleichwohl quittierte er mit Genugtuung, dass der Beschluss des BVerfG in seiner Sache »die Rechtssicherheit im Bereich der Meinungsäußerung gestärkt und bekräftigt« und »politischen Eiferern, die ihre angemaßte Deutungshoheit über die DDR-Geschichte durch Instrumentalisierung und Missbrauch von Gerichten durchsetzen wollten, klare Grenzen aufgezeigt« habe.
Den Freispruch des Landgerichts Berlin sollte man darum nicht geringschätzen.
Robert Allertz
Vermittler zwischen den Welten
Er galt als Geheimtipp, wenn es um die diskrete Abwicklung schwieriger Fragen zwischen den beiden deutschen Staaten ging. Sein Name ist nicht nur mit dem Austausch von etwa 150 Agenten aus 23 Ländern und dem Freikauf von 33.755 Menschen verbunden. Er war ein verschwiegener »Briefträger« zwischen den Staatsführungen der DDR und der BRD, von ihnen gleichermaßen geschätzt und geachtet: Rechtsanwalt Wolfgang Vogel, Beauftragter für humanitäre Fragen des Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker. In dieser Eigenschaft war er bis in das Jahr 1990 hinein tätig. Nach der Wiedervereinigung erhoben manche seiner früheren Mandanten den Vorwurf, im Zusammenhang mit ihrer Ausreise aus der DDR von ihm erpresst worden zu sein, obgleich viele von ihnen bereit gewesen waren, »Sack und Seele« herzugeben, um in die vielgerühmte »Freiheit« zu gelangen. Der Bundesgerichtshof hat ihn 1998 von den Vorwürfen freigesprochen. Dennoch blieb er verbittert und enttäuscht über die Art des Umganges mit ihm nach 1990. Ein geplantes Buch mit Lebenserinnerungen entstand wohl auch deshalb nicht mehr, was für das Verständnis seiner Arbeit und für die Nachgeborenen schade ist. Inzwischen haben sich andere der Materie der Beschreibung seines Wirkens angenommen, wobei bei deren Deutungen immer Zweifel bleiben, ob sie ihn im richtigen Licht darstellen oder verkennen. Wer mit Vogel beruflich zusammenarbeitete, der konnte sich stets auf ihn verlassen. Sein Wort galt. So habe ich ihn erlebt und in Erinnerung behalten, bestärkt durch einige Telefonate, nachdem er längst alle Schwierigkeiten hinter sich gebracht und nach Bayern gezogen war, wo er die letzten Jahre seines Lebens in Ruhe und Abgeschiedenheit mit seiner Frau verbrachte. Wolfgang Vogel starb vor 10 Jahren am 21. August 2008.
Ralph Dobrawa
Gustav Seitz in Trebnitz
Am 11. September 2017, dem 111. Geburtstag von Gustav Seitz, eröffnete die Gustav-Seitz-Stiftung in einem ehemaligen Wirtschaftsgebäude von Schloss Trebnitz das Gustav-Seitz-Museum. Die Stiftung arbeitet mit dem Bildungs- und Begegnungszentrum Schloss Trebnitz zusammen und ist mit einem Zentrum für Kunst- und Kulturpädagogik verbunden. Das Gebäude wurde ausgezeichnet restauriert und beherbergt Bildwerke in Bronze und anderen Materialien (Groß- und Kleinplastiken, Reliefs), Zeichnungen und Druckgraphik in einer sehr gut gestalteten Ausstellung. Der Umzug des gesamten Nachlasses von Hamburg nach Trebnitz wird vorbereitet.
Gustav Seitz (1906–1969), in Neckarau bei Mannheim geboren, war Meisterschüler bei Wilhelm Gerstel und arbeitete zunächst als Lehrer an der Hochschule der Künste in Berlin-Charlottenburg. Nach politischen Anfeindungen wurde er aus den Westberliner Lehrämtern entlassen und ging in die DDR, wo er 1949 den Nationalpreis erhielt. An der Akademie der Künste, die er mitbegründet hatte, leitete er ab 1951 eines der Meisterateliers. Reisen führten ihn unter anderem nach Frankreich, Italien, England, Ägypten, in die Niederlande, nach Schweden, Russland und China. 1958 folgte er einem lukrativen Angebot als Leiter der Bildhauerklasse an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg. Seine Sympathien für die DDR blieben jedoch.
Im Schlosspark Trebnitz begrüßt uns eine Bronzeplastik, die Käthe Kollwitz darstellt. Nach dem Drama »Die Weber« von Gerhart Hauptmann hatte Käthe Kollwitz ihren graphischen Zyklus »Ein Weberaufstand« geschaffen, mit dem sie schnell bekannt wurde. Gustav Seitz, der Käthe Kollwitz noch als Student kannte, bewunderte »die Einfachheit dieser großen, unvergesslichen Frau«. Viele Entwürfe für das Denkmal entstanden. Im Trebnitzer Denkmal hält Käthe Kollwitz mit der linken Hand eine prall gefüllte Zeichenmappe; die rechte liegt hinter dem Rücken: eine Schutzgeste und Ausdruck von Trauer, die auch das in sich geschlossene Gesicht bestimmt. Das Monument auf dem Käthe-Kollwitz-Platz im Prenzlauer Berg zeigt die rechte Hand mit einem Zeichenstift auf dem Schoß liegend. Die Mahnung der Käthe Kollwitz, die im Ersten Weltkrieg ihren Sohn und im Zweiten Weltkrieg ihren Enkel verlor, heißt: »Nie wieder Krieg!«. Seitz beschäftigte sich auch in anderen Plastiken mit dem Appell. Er schuf unter anderem die eindrucksvolle Bronze »Mutter und Braut«, eine Gruppe trauernder Frauen für den deutschen Soldatenfriedhof in Helsinki.
Bei Seitz besticht die schlichte, formal geschlossene Form, die an klassizistische Schönheit grenzt und große Ruhe ausstrahlt. Eine »Stehende mit Gewand« erinnert an strenge, archaische Formen, wie sie in der Kunst der Ägypter zu erleben sind. Der Künstler bevorzugte kräftige Modelle, formte seine Plastiken wie in einem Guss mit großer Klarheit. Porträts von Persönlichkeiten sind zu bewundern, so von Thomas Mann, Pablo Picasso und Bertolt Brecht. Im Bürgerpark Pankow findet man sein Porträt Heinrich Manns. Seitz‘ Schaffen ist vielfältig. Die Lithografien »Promenade« oder »Weibliche Torsi« zeigen pralle Körper.
Auf einer zweiten Ebene des Museums erwarten den Besucher weitere Kunstwerke. Im Schlosspark werden in größeren Abständen Pleinairs veranstaltet, und im historischen Schloss-ensemble Trebnitz mit dem neoba-rocken Herrenhaus und dem 26 Hektar großen Park findet man in der ehemaligen Remise ein Café und einen Dorfladen. Ein Ausflug lohnt sich.
Maria Michel
Gustav-Seitz-Museum, 15374 Müncheberg (Mark), Ortsteil Trebnitz, Platz der Jugend 3a, geöffnet mittwochs bis sonntags 11 bis 17 Uhr
1. September, 10 Uhr, Eisenhüttenstadt, Rotes Café, Lindenallee 30, 11. Friedensforum. Das Leitthema des Forums wird in diesem Jahr der Satz aus der Bibel sein: »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein ...«
4. September, 19 Uhr, Hannover, Warenannahme des FAUST e. V., Zur Bettfedernfabrik 3: Podiumsdiskussion zum neuen Polizeigesetz Niedersachsen mit Einführung von Rolf Gössner. Veranstalter: Amnesty International u. a.
3. Oktober, 11 Uhr, Berlin, Robert-Havemann-Saal im Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin, Matinee zum Thema »Was tun gegen den drohenden Krieg!?«, Veranstalter: Haus der Demokratie und Menschenrechte (Hausverein und Stiftung), Internationale Liga für Menschenrechte, Ossietzky – Zweiwochenschrift für Politik, Kultur, Wirtschaft
sagen wir doch verheißung
Andreas Montag (*1956 in Gotha) ist im Literaturbetrieb des Landes ein einflussreicher Mann. Als Feuilletonchef der Mitteldeutschen Zeitung in Halle (Saale) – das gibt es wirklich noch! – prägt er den öffentlichen Diskurs mit, gerade in einer Zeit der vermehrten intellektuellen Hinwendung zum Rechtskonservatismus. Da verteidigt er in wichtigen Artikeln demokratische Grundpositionen. Das sollte selbstverständlich sein, ist es aber schon längst nicht mehr.
Montag wurde nach dem Studium der Bibliothekswissenschaften und einem Fernstudium am Leipziger Literaturinstitut Johannes R. Becher mit seinem Roman »Karl der Große oder Die Suche nach Julie« (1986) bekannt. Haben wir ihn damals gelesen? Nein, die offizielle Aufmerksamkeit machte misstrauisch. Bei einer der jährlichen »Rotlichtbestrahlungen« durch Vertreter der DDR-Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel wurde uns Lektoren das Buch anempfohlen. Damit war das Urteil gesprochen. Sollte da einer die von den vielen Ausgereisten und Ausgebürgerten gerissenen Lücken füllen? Und dann auch noch im Mitteldeutschen Verlag, in dem neben Volker Braun, Adolf Endler und Heinz Czechowski auch sehr viel Unsägliches erschien!
Die Lektüre im Nachhinein zeigt, dass dieser Roman ein vielversprechender Beginn gewesen ist und meine, unsere, Ignoranz fehl am Platze war. Andreas Montag blieb auch nach der Wiedervereinigung Autor des Mitteldeutschen Verlages. Erzählungen (»Die weitere Verwandlung des Blicks«, 2007), noch zu DDR-Zeiten geschrieben und erst nach 17 Jahren gedruckt, und ein atmosphärisch feiner Kammerspiel-Roman (»Mannestreu«, 2008) folgten seinem Debüt.
Nun gibt es in der Corvinus Presse von Hendrik Liersch eine strenge Auswahl seiner Lyrik. »PARADIES« versammelt 16 Gedichte aus 40 Jahren. Erinnerungen an die Kindheit im Thüringischen und die Jugendjahre in Leipzig finden sich ebenso wie Texte für und über Dichterkollegen. Eindrucksvoll und bewegend »(an nicolas born)«, entstanden um 1981: »was bleibt/ als das glas an die weiße wand/ zu werfen// klirrende todesangst«. Der großartige Nicolas Born starb 1980 mit nur 44 Jahren. Andreas Montag hat ihn nie kennengelernt, besucht aber einmal im Jahr sein Grab im Wendland. Jürgen Theobaldys »Zu dir, Nicolas« kommt mir sofort in den Sinn und schnürt mir die Kehle zu.
Geradezu paradigmatisch »ERINNERUNG an Heiner Müller«. Der betrunkene weltberühmte Dichter steht im Bahnhof Friedrichstraße und wechselt gerade wieder einmal von Westberlin in die Hauptstadt der DDR: »hinter der wand brüllt/ das bunte niemandsland/ westen aus dem/ er zurück kam in/ das verlorene land/ das sich zu tode/ feiert so sehr/ dass er daran/ verrecken wird mit/ all seiner liebe die/ sich tarnt um/ zu überleben«.
Andreas Montag verteidigt mit seiner Poesie ein winziges Stück Hoffnung, das ist doch viel: »(für frank hauptvogel)«: »sagen wir doch/ verheißung auch/wenn es/ den schädel/ sprengt«.
Klaus Pankow
Andreas Montag: »PARADIES«, Gedichte mit zwei Linolschnitten von Hélène Habbot Bautista, Corvinus Presse, unpaginiert, 30 €
Walter Kaufmanns Lektüre
Wenn Prominente wie Georg Stefan Troller, Mario Adorf, Herta Müller sich für ein Projekt einsetzen, gilt es aufzumerken – und tatsächlich, Thomas B. Schumanns »Sammlung Memoria« ist einmalig. Für die von ihm entdeckten und erworbenen Kunstwerke deutscher Maler im Zeitraum 1933 – 1945 sollte es ein Museum geben. Solange das fehlt, so die drei Genannten, sei auf die »Edition Memoria« verwiesen, die an die achtzig Werke der aus dem Nazireich vertriebener Künstler zeigt – ein anspruchsvoller Bildband, dem Thomas B. Schumann viel Wissenswertes über die Tragödie des Exils vorangestellt habe. Georg Stefan Troller, der selbst vor den Nazis hatte flüchten müssen – als Fernsehjournalist erreichte er nach dem Krieg mit »Pariser Journal« und »Personenbeschreibung« ein Millionenpublikum –, spricht aus Erfahrung davon, dass es nicht wirklich eine Rückkehr gibt und man auf Lebenszeit emigriert. Und Mario Adorf, der als Junge die Vertreibung der Juden mit »Mitleid, wenn auch ohne Verständnis« beobachtet hatte, bekennt im Alter, er wäre »ohne den Einfluss, den das Schicksal der Emigranten in meiner Jugend auf mich ausübte, nicht zu dem geworden, der ich bin«. Die Nobelpreisträgerin Herta Müller, die im Nachkriegs-Rumänien Verfolgungen ausgesetzt war, plädiert für einen Ort der Erinnerung an die 1933 aus Nazideutschland vertriebenen Künstler. In einem Exil-Museum könnten sich die jüngeren Deutschen von deren Schicksal ein Bild machen – eine »Erziehung zur Anteilnahme«. Ihre Anteilnahme am Schicksal der Künstler, die vor den Nazis fliehen mussten, ist tief empfunden – und anrührend ist, wie sie für die Sammlung Memoria eintritt und damit zugleich auch für Thomas B. Schumanns Bildband »Deutsche Künstler im Exil 1933–1945«.
W. K.
Thomas B. Schumann (Hg.): »Deutsche Künstler im Exil 1933–1945«, mit Beiträgen von Mario Adorf, Herta Müller, Olaf Peters und Georg Stefan Troller, Edition Memoria, 176 Seiten, rund 170 Abbildungen, 39,80 €
Rindviecher
Die Kühe sehn den Melker nahen.
Die alte Kuh spricht: Aufgepasst,
grundsätzlich müssen wir bejahen,
dass der uns an das Euter fasst.
Ihm Milch zu geben, seid bereit.
Mit Festigkeit sagt aber nein,
verlangt der andre Flüssigkeit
wie Kognak, Wodka, Sekt und Wein.
Dadurch bekennen wir uns zu
dem Selbstbestimmungsrecht der Kuh.
Günter Krone
Zuschrift an die Lokalpresse
Die deutschen Nationalkicker haben versagt, Jogi Löw bleibt, Özil hat die Nation in Aufruhr gebracht und es sich mit vielen verschissen, Grindel klammert sich an seine Stuhllehne, die Bauern sind mitten in der Erntekatastrophe, das Babelsberger Filmorchester ist vom Aus bedroht, und Siemens baut eine neue Firmenstruktur mit Arbeitsplatzverlusten – aber Seehofer lässt sein inneres Familiensportministerium nicht im Stich, auf der Fanmeile im Tiergarten fahren zwischenzeitlich wieder mal Autos, und der BER ist noch nicht aufgegeben. Es wäre also übertrieben, nur bundesrepublikanische Negativschlagzeilen zu verbreiten. Und wenn es schon nicht zum Wiederholungsweltmeister beim Fußball gereicht hat – Europameister sind wir Deutschen doch geworden, und zwar bei der Müllproduktion. Jährlich 220 Kilogramm Verpackungsmüll pro Bundeskopf ist ein Spitzenplatz in Europa, wenn auch ein trauriger, formulierte die Präsidentin des Umweltbundesamtes Maria Krautzberger, und die Frankfurter Allgemeine vom 27. Juli behandelte das Thema noch wesentlich detaillierter. Aber muss es wirklich sein, dass grüne Gurken bereits mit Plastehülle gepflanzt, aufgezogen, geerntet, verkauft und verwendet werden und dass der Inhalt unzähliger To-go-Becher vernascht und das Gefäß hinterher in die Landschaft geschmissen wird? Vielleicht hat auch der CDU-CSU-Streit mehr Zeitungsseiten und Bäume verbraucht als nötig gewesen wäre? – Pauline Üppig (52), Gestalterin, 38875 Sorge
Wolfgang Helfritsch