erstellt mit easyCMS
Titel1714

Warnung und Lockung  (Kurt Pätzold)

Der 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkrieges lag noch in der Ferne, als Vorausblickende feststellten, es werde angesichts der vielen Forschungen, die dem Ereignis in den letzten Jahrzehnten galten, schwer sein, in der Sache etwas Neues zu sagen oder zu schreiben. Das wollten zum wenigsten Historiker auf sich sitzen lassen. Aus ihrer Zunft sind Neugierige bisher schon mit der Entdeckung von »Schlafwandlern« überrascht oder der Behauptung verdutzt worden, die sozialdemokratische Führung hätte 1914 vieles falsch gemacht, aber jedenfalls keinen Verrat begangen.

Schwieriger noch als Historiker sahen sich Museologen durch das herannahende Datum herausgefordert. Was sie in Küche und Kellern aufbewahren und pflegen, hatten sie bei früheren »Jubiläen« Besuchern schon gezeigt. Unentdecktes war schwer zu erlangen. Kriegsbriefe, geschrieben in Gräben und Unter-ständen oder an heimischen Tischen, entdeckt von Ur- und Ururenkeln, erhielten sie in letzter Zeit mehrfach. Doch lesen die sich besser in der Ruhe heimischer Wände oder in einem Bibliothekssaal. Blieb eine neue Zusammenstellung, also Mischung, von schon Gezeigtem, wodurch sich ungewöhnliche Einblicke und Perspektiven eröffnen lassen.

Von derlei Anstrengungen wird auch aus dem Haus der Geschichte in Stuttgart berichtet. Deren Resultat wird unter dem Titel: »Fastnacht der Hölle – Der Erste Weltkrieg und die Sinne« angekündigt. Darauf, sich den Bezug auf den Karneval bei Ernst Jünger zu leihen, ist die Leiterin des Museum gekommen. Sie hat, bevor sich die Türen zur Schau öffnen, die Stuttgarter Zeitung, Ausgabe vom 6. März 2014 über ihr Anliegen so beschieden: »Die Schau zielt auf die Sinneseindrücke ab, sie will den Krieg fühlbar machen, seinen Geschmack und seinen Geruch veranschaulichen.« Das läßt sich kopfschüttelnd abtun, aber auch als mehrfache Warnung, wenn nicht Abschreckung lesen. Zunächst gerichtet an alle, die sich von ihrer Beschäftigung mit der Vergangenheit Einsichten in gesellschaftliche Zusammenhänge und Entwicklungen versprechen, die fortexistieren oder -dauern. Doch auch wem es an Neugier fehlt, wie Geruch sich veranschaulichen läßt, kann sich den Weg zur Schau sparen. Das sollten auch alle tun, denen sich schon beim bloßen Geruch von Steckrüben der Magen umdreht. Und vollends gilt es für jene, die absehen, daß sie den Gestank nicht vertragen können, der nach den sinnlosen Angriffen, in welche die Soldaten beider Seiten befohlen wurden, von den Leichen ausging, die zwischen den Stellungen unbegraben lagen, weil deren Bergung sich mit Todesgefahr verband. Die Warnung wurde der Lockung übrigens nachgereicht. Vor Monaten schon war in der Presse zu lesen, Besucher könnten an eben jenem Zwieback knabbern, der nach dem Rezept hergestellt sein werde, das für die Soldatenverpflegung mit dem Dauergebäck damals verwendet wurde.

Dann: Auf ihr Schwaben! An die Front! Mit wachen Sinnen und zu den Ratten, die an den Leichen eurer Vorväter »knabberten«.

»Fastnacht der Hölle – Der Erste Weltkrieg und die Sinne« ist bis zum 1. März 2015 täglich (außer montags) von 10 bis 18 Uhr und donnerstags bis 21 Uhr im Haus der Geschichte Baden-Württemberg zu sehen.