Kommt es im Mai 2015 zu einem »NS-Schlußgesetz«? In gut informierten Kreisen Berlins verdichten sich die Gerüchte, daß im Bundeskanzleramt – in Zusammenarbeit mit dem »Amt zur Verwaltung und Aufarbeitung der Akten des NS-Unrechtsstaates« (AVAANSU) – entsprechende Überlegungen existieren. Das »Projekt« könne unmittelbar nach Abschluß der Gedenkveranstaltungen zum 25. Jahrestag der »Maueröffnung« in Angriff genommen werden.
Als Termin der Inkraftsetzung ist der 8. Mai 2015 im Gespräch. Ausgangspunkt ist, daß es in dem bemerkenswert kurzen Zeitraum von rund 69 Jahren gelungen ist, Einigung bei der Benennung dessen zu erarbeiten, was da am 8. Mai 1945 eigentlich geschehen ist. Das beginne mit »Zusammenbruch«, alternativ auch »Kapitulation des Dritten Reiches«, Deutschlands bitterste Stunde« resp. »Untergang Deutschlands«, »Stunde Null« oder schlicht, im Geiste unserer pluralistisch-verfaßten Gesellschaft auch »Kríegsende«. Als nicht verwendbar oder nur unter »erläuternden Anmerkungen« aufführbar wird die Formel »Befreiung vom Faschismus« eingestuft, weil »einseitig«, »kommunistisch-doktrinär«, »klassenkämpferisch« beziehungsweise »unwissenschaftlich«. Daran könne sich nichts ändern, auch nicht wenn ein ehemaliger Bundespräsident, aus welchen Gründen auch immer, diesen Begriff einmal für den 8. Mai 1945 verwendet habe.
Die mit den Vorbereitungen eines »Schlußgesetzes« befaßten Partner sind selbstverständlich alle zuvor durch eine Regelanfrage beim Bundesamt für Verfassungsschutz dahingehend überprüft worden, ob sie jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten bereit sind.
Die Notwendigkeit eines derartigen Gesetzes ergebe sich allein schon aus der Aufforderung des ersten Kanzlers der Bundesrepublik, Konrad Adenauer, aus dem Jahre 1949, mit der »Nazischnüffelei« Schluß zu machen. Entsprechend habe es bereits 1949 ein »Straffreiheitsgesetz« für in vom »Unrechtsstaat« begangene Vergehen Verstrickte gegeben. Damit konnten sich viele, die aus (meist unbegründeter) Furcht vor Verfolgung unter falschem Namen untergetaucht waren, wieder ehrlich machen. Ein Mitarbeiter des AVAANSU verwies auf weitere Erfolge wie das 1951 in Kraft getretene »131er-Gesetz«. Dadurch sei die »Eingliederung« von etwa 200.000 »Ehemaligen« der kurzfristig unterbrochene »Weg nach Oben« beziehungsweise die Fortsetzung des Dienstes an ihren früheren Dienststellen ermöglicht worden. Eine großzügige Rentenregelung habe zudem dafür gesorgt, daß diejenigen, die beim besten Willen nicht wieder eingestellt werden konnten, einen angemessenen Lebensabend verbringen konnten. Das konnte der Fall sein, wenn es sich um eine überdurchschnittlich in das Regime involvierte Person (etwa Großadmiral Dönitz oder SS-General Hauser) handelte oder aber wenn die frühere Dienststelle (zum Beispiel Volksgerichtshof, Reichssicherheitshauptamt) nicht mehr existierte.
Widerspruch und Zurückweisung findet noch der aktuell wieder zu vernehmende Vorwurf, die in der Bundesrepublik (im Vergleich zu anderen westlichen Staaten) besonders rabiate Verfolgung der Kommunisten sei nicht zuletzt auf die Erfahrung der »Ehemaligen« in Justiz und Sicherheitsbehörden zurückzuführen. Es habe sich bestätigt, daß die verantwortliche Ausarbeitung und folgende Exekutierung des KPD-Verbotes von 1956 (s. Ossietzky 16/14) oder des »Radikalenerlasses« von 1972 ohne deren Erfahrung und Bereitschaft zur tätigen Reue nicht so erfolgreich gewesen wären. Andrerseits sei auch zu bedenken, daß im Geist des »Antitotalitären Grundkonsens« der Bundesrepublik, die Zahl der Strafverfahren und Urteile gegen Kommunisten in einem Zeitraum von 15 bis 17 Jahren in etwa gleich groß gewesen ist wie die Zahl der Verfahren und Urteile gegen NS-Täter.
Der Vertreter des Unternehmerverbandes im Andenk-Gremium (AG) verwies noch darauf, daß die Notwendigkeit und auch Berechtigung für ein Schlußgesetz auch im Hinblick auf den »Wirtschaftsstandort Deutschland« gesehen werden müsse. In den letzten Jahren habe es bei einigen großen Unternehmen beachtliche Anstrengungen gegeben, die Rolle ihrer verstorbenen Vorgänger in den dunklen Jahren 1933–1945 schonungslos darstellen zu lassen. Mit Betroffenheit habe man dadurch erfahren, daß etwa die Auto Union in Chemnitz oder Degussa vom Regime gezwungen wurden, Panzer und Flugzeugmotoren für die Rüstung oder gar Giftgas für die Ermordung von Juden zu produzieren. Sie mußten dafür unter starkem Druck von Oben sogar aus eigens für sie eingerichteten Lagern ausländische Gastarbeiter, politisch Widerborstige oder Juden beschäftigen. Mit alledem habe die deutsche Wirtschaft abgeschlossen. Dank der Großherzigkeit der deutschen Steuerzahler habe eine Kollekte der Unternehmer zu einem Entschädigungsfonds für die damals in der Produktion eingesetzten Personen verdoppelt werden können. So konnten wenigstens einige der damals vom Unbill betroffenen Personen ihre Medizin bezahlen.
Angedacht ist, die Überlegungen zum möglichst am 8. Mai 2015 zu verkündenden NS-Schlußgesetz dem Büro des Bundespräsidenten Joachim Gauck zu unterbreiten. Nach der verwirrenden »Befreiungsrede« des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zum 40. Jahrestag des 8. Mai 1945 sei Gauck, der fast im Alleingang 1989 die SED-Diktatur beseitigt habe, der geeignete Mann über Vergeben und Vergessen zu meditieren und große Bögen zu schlagen.