Wie es einst in der DDR zugegangen ist, weiß heute jeder. Die Stasi – schrecklich! Das war eine Terrormaschine, die immerzu unschuldige Menschen umbrachte, politische Gegner in die Psychiatrie schickte und sie folterte und den Eltern die Kinder wegnahm, um sie zwangszuadoptieren. Ja, das weiß man heute ganz genau. Unlängst konnte man es auch wieder im Fernsehen nacherleben. »Nasse Sachen«, so erfuhr man, nannten es die Stasi-Leute, wenn sie etwas taten, was vor der Öffentlichkeit geheimgehalten werden sollte. Und so hieß auch der »Tatort«, in dem eindrucksvoll geschildert wurde, wie die Staatssicherheit erst einen Menschen umbrachte, dann das Opfer unter dem Namen des Täters beerdigen ließ und den Täter mit einem anderen Namen versah und verschwinden ließ. Nach der Wende setzte der Täter, ein Oibe (Offizier im besonderen Einsatz), sein verbrecherisches Treiben auf andere Art und Weise fort. Schlimm, wie die Stasi-Schergen noch heute ihr Unwesen treiben!
Noch schlimmer, nämlich wirklich schlimm ist es, wie die Menschen heute über die DDR belogen werden, damit sie jeden Gedanken, jede Hoffnung auf Sozialismus aufgeben. Gleich nach dem Anschluß der DDR an die BRD verkündete der damalige Bundesjustizminister Klaus Kinkel: »Das SED-Regime hat Menschen systematisch zerbrochen und Lebensschicksale zerstört. Aus politischen Gründen wurden mißliebige Bürger strafrechtlich verfolgt, in psychiatrische Anstalten gesteckt, zwangsausgesiedelt, an Ausbildung und Fortkommen gehindert.« Von Stasi-Morden sprach er immerhin nicht in seinem Referat am 9. Juli 1991 in Bonn.
Mehr als zwei Jahrzehnte später ist von der Aufgabe, die Kinkel damals für gewaltig erklärte und von der er meinte: »Nicht nur der Rechtsstaat, unsere ganze Gesellschaft muß sich der Bewältigung des DDR-Unrechts stellen«, nicht mehr die Rede. In über 100.000 strafrechtlichen Ermittlungsverfahren war man dem vermeintlichen DDR-Unrecht nachgegangen, viele Kriminalbeamte, Staatsanwälte und Richter waren aus der alten Bundesrepublik geholt worden, um die »gewaltige Aufgabe« zu bewältigen. Über das Ergebnis wurde so gut wie nichts berichtet, der Öffentlichkeit blieb es verborgen. Nur der ehemalige Berliner Generalstaatsanwalt Christoph Schaefgen und die Professoren der Humboldt-Universität Klaus Marxen und Gerhard Werle zogen eine Bilanz in juristischen Publikationen, von denen die Medien keine Notiz nahmen. Schaefgen berichtete über Straftaten des Ministeriums für Staatssicherheit (Stand 24.9.1999):
Rechtskräftig Verurteilte 25
davon zu Freiheitsstrafe mit Bewährung 22
zu Geldstrafe 1
Verwarnung 1
Einstellung nach § 153a StPO 1
Und Marxen und Werle übermittelten in ihrem Buch »Die strafrechtliche Aufarbeitung von DDR-Unrecht. Eine Bilanz« (Berlin/New York 1999) folgende Statistik:
Deliktsgruppen Zahl der Angeschuldigten Zahl der Verurteilten
Gewalttaten an der Grenze 363 98
Rechtsbeugung 400 27
Wahlfälschung 127 92
MfS-Straftaten 143 20
Denunziationen 15 4
Mißhandlungen 53 19
Amtsmißbrauch/Korruption 56 22
Wirtschaftsstraftaten 42 5
Doping 6
Sonstige 7 2
Insgesamt 1.212 289
Und sie schlußfolgerten: »Insgesamt vermittelt die Sanktionspraxis den Eindruck, daß das DDR-Unrecht als mittelschwere Kriminalität eingestuft wurde.«
Das also war das Ergebnis, das eine ganz und gar nicht DDR-freundliche Justiz bei der juristischen Aufarbeitung der Stasi-Untaten und des DDR-Unrechts erzielte. Nichts von Mord und Totschlag, nichts von Folter, nichts von Einweisung in die Psychiatrie, keine Zwangsadoptionen. Es blieben die Schüsse an der Grenze. Sie sind ein Kapitel für sich. Eine Vielzahl von Rechtsprofessoren hält diese Verurteilungen für nicht gerechtfertigt. Die Medien nehmen davon keine Kenntnis, sie verteufeln Stasi und DDR weiter. Würde in einem »Tatort«-Krimi Gleiches über den Bundesnachrichtendienst oder die Verfassungsschutzämter behauptet, niemand würde es glauben – trotz des NSU-Skandals. Der Stasi jedoch traut man alles zu, vor allem wenn es oft genug wiederholt wird. Das Erdichtete gilt als bare Münze. Man weiß ja, wie es in der DDR zuging.
Der Berliner Rechtsanwalt Friedrich Wolff hat in der DDR Kritiker der Regierung, nach der Selbstaufgabe der DDR Erich Honecker und Hans Modrow verteidigt.