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Titel1808

Bemerkungen

Kurzgesagt
• Wer keine Arbeit hat, der leiht sich welche!
• Nur keine falsche Ehrfurcht. Eher Furcht vor den Falschen.
• Heimat schöne Fremde.
• Der Zensor liest zwischen den Zeilen.
• LSD –DSL: Das sind so Anschlüsse.
• Damals als es langsamer schneller ging.
• Er wollte ein Kind seiner Zeit sein und blieb doch nur das Kind seiner Eltern.
• Von DADA zu DATA: Eine Ernüchterung.
• Eine mit Lügen unterfütterte Wahrheit. •Berliner Descarte: Denkste also biste, denkste.
• Ohne Glauben kein Krieg. Da wäre ja noch Hoffnung.
• Die Wahl haben zwischen Test & Cholera
• Die Masken wechseln und bei sich bleiben.

Oskar Ansull


Menschenleer
Seit 1. August darf es in London keine Sandwich Men mehr geben, jene foto-genen Menschen, die mit einer Werbetafel oder zwischen zwei Werbetafeln (daher der Name Sandwich Man) den Gehsteig auf und ab spazierten. Westminsters Einzelhandel hat das Verbot durchgesetzt, weil die pittoresken Werbeträger angeblich das Geschäft stören.

Man muß kein London-Nostalgiker und kein Konservativer sein, um diese Entscheidung zu bedauern. Und nur Sozialromantiker können darüber hinwegsehen, daß der Job des Sandwich Man alles andere war als eine Goldgrube oder gar die Erfüllung eines Lebenstraums. Zu beklagen ist ein weiterer Schritt in der Entmenschung unserer Umwelt. Die Geschäftsleute von Westminster wollen ja keineswegs die Werbung insgesamt verbannen. Sie verlagern sie lediglich ins Internet, beschränken sich auf Anzeigen in Tiefdruckmagazinen und auf Anschläge an Plakatwänden und in U-Bahn-Stationen. Die Vertreibung der Sandwich Men bedeutet die Entfernung von Leben auch aus dem Bereich der Straßenwerbung.

Damit folgt sie dem Beispiel der anonymen Supermärkte, die den Tante-Emma-Laden in Vergessenheit geraten ließen, dem Beispiel der Post, die automatisierte Packstationen anstelle von Schalterbeamten anbietet, dem Beispiel von Hotels, in denen es keine Rezeption mehr gibt, sondern nur noch Schlitze für die Kreditkarte. Wir sehen hier einmal von der damit verbundenen Zerstörung der Arbeitsplätze ab. Die Welt wird einfach ungemütlich, wo sie menschenleer wird. Die Wirklichkeit nähert sich der negativen Utopie von Fritz Langs »Metropolis«, Karel Capeks »R.U.R:« oder Bontempellis »Minnie la candida«. Vielleicht paßt der Tod des Sandwich Man in eine Gegenwart, in der man nicht mehr von Angesicht zu Angesicht, sondern über Handy und E-Mail kommuniziert. Aber ein wenig traurig darf man über diese Entwicklung schon sein.
Thomas Rothschild


Bedienzuschlag
Pünktlich ist sie schon, unsere Bahn, die bald nicht mehr unsere Bahn ist; sie ist geradezu überpünktlich. Niemand wird wohl behaupten wollen, die neue Gebührenerhöhung sei zu spät gekommen. Und innovativ ist sie auch, die Bahn, die einmal unsere Bahn war. Einen »Bedienzuschlag« fordert sie uns künftig ab, wenn wir am Schalter unsere Fahrkarte bezahlen wollen. Die Abzockerei erklimmt eine neue Ebene der Kreativität: Nicht nur die Ware oder Dienstleistung hat ihren Preis, sondern, auch für das Bezahlendürfen dürfen wir zahlen. Nicht einmal Karl Marx hat diese Möglichkeit schöpferischer Mehrwertsteigerung vorausgeahnt.

Wen aber bedienen wir künftig, wenn wir den höheren Fahrpreis samt Bedienzuschlag zahlen? Wir bedienen nicht den Eifer der Bahn, Pünktlichkeit, Service und Sicherheit zu verbessern; der Service wird ja abgebaut, und wie lässig das Unternehmen mit der Sicherheit umgeht, wurde deutlich, als Bahnchef Mehdorn lieber ein paar ICE-Toiletten absperren als häufigere Kontrollen der Radachsen zulassen wollte. Nein, wir bedienen das Profitinteresse jener Investoren, an die das Volksvermögen Bahn verscherbelt werden soll, denn der respektable Gewinn von derzeit 6,5 Prozent wäre für sie eine unzumutbar kümmerliche Ausbeute. Wir bedienen den Ehrgeiz des Herrn Mehdorn, bald als derjenige dazustehen, der die Verschleuderung von Volksvermögen, genannt Börsengang, durchgeboxt hat. Wir bedienen die Borniertheit von Politikern, die als Vor- oder Nachbeter neoliberaler Volksverarmungsstrategien fest die Augen davor verschließen, daß Privatisierung die Bereicherung Weniger auf Kosten der Allgemeinheit bedeutet und, wie beispielsweise die Erfahrungen mit der privatisierten britischen Eisenbahn zeigen, zwangsläufig zu schlechterem Service und höheren Preisen führt. Und wir bedienen unsere eigene Schlafmützigkeit, die sich all das immer noch gefallen läßt.
Der Bedienzuschlag ist ein Lehrgeld. Wir sollten es nicht bezahlen, ohne endlich zu erkennen, daß wir bedient sind. Und wie.
Hans Krieger

PS. Dem Vernehmen nach ist geplant, den Tarif so auszubauen, daß sich der Bedienzuschlag bei Blickkontakt mit dem Schalterpersonal um 25 Prozent erhöht und, falls der Kunde respektive die Kundin dabei auch noch angelächelt werden möchte, um 50 Prozent.
Red.


Kölner Karlspreis
Mit dem Aachener Karlspreis, benannt nach einem mittelalterlichen Diktator und Eroberungskrieger, den obrigkeitsfromme Schulgeschichtsbücher »den Großen« nennen, werden in der Regel Personen ausgezeichnet, die sich für (west)europäische Großmachtambitionen stark gemacht haben. Unter Hinweis darauf äußerte die alternative Zeitung für Aachen besondere Freude über den dieser Tage erstmals verliehenen Kölner Karlspreis. Gestiftet wurde er von der Neuen Rheinischen Zeitung, einem allwöchentlich im Internet erscheinenden Alternativmedium, das sich vor allem dem Kölner Monopolverlag DuMont-Schauberg entgegenstellt. Erster Preisträger ist der Publizist Werner Rügemer, der gelegentlich auch in Ossietzky zu Wort gekommen ist.

Um Selbstbestimmung zu erreichen, so zitierte Rügemer in seiner Dankesrede den Namensgeber des Preises, müssen wir »alle Verhältnisse umwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist«. Der Autor Karl Marx hatte als Chefredakteur der damaligen Neuen Rheinischen Zeitung großen Anteil daran, daß sich Köln vor mehr als anderthalb Jahrhunderten zu einem Zentrum der Demokratie in Deutschland entwickelte. Aber diese Entwicklung dauerte nicht lange. Marx und andere Autoren des Blattes wurden ins Exil getrieben.

Rügemer erinnerte an den mit gefälschten Beweismitteln, mithilfe korrupter Spitzel geführten Kölner Kommunistenprozeß: »Dem Publikum solle, so wies der preußische König an, das ›ersehnte Schauspiel eines aufgedeckten und vor allem bestraften Komplotts‹ geboten werden. Die Redakteure der Neuen Rheinischen Zeitung Marx und Freiligrath hatten flüchten können, aber elf Angeklagte, Aktivisten der Revolution von 1848, wurden anderthalb Jahre in fensterlosen Gefängnissen eingesperrt, bevor sie als Kranke zu Gericht am Appellhofplatz geschleppt wurden. Demonstranten, die ihnen ihre Sympathie ausdrückten, wurden verhaftet. Die meisten Angeklagten wurden zu Festungshaft verurteilt aufgrund des neu konstruierten Straftatbestands des ›Komplotts‹, bei dem konkrete Handlungen nicht nachgewiesen werden mußten. Um so wichtiger«, sagte Rügemer, »ist es, auch mithilfe des Preises, Marx und seine Mitstreiter aus dem Exil und aus dem Justiz-unrecht symbolisch in den demokratischen Teil der Stadt zurückzuholen.« Zu diesem Zweck regte er eine Demokratie-Stiftung an, die Recherchen und Debatten organisieren soll. Das Preisgeld will er dazu beitragen.
Red.


Endlich angekommen
Der Bielefelder Monumentalhistoriker Hans-Ulrich Wehler hat viele Jahre hindurch darunter leiden müssen, daß ihn die konservative Geisteswelt des Linksdralls verdächtigte. Zu Unrecht, wie sich aus manchen Äußerungen des emeritierten Erfolgswissenschaftlers bereits seit geraumer Zeit erkennen ließ. Anläßlich des Erscheinens des 5. Bandes seiner »Deutschen Gesellschaftsgeschichte« ließ Wehler sich nun von der Neuen Westfälischen interviewen, zum Titel machte die Zeitung seinen Ausspruch »Mir ist die rote Diktatur so gräulich wie die braune.«

Was will man mehr!?

Wehler bestätigte dem Interviewer, daß er im jüngsten Band seines Werkes, in dem er sich mit der DDR-Geschichte befaßt, »polemischer, schärfer, unduldsamer« geurteilt habe als in den vorhergehenden Bänden, in denen unter anderem die NS-Zeit behandelt wird. Über die »Frontgeneration« Hitlerdeutschlands äußerte sich Wehler in dem Interview wie folgt: » Die Nationalsozialisten (...) haben eine Leistungsbereitschaft mobilisiert, ohne die man nicht sechs Jahre lang gegen die halbe Welt hätte Krieg führen können. Es bedurfte nur der Entnazifizierung dieser Leistungsmentalität. Leistungswillen brachten die jungen Infanterie-Offiziere, Panzer- und U-Boot-Kommandanten mit, was unmittelbar der sozialen Marktwirtschaft zugute kam.« Da können wir aber glücklich sein, daß die Nazis für die Bundesrepublik Deutschland so gute Frühsozialisation geleistet haben. Was hätte aus dem neuen (West-)Deutschland werden sollen ohne die militärtränierten Draufgänger? Die Gesellschaft der Bundesrepublik – ein verdienstvolles Werk des ehemaligen jungen Offizierskorps des Führers!
Marja Winken


Vergangenheit bewältigt
Eine ganze Seite Platz hatte die Frankfurter Allgemeine für ein Gespräch mit dem Sozialphilosophen Peter Furth, ehemals Professor an der Freien Universität Berlin, den sie als »geistigen Impulsgeber von 1968« und Dutschkes Doktorvater vorstellt. Furth erfüllt die Erwartungen seines Interviewers: Er rechnet mit »den« 68ern ab, auch mit sich selbst. Er bezichtigt sich, damals kein Verständnis dafür gehabt zu haben, daß »eine Republik Volk und Nation brauche«, und bei dieser Gelegenheit kanzelt er »einen Mann wie Tucholsky« ab. Inzwischen, so Furth, sei er zu der Erkenntnis gekommen, daß man vor allem gegen den Antifaschismus aufklärend angehen müsse, denn der sei »ein Herrschaftsmittel, das der Ausgrenzung von Andersdenkenden« diene. Auch habe er nun begriffen, daß »... der Krieg zur Conditio humana gehört. Im menschlichen Zusammenleben gibt es Situationen, die eine Entscheidung mit Gewalt erfordern.« Die Frankfurter Allgemeine kann zufrieden sein. Wieder einmal ein Intellektueller, der zur Einsicht gekommen ist. Er hat aus den »wilden Jahren« gelernt – so wie jene 1848er, die zur Freude Bismarcks den Weg zu Blut und Eisen fanden.
M. W.


Wilhelminismus
Karla Koriander setzt in Ossietzky 17/08 zu Recht den vor allem in Ostdeutschland grassierenden Wilhelminismus in Beziehung zum allgemein strikt befolgten Verbot, auch nur ein einziges gutes Haar an der DDR zu lassen. Die Kritiklosigkeit gegenüber dem Kaiserreich, der zunehmend nostalgische Umgang mit ihm und als schlimmstes die Förderung des Wiederaufbaus der Potsdamer Garnisonkirche als Symbol des deutschen Militarismus sind gerade deswegen so bedrohlich, weil wir seit einiger Zeit in den Feuilletons permanent von den »zwei deutschen Diktaturen« zu lesen bekommen, womit der Nazi-Staat und die DDR gemeint sind – als wäre das wilhelminische Kaiserreich eine Demokratie gewesen. Die DDR hatte gewiß Demokratie-Defizite (die BRD auch, wie der von Rainer Butenschön, Norman Paech und Eckart Spoo herausgegebene Sammelband »Demokratie – wo und wie?« zeigt), aber im Vergleich zu der 1918 revolutionär gestürzten Diktatur (mit Dreiklassenwahlrecht ohne Frauenwahlrecht, mit Kasernenhofgebrüll und Menschenmassenabschlachten in China, Südwestafrika, Flandern, Rußland) war die DDR in ihrer 1968 per Volksentscheid beschlossenen Verfassung ein Dorado von Freiheit und Gleichheit, Menschenrecht und Menschenwürde, Frieden und Demokratie. Wer also von »zwei deutschen Diktaturen« spricht und damit neben dem Nazi-Staat die DDR meint (und durch diese Gleichsetzung den Nazi-Staat unflätig verharmlost), macht klar, wohin es ihn zieht: zurück zur Monarchie. Wir sollten dann immer gleich mit dem allgemein bekannten deutschen Lied antworten: »Der will wohl seinen alten Kaiser Wilhelm wiederhaben!«
Barbara Borretsch


Herbstlicher Frühling
Als Michail Gorbatschow sein Werk vollbracht hatte, bekannte er vor Studenten der US-amerikanischen Universität in Ankara: »Das Ziel meines ganzen Lebens war die Vernichtung des Kommunismus (...) Um dieses zu erreichen, mußte ich die ganze Führung der KPdSU und der UdSSR ersetzen und ebenso die Führung in allen sozialistischen Ländern.«

Ota Sik, der 1968 im »Prager Frühling« als wirtschaftspolitischer Hauptreformer seinen tschechoslowakischen Landsleuten den »Dritten Weg« gewiesen hatte, gab 1990 in der Mlada Fronta zu wissen: »Auch für manche Reformkommunisten war schon der Gedanke an die Einführung des Privateigentums eine Todsünde. Somit war auch der Dritte Weg ein Täuschungsmanöver. Schon damals war ich überzeugt, daß die einzige Lösung für uns der vollblütige kapitalistische Markt darstellt.«

Beide Reformer sagen also, daß man ihnen nie hätte glauben dürfen. Das glaube ich ihnen.

Siks Äußerung besagt freilich alleingenommen nicht allzu viel, weil am »Prager Frühling« auch Akteure mit ganz anderen Absichten beteiligt waren.
Aber sie dürfte Interesse an einem soeben erschienen Band mit teilweise bisher unbekannten Dokumenten über die tschechoslowakische Dubcek-Ära und deren Ende wecken.
Eckart Spoo

Klaus Kukuk (Hg.): »Prag 68 – Unbekannte Dokumente« eingeleitet von Horst Schneider, Verlag edition ost, 288 Seiten, 14.90 €



Wer inszeniert Terror und warum?
Rechtzeitig zum siebten Jahrestag dessen, was man in den USA Nine Eleven nennt, ist das Nachrichtenmagazin Hintergrund erschienen, dessen Autoren sich offenbar verschworen haben, die Wahrheit über dieses rätselhafte Ereignis herauszufinden. Daß sich im Hintergrund der damaligen Anschläge potente Auftraggeber verschworen hatten, ist klar. Aber wer? Die tonangebenden Zeitungen der Westlichen Wertegemeinschaft haben in den sieben Jahren darauf verzichtet, Fragen zu stellen. Die meisten Journalisten waren und sind zu feige, die vorherrschende Verschwörungstheorie, die der US-amerikanischen Regierung, in Zweifel zu ziehen. Ronald Thoden, leitender Redakteur des Hintergrund, leitet das Heft mit einigen naheliegenden Fragen ein, darunter diesen: »Wie konnten die beiden Türme des World Trade Center so exakt geradlinig und in einer solchen Geschwindigkeit (nahezu Fallgeschwindigkeit) in sich zusammenstürzen? Warum stürzte ein weiteres Gebäude des WTC, das Gebäude Nr. 7, Stunden später auf die gleiche Weise ein, ohne von einem Flugzeug getroffen worden zu sein? Wo sind die Überreste der Boeing 757, die das Pentagon getroffen haben soll, und wie konnte das riesige Passagierflugzeug durch eine relativ kleine Lücke ins Innere verschwinden? Warum wurden bis heute keine Fotos oder Videoaufnahmen veröffentlicht, die den Einschlag des Passagierflugzeugs ins Pentagon zeigen? Die Videobänder von Kameras des gegenüberliegenden Sheraton Hotels und einer Tankstelle wurden kurz nach dem Einschlag beschlagnahmt und werden seitdem der Öffentlichkeit vorenthalten. Warum werden sie nicht gezeigt? Wie konnten bereits wenige Stunden nach den Anschlägen 19 Attentäter namentlich präsentiert werden, die angeblich von Osama Bin Laden aus Afghanistan instruiert worden waren? Wie konnten die angeblichen Terroristen alle Sicherheitsvorkehrungen auf den Flughäfen umgehen? Und wie gelang es ihnen allein mit Hilfe von Teppichmessern, vier Flugzeuge mit Besatzung und Passagieren in ihre Gewalt zu bringen? Wie konnten Terroristen ohne langjährige Flugerfahrung eine Passagiermaschine mit einem außerordentlich schwierigen Flugmanöver dicht über den Rasen ins Pentagon fliegen? Warum funktionierte ausgerechnet an diesem Tag die Flugsicherheit nicht – in einem der am besten bewachten Lufträume der Erde? Warum wurden Videobänder mit den angeblichen Geständnissen Bin Ladens falsch übersetzt? Wie konnten die Planungen einer Militärintervention in Afghanistan schon am 9. September 2001 abgeschlossen sein, wo doch die Begründung erst zwei Tage später erfolgte? Warum wurden diese und weitere Fragen im Rahmen der sogenannten Untersuchungskommission (Kean Commission) nicht beantwortet oder gar nicht erst gestellt?« Mehrere weitere Beiträge befassen sich mit inszeniertem Terrorismus, seiner Geschichte und seinen strategischen Zielen. Bestelladresse der Vierteljahresschrift: info@selbrundverlag.de; Preis pro Heft: 4.40 €
Red.


Interessen an Tibet
Wer erinnert sich noch an Tibet? Vor einigen Wochen herrschte allgemeine Aufregung: Ein Blutbad tibetanischer Mönche an chinesischen Händlern in Lhasa bewies angeblich die Berechtigung des Rufes nach Unabhängigkeit der Provinz von China. Die »Free Tibet«-Kampagne endete fürs erste mit den Olympischen Spielen in Peking, zu deren Störung sie ersonnen und reichlich finanziert worden war. Wer sich über Tibet als Objekt der Begierde ausländischer Mächte näher informieren möchte, sei auf drei Bücher hingewiesen.

Nikolai Prschewalski ist als Entdecker des Wildpferdes in Zentralasien bekannt; er war aber auch russischer Generalstabsoffizier, und für seine Forschungsreisen erhielt er finanzielle Hilfen des russischen Kriegsministeriums. Er kartierte, erkundete Wegverhältnisse, Entfernungen, Transportmöglichkeiten und kontaktierte einflußreiche Adlige.

Prschewalski war ein großes Vorbild für den Asienforscher und späteren Hitlerverehrer Sven Hedin. Zwischen 1894 und 1908 kartierte dieser weite Gebiete Tibets und Sinkiangs, ungeachtet der Verbote, die chinesische und tibetische Behörden aussprachen. So entstanden allein 1900/1901 mehr als 1140 Kartenblätter, die das »unbekannte Land« darstellten. 1904 kommandierte Oberst Sir Francis Younghusband, britischer Resident in Kaschmir, eine militärische »Strafexpedition« nach Tibet, bei der auch Lhasa besetzt wurde. Welche Rolle mögen Hedins Kartenblätter dabei gespielt haben? Für seine dritte Tibetexpedition 1905–1908 erhielt Hedin erneut die Unterstützung von Oberst Younghusband, obwohl die Regierung in London wegen der internationalen Lage offiziell von der Reise abriet und Hedin keine legalen Reisepapiere der chinesischen Regierung für Tibet hatte und sich deshalb auf Umwegen ins Land schlich.

Der dritte Tibetreisende, von dem hier die Rede sei, ist der britische Journalist Alan Winnigton, der sich 1955 und 1959 in Tibet aufhielt und dabei die Fahrzeuge der Volksbefreiungsarmee nutzen konnte. Sein Reisebericht ist höchst aktuell, gibt er doch eine Ahnung von den gewaltigen Veränderungen in dem damals feudalabsolutistisch-klerikalen Land mit Leibeigenschaft, Sklaverei und Frondiensten. Tibet war kein idyllisch-harmonisches esoterisches Paradies Shangri-La, zu dem es von vielen – darunter auch manchem Journalisten – hochstilisiert wird. Ein Glück für die Tibeter, daß die einstigen Herrschaftsverhältnisse mit Auspeitschen, Verstümmeln, Folterungen, Tötungen, mit sich bekämpfenden Familienclans und finsterstem Aberglauben, der nur wenig mit der friedlichen Lehre des Buddha zu tun hat, allmählich überwunden sind. Winningtons Buch ist eine lebendige Darstellung des Veränderungsprozesses, der durchaus nicht frei von Widersprüchen verläuft. Michael Polsters Einleitung »Das große Spiel um das Dach der Welt« verweist auf aktuellste Hintergründe und Zusammenhänge.
Eines ist allen drei Reiseberichten gemeinsam: Sie sind sachlich geschrieben, verklären nichts und sind im aktuellen Buchhandel erhältlich.
Rudolf Turber

M.M. Prschewalski: »Auf Schleichwegen nach Tibet 1870-1873«, Edition Erdmann, 2004, 318 Seiten, 24 €; Sven Hedin: »Transhimalaja«, Brockhaus Verlag 1909 und Edition Erdmann 2004, zwei Bände, je 312 Seiten, je 24 €; Alan Winnington: »Tibet – die wahre Geschichte«, Verlag Das Neue Berlin 2008, 320 Seiten, 14,90 €


In Abgründe steigen
Wir lernten uns in Amsterdam kennen. Damals war er 25, jetzt ist er 50. Eine Woche lang wohnten wir in einem Appartement der Amsterdamer Universität, bummelten durch die Stadt, streiften durch Gemäldegalerien, saßen in kleinen Kneipen und hörten dort gute Musik, tranken Bier, schwiegen meist und hingen unseren Gedanken nach. Dann vergingen Jahrzehnte. Ab und zu kam ein Gruß von ihm. Aus Thailand, den Philippinen, Bali, Indonesien, aus Florida. Alles Gegenden, die mir verschlossen waren. Einmal weilte er in seinem Geburtsland, der Schweiz, bei seinen Eltern, einmal in den Vogesen. Und plötzlich baute er an der Westküste Irlands ein Haus. Als er vor einigen Monaten zu mir in das kleine Meerane kam, umarmten wir uns auf dem Bahnhof, und die Zeit dazwischen spielte keine Rolle mehr. Aber er war in Gedanken schon in Wien, im September will er in Lettland sein. Es ist, als sei er ständig unterwegs, um nach Hause schwimmen zu können. So heißt sein jetzt erschienenes Buch: »Nach Hause schwimmen«. Es ist nicht Rolf Lapperts erstes Buch. 1994 kam sein Roman »Der Himmel der perfekten Poeten« heraus. Die Beschreibung des Zusammenlebens von vier Schriftstellern, die einer Demaskierung gleichkommt. Gut geschrieben. Aber mit »Nach Hause schwimmen« hat er sich nach oben ans Licht geschrieben. Wilbur, die Hauptfigur, nur 1,50 Meter groß oder klein, kommt im Amerika der unbegrenzten Möglichkeiten zur Welt. Aber die Mutter stirbt bei der Geburt, der Vater verschwindet schockiert. Ein Start im Brutkasten. Die Großeltern nehmen das Kind in Irland unter ihre Fittiche. Großmutter Orla wird zu seinem Halt. Doch sie verunglückt mit ihrem Auto tödlich. Wilbur macht sich auf, in Schweden seinen Vater zu suchen, findet ihn als einen Alkoholiker. Alice aus alter Zeit holt ihn nach Amerika zurück und rettet ihn so vor einem Ende in einem Erziehungsheim. Schließlich lebt er in einer Anstalt voller gescheiterter Selbstmörder und erfährt danach Zusammenhalt in einem Hotel mit alten Männern. Aimée, Pflegerin in der Selbstmörderanstalt, erreicht es durch ihre Liebe, daß er langsam über seine 1,50 Meter hinauswächst. Nach Hause schwimmen: Trotz aller Widrigkeiten und Bitternisse Mut finden. Lappert erzählt auf zwei Ebenen: was geschehen ist und was geschieht. In diesem Spannungsfeld bewegt sich der Leser, getragen von einer schier unerschöpflichen Fülle an Menschenschicksalen und Lebensgeschichten. Manchmal liegt ein leiser Humor des Autors über den Begebenheiten seiner literarischen Helden, eine Umarmung, die aus genauer Kenntnis sozialer Verhältnisse kommt. Lapperts Weltbereistheit ist in diesem Buch zu spüren; aber auch die eindringliche poetische Sprache und die Freude am Detail machen es zu einem Stück großer Literatur. »Ich finde es interessanter, Menschen zu folgen, wenn sie in Abgründe steigen«, sagt Lappert. Man muß sich Zeit nehmen in diesem Buch, um mit hinabsteigen zu können und herauszufinden mit Wilbur zu einem Fünkchen Hoffnung.
Wolfgang Eckert

Rolf Lappert: »Nach Hause schwimmen«, Hanser, 544 Seiten, 21.50 €


Walter Kaufmanns Lektüre
Die Band »Jessica« mit ihrem Lead-Sänger Tino Eisbrenner hatte sich zu DDR-Zeiten eines große Fan-Gemeinde erobert, die später bis zur Wende der Band »Eisbrenner« die Treue hielt. Welche Hürden damals und seitdem zu meistern waren, schildert das Buch. Tino Eisbrenner erzählt hart, genau, humorvoll oft, bissig auch, erzählt von eigenem Auf und Nieder, den Frauen, für die er entbrannte, dem unbändigen Drang in die Weite, seiner Neugier auf die Welt, und was die Neue Welt ihn lehrte. Der Sänger Eisbrenner paßt sich nicht an, kniet nicht nieder vor dem Mammon, sein Herz schlägt für die Unterdrückten, er dringt tief ein in die Welt der Indianer und Indios, schöpft aus deren Liedgut, ihrer Lebensart und wird, blond und deutsch, zeitweilig selber zum Indio. Die stärksten Passagen seines Buches sind die, in denen er seine Begegnungen mit den Ländern Südamerikas wiedergibt, Erlebnisse in Chile, Mexiko, Nikaragua ... Hier schreibt ein Mann mit Herz und Verstand und – das sei betont – mit einem aus dem Osten in den Westen hinübergeretteten Gerechtigkeitssinn. »Besser als zu nehmen ist zu geben« – Tino Eisbrenner gibt mit beiden Händen.
Walter Kaufmann

Tino Eisbrenner: »Von Heute auf Morgen«, Verlag Steffen, 229 Seiten, 19.95 €


Press-Kohl

Eines der großen Menschheitsrätsel ist nun endlich gelöst worden, und zwar, wie die Deutsche Presse-Agentur meldet, von Forschern der Universität Bristol: Schon Adam und Eva hätten außer dem Apfel der Erkenntnis gern ein Käse-Sandwich verzehrt, das vorschriftsmäßig zubereitet worden ist. Adam hatte damals gewisse Probleme. Die paradiesische Schlange konnte ihm allerdings »die Formel für das perfekte Käse-Sandwich« nicht verraten. Als man diese Formel an den Ufern des Avon endlich gefunden hatte, war Adam bereits verstorben. Hier die Formel: »Man setze die Dicke der Brotscheiben in Relation zur Menge der Mayonnaise und Anzahl der Tomatenscheiben, um die richtige Dicke der Käsescheibe herauszubekommen. Im Internet gibt es unter www.cheddarometer.com eine Rechenhilfe.« Wenn sich jemand unbedingt mit Mayonnaise vergiften will, braucht er weder Internet noch Rechenhilfe.
Felix Mantel