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Titel1910

Einfach mal eben machen  (Dietrich Kittner)

Letzte Woche wollte ich mir einen vom Sender 3-sat (Werbespruch: »anders fernsehen«) angekündigten Dokumentarfilm über die Zerstörung des Word Trade Center in New York am 11.9.2001 ansehen. Der Titel schien vielversprechend. Leider wurde der Streifen ohne Begründung abgesetzt. Der plötzlichen Programmänderung ging fünf Minuten vorher eine knappe Laufschrift voran, in der es lapidar hieß: »Der 11. September – Die wahre Geschichte entfällt.« Wie wahr.

Stattdessen zeigte man einen Naturfilm über Störche, wohl für Leute, die noch an den Klapperstorch glauben.

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Firmen ist es laut höchstrichterlichem Urteil jetzt endlich verboten, ihre Belegschaft am Arbeitsplatz per Video überwachen zu lassen. Einzige Ausnahme: ein begründeter Verdacht auf explizit kriminelle Handlungen.

Da sollte man die Kameras wohl besser in den Chefetagen und auf Golfplätzen installieren.
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Die Bundesregierung führt nun auch offiziell wieder Krieg im Ausland, es gibt wieder neue Kriegerdenkmäler und Tapferkeitsorden, Staatsbegräbnisse für »Gefallene«, die Vorräte der Bundeswehr an Zinksärgen und Leichensäcken mußten aufgestockt werden. Dies ausnahmslos alles hatte ich in Ossietzky schon vor Jahren prophezeit. Die nächstfällige Schlußfolgerung traue ich mich kaum noch zu ziehen. Inzwischen nämlich läßt man deutschen Soldaten ihre Blutgruppenzugehörigkeit auf die Uniformärmel nähen. Praktisch.

Was aber, wenn bei einer Verwundung auch der jeweilige Kampfanzug Schaden nimmt? Die logische Konsequenz, den Kämpfern für Deutschlands Weltmacht das entsprechende Kennzeichen dann doch sicherheitshalber gleich auf den Arm zu tätowieren, wird sich die Bundesregierung möglicherweise – vorsichtig wie sie ist – einstweilen verkneifen. Viele Nazimörder und Kriegsverbrecher hat man nach 1945 an der für alle SS-Angehörigen obligatorischen Blutgruppentätowierung unter der Achsel erkannt.
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In letzter Zeit konnten wir überdurchschnittlich viele überraschende freiwillige Rückzüge von Politikern »ins Private« verzeichnen zu unserer realen Regierung, den Konzernen. Da lassen sich eben doch noch höhere Verdienste erwerben. Die Damen und Herren treibt jedoch, meine ich, ebenso heftig ein anderer persönlicher Grund. Nehmen wir mal an, sie besäßen dank zahlloser Berater tatsächlich einen Blick auf die ungeschminkte Zukunft – die Paten verlassen das sinkende Schiff.
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Sarazene ist laut Meyers Neuem Lexikon eine altertümliche Bezeichnung für Muslime. Gene pflanzen sich in Familien von Generation zu Generation fort, so wie alte Familiennamen auch. Letztere sind allerdings gelegentlich geringfügigen Lautverschiebungen unterworfen. Vielleicht ist dem Herrn Bundesbankvorstandmitglied a. D. Sarrazin bei seiner Lehre vom abstammungsabhängigen Dummheits-Gen doch einfach nur ein grundsätzlicher Denkfehler unterlaufen, der den Tatbestand auf den Denkerkopf stellt.
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Die Mehrheit der rechtsschaffenden niedersächsischen Landtagsabgeordneten hat, nur ihrem Gewissen verantwortlich, beschlossen, das laut niedersächsischem Landesgesetz unter Denkmalschutz stehende niedersächsische Landtagsgebäude abreißen und durch einen Neubau ersetzen zu lassen. Angeblicher Kostenpunkt, von dem jedermann weiß, daß er wie üblich bei weitem nur einen Bruchteil des wirklichen Finanzaufwandes ausmachen wird: reichlich vierzig Millionen Euro. Eine umfassende Renovierung würde mit 27 Millionen zu Buche schlagen. Die wäre den Volksvertretern jedoch zu billig, weil das für 170 Parlamentarier ausgelegte Gebäude inzwischen nur noch mit rund 150 Abgeordneten zum Bersten überbelegt und ihnen damit zu eng ist.

Der Platz für die Göttinger Sieben, die 1837 gegen die Aufhebung der Verfassung durch den König protestiert hatten, deshalb fristlos entlassen wurden und nun zur ständigen Mahnung als Denkmal beim Parlament vor der Tür stehen, konnte nach zäher Verteidigung (wahrscheinlich) gerettet werden.

Gegen den Neubaubeschluß bildete sich rasch eine starke Bürgerinitiative, die nicht nur per Demos und Unterschriftenlisten aktiv wird, sondern auch einen Autoaufkleber unters niedersächsische Staatsvolk brachte. Der trägt den Text: »Steht auf! – Gegen den Abriß des Landtags« und zeigt dazu das springende weiße Niedersachsenroß.

Da hatten die Organisatoren freilich die Rechnung ohne die Obrigkeit gemacht! Die hannöversche Regierung verbot das Emblem schnurstracks mit der Begründung, bei dem Gaul handele es sich um das Wappentier des Landes, und die Darstellung eines springenden Pferdes sei folglich einzig und allein staatlichen Behörden verstattet. Erst nach langem Hin und Her wurde höchstobrigkeitlich gnädig eine seitenverkehrte Abbildung des Tiers bewilligt. Nun macht das Bürger-Ini-Roß Front nach Rechts. Ein Fortschritt.
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Bei einer Straßendiskussion über den o. e. Neubau fiel übrigens ein großes Wort. Eine aufs Thema angesprochene, sonst nicht weiter bekannte Abgeordnete ließ sich wie folgt vernehmen: »Ja, wir wußten, daß es Ärger geben wird. Aber nun machen wir es einfach mal.«

Auf weiterbohrende Fragen nach den nahezu gleichzeitig erfolgten Streichungen im Sozialbereich und einer Diätenerhöhung von 400 Euro monatlich antworte die Gute: »Wir haben den Widerspruch auch gesehen; wir haben uns aber gesagt: Wir machen es eben einfach mal.«