Auf Charlottenburger Bühnen präsentieren sehr muntere Mimen flott und lautstark ihre Talente als aktive Prügelknaben sowie auch als ebenso kräftige wie geschickte Kämpfer im Boxring – und im Umgang mit den Managern ihres beliebten und profitablen Kampfsports.
»Goldener Westen« von Sam Shepard. Ein Gastspiel des Théâtre National du Luxembourg im Renaissance-Theater, Regie Frank Hoffmann. Luxemburg ist hauptsächlich durch Lehárs Graf von Luxemburg bekannt, den man sich so vorstellen muß, wie Johannes Heesters ihn sich vorstellte, als er vielleicht noch glaubte, er sähe ungefähr so aus wie ein Graf von Luxemburg. Neuerdings hört man von Geldgeschäften, die in Luxemburg stattfinden oder abgestritten werden. Shepards Stück enthält keinen Grafen, sondern zwei amerikanische Brüder, die von türkischen Künstlern dargestellt werden. Oktay Özdemir sah man schon in Detlev Bucks Film »Knallhart«. Seitdem, las ich, bezeichnen die Kritiker ihn »aufgrund seiner physischen Präsenz vor der Kamera als Naturereignis«. Wenn ein Akteur vor der Kamera körperlich anwesend ist, damit man ihn im Film auch sehen kann, so ist dies ein Naturereignis! Man merke sich das. »Einen gewaltbereiten Jungen spielte er auch im TV-Film ›Wut‹.« Und hier, erstmals auf der Bühne, spielt er auch einen namens Lee. Dermaßen glaubwürdig, daß man um die physische Existenz des denkmalgeschützten Hauses bangte. Das Ärgste verhinderte sein Bruder Austin (Eralp Uzun) als zunächst besonnener »studierter« Hollywood-Drehbuchautor, bis auch der fand, daß man mit einem Stuhlbein besser als mit Worten argumentieren kann. Da kulminierte das dramatische Gewitter. Erkältete Gäste hörten ihr eigenes Niesen nicht mehr. Die Geräusche des Komponisten und Lärm-Arrangeurs René Nuss verschonten lediglich einige »taube Nüsse« im Parkett. Lee und Austin wurden immer wütender und wußten vielleicht selber nicht, worüber sie sich zankten.
Als Schicksalsstifter taucht ein reitender Bote aus Hollywood auf und entschließt sich in wenigen Minuten dazu, den dicken Vertrag nicht mit dem studierten Skript-Boy, sondern mit dessen flegelhaftem Bruder abzuschließen, weil ihm dieser das Leben so urig schildert, wie es nun mal spielt und in vielen US-Filmen koloriert und als ideologische Sülze serviert wird. Nach einer Weile taucht die Mami der Brüder in ihrem Haus auf, das sie kaum wiedererkennt. Die Söhne kann sie noch identifizieren, der Sinn des Stücks scheint aber auch ihr nicht recht klar zu werden. Shepards Dichtung gehört nämlich zu jenen Werken, deren Tiefsinn man nicht aus der Aufführung erfährt, sondern aus dem Programmheft.
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»Der Kampf des Jahrhunderts« erinnert an die Begegnungen der großen Boxer Max Schmeling und Joe Louis anno 1936 und 1938. Zu der Premiere des Box-Musicals von Paul Graham Brown (Musik, musikalische Leitung) und James Edward Lyons (Buch, Liedtexte und Regie) in der Tribüne am Ernst-Reuter-Platz hatte man viele Boxer und Experten dieses Sports erwartet. Die mußten wegen eines anderen wichtigen Termins leider absagen. »Sein 30-jähriges Jubiläum hatte sich Manager Sauerland anders vorgestellt«, meldete die
Berliner Morgenpost. »Statt des erhofften Sieges von IBF-Mittelgewichts-Weltmeister Arthur Abraham gegen den Amerikaner Raul Marquez gab es eine Absage ... der Schützling von Trainer Ulli Wegner bekam wegen seiner Grippe ein ärztliches Startverbot ...« Dennoch war die Tribüne proppenvoll. Mein Kollege Andreas Kurtz hustete mehr als er wie gewohnt scherzte – bedenklich. Kurtz war geimpft worden. Unsere Hautärztin hatte das Serum noch nicht vorrätig; ich blieb bislang verschont.
Die Darbietung bot Leuten, die sich unter einem Box-Musical nichts Näheres vorstellen konnten, eine angenehme Überraschung. Diese Premiere zeigte nicht die geringste Nervosität oder Unsicherheit. Alles lief ab wie an dem sprichwörtlichen Schnürchen, und das war keine öde Routine, sondern bewundernswerte Sicherheit. Die spielenden Sänger verpaßten keinen Einsatz, obwohl ihnen der musikalische Leiter, Komponist Brown, keinen sichtbaren Einsatz geben konnte. Brown war an seinem Klavier so souverän wie seine Kollegen Max Teich und Max Hacker an ihren Blasinstrumenten. Der historische Hintergrund der Handlung ist dem Publikum vertraut und braucht keine weitschweifige Erklärung: James Edward Lyons (Librettist/Regisseur), unterstützt von Tim Zimmermann (Choreografie) und Francisco Sanchez (Box-Choreografie), verfügte über ein Ensemble von Musical-Spezialisten: Gina Maria Hudson (Maria Louis), Lada Kummer (Anny Ondra), Michael Starkl (Max Schmeling), Ricky Watson (Joe Louis), Jan-Andreas Kemma, Richard McCowen, David Schroeder, William Ludwig, Daniel Pabst, der durch seine darstellerische Vielseitigkeit besonders auffiel. Nicht zu vergessen der hübsche Eindruck, den Karolin Horn als Blumenmädchen machte.
»Der Kampf des Jahrhunderts« ist ein Musical mit kaum schlagerverdächtigen, doch flott arrangierten Nummern. Kein Lehrstück. Entertainment mit politischer Moral.
»Louis‘ sensationeller Sieg in weniger als zwei Minuten«, so steht es in der Konzeption der Tribüne, »wurde für viele Menschen zum Hoffnungsschimmer, daß nun auch Hitler besiegt werden könne. Die USA hatten ihren ersten schwarzen Helden und taten dadurch einen ersten zaghaften Schritt in Richtung Gleichberechtigung der Rassen. Ein Weg, der vielleicht in der kommenden Präsidentschaftswahl seine Vollendung findet.«
Warten wir’s ab!