Sehr groß scheint die Zahl der Bewerber nicht gewesen zu sein, als Kulturstaatsminister Bernd Neumann zu Beginn des vergangenen Jahres einen Direktor für die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung suchte. Sonst wäre er nicht ausgerechnet auf Manfred Kittel verfallen, einen 1962 geborenen Historiker, der schon mit seiner Dissertation über die Vergangenheitsbewältigung während der Adenauer-Ära gezeigt hat, wes Geistes Kind er ist. Für ihn gehören »sämtliche ›antifaschistischen‹ neomarxistischen oder sonstigen restaurationskritischen Theorien zur mißlungenen ›Vergangenheitsbewältigung‹ in das Reich der Legende«. Die Zeit bezeichnete die Arbeit als »Produkt jungkonservativer Geschichtsrevision«. Daß dem Verfasser später auch peinliche Fehler bei der Darstellung konkreter Sachverhalte nachgewiesen wurden, nahm er schweigend hin.
Der Bund der Vertriebenen bejubelte Kittels Berufung zum Direktor der Stiftung mit den Worten, damit seien die Weichen richtig gestellt. Auch der Kulturstaatsminister zeigte sich zufrieden: Kittel bringe mit seiner ausgewiesenen Sachkenntnis und Erfahrung bei der Thematik Flucht und Vertreibung »die besten Voraussetzungen für einen erfolgreichen Aufbau der Dokumentationsstätte mit«. Inzwischen scheint die Euphorie verflogen zu sein. Mehr als ein Jahr nach seiner Amtsübernahme hat es der Stiftungsdirektor immer noch nicht fertig gebracht, ein Konzept für die geplante Dauerausstellung vorzulegen. Über die Gründe darf gerätselt werden. Anscheinend fällt es Kittel nicht leicht, die Vorstellungen des Bundes der Vertriebenen mit dem gesetzlichen Zweck der Stiftung zu vereinbaren. Danach soll die Erinnerung an Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert im Geiste der Versöhnung und im historischen Kontext des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik und ihrer Folgen wachgehalten werden.
Daß Hitler die Vertreibung verursacht hat, hören die Wortführer der Vertriebenen nicht gern; viele haben ihm ja zugejubelt. Sie – aber auch andere – lassen allenfalls gelten, daß Hitler den erhofften Vorwand geliefert habe, eine seit langem geplante Vertreibung der Deutschen in die Tat umzusetzen. Auch Kittel sieht das allem Anschein nach so. Wahrscheinlich fand deshalb eine konzeptionelle Auseinandersetzung bisher nicht statt. Eine Gruppe von sieben Historikern unter Leitung von Professor Martin Schulze Wessel hat Kittel jetzt vorgeworfen, diese Auseinandersetzung dadurch zu behindern, »daß die Stiftung keinen Einblick in ihre konkreten Planungen zuläßt«. In ihren eigenen konzeptionellen Überlegungen vom 9. September erklären die Historiker: »Die Ausstellung muß deutlich zeigen, welche Politik zu den Vertreibungen geführt hat. Und sie muß den kategorialen Unterschied zwischen den Vertreibungen und den systematisch betriebenen Massenmorden an Juden und anderen Gruppen deutlich machen.«
Selbstverständlich würde sich Kittel niemals die Blöße geben, den Zusammenhang zwischen den Naziverbrechen und der Vertreibung in Abrede zu stellen. In seinem Buch »Die Vertreibung der Vertriebenen« spricht er von »Motivketten nationalpolitischer, machtpolitischer, ideologischer und massenpsychologischer Art«, die beim Entschluß zur Vertreibung zusammengewirkt hätten. Was damit gemeint ist, haben vor ihm bereits deutschvölkische Autoren beschrieben. In ihren Augen war die Vertreibung nicht eine Art kollektiver Bestrafung, die vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft verständlich wird (so Marion Frantzioch in ihrem Buch »Die Vertriebenen«). Vielmehr hätten die slawischen Profiteure des Versailler Vertrages die Gunst der Stunde genutzt, um überlieferte nationalistische Bedürfnisse zu befriedigen. Offenbar in diesem Sinne deutete Kittel kürzlich auf einer Tagung in Berlin an, er wolle den Ersten Weltkrieg und die Friedensverträge von Versailles samt der damit einher gehenden Nationalstaatsidee in die Vorgeschichte der Vertreibungen von 1945/46 einbeziehen. Das würde die Naziverbrechen als Vertreibungsursache marginalisieren, den Zusammenhang zwischen Krieg und Vertreibung verwässern und dem Stiftungszweck widersprechen.
Der Kulturstaatsminister wird auf der Hut sein müssen. Bei der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung handelt es sich schließlich um eine staatlich finanzierte Einrichtung. Was Kittel als Stiftungsdirektor ausbrät, ist keineswegs Sache der Vertriebenen. Verantwortlich für das Ergebnis ist allein die Bundesregierung.