Zu Beginn des vergangenen Jahres stellten sich die Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, Renate Künast und Jürgen Trittin, den Fragen des Tagesspiegel. Als sich der Interviewer des Berliner Blattes an Trittin mit der Bemerkung wandte: »Im Gegensatz zu Ihnen gilt Renate Künast als Menschenfischerin«, ergab sich ein erinnernswerter, recht aufschlußreicher Dialog:
»Trittin: Ich glaube, wir wirken auf unterschiedliche Menschen unterschiedlich. – Künast: Es ist auch immer die Frage, auf welche Fische man gerade geht. Da ergänzen wir uns gut. – Tagesspiegel: Auf welche Fische gehen Sie, auf welche Herr Trittin? – Künast: Jürgen fischt eher links, ich eher beim grünen Bürgertum. Aber natürlich gibt es auch große Schnittmengen. – Trittin: Am Ende kommt es darauf an, daß der Fang groß ist.«
Gegenwärtig scheinen die »Menschenfischer« Erfolge zu haben (s. Ossietzky 20/10). Ihre engmaschigen Netze sind gut gefüllt. In den jüngsten Umfragen sprachen sich mehr als 20 Prozent der Befragten für die Grünen aus, mit anderen Worten: Etwa jeder fünfte Wähler würde im Falle einer Bundestagswahl seine Stimme der vor dreißig Jahren gegründeten Partei geben. Ein wirklich schönes Ergebnis, zu dem auch die Printmedien mit ihrer kontinuierlichen pfleglichen Behandlung der Grünen mehr als nur ein Scherflein beigetragen haben. Auch bei ARD und ZDF vergeht kaum ein Tag, an dem in den Hauptnachrichtensendungen nicht ein Vertreter der grünen Vierertruppe Künast, Trittin, Roth und Özdemir zu Wort kommt und die Politik der Merkel-Westerwelle-Regierung scharfer Kritik unterzieht – auch in den Fragen, in denen die eigene Partei, wie zum Beispiel bei Hartz IV und den Kriegseinsätzen der Bundeswehr, ziemlich viel Dreck am Stecken hat.
Selten wurde eine sich links gebärdende oppositionelle Partei von den meinungsmachenden Medien so gehätschelt und begönnert. Da kann Die Linke als etwa gleich starke Oppositionspartei im Bundestag nur neidisch zusehen. Dabei liegt der Grund für die unterschiedliche Behandlung auf der Hand: Die Linke gilt als systembedrohend, die Grünen dagegen haben sich als systemtreu und außerordentlich anpassungs-, wandlungs- und verwendungsfähig erwiesen.
1980 als »soziale, ökologische, basisdemokratische und gewaltfreie« Anti-Parteien-Partei gegründet, sind sie mittlerweile nach langem Streit, vielen Parteitagen, erheblichem Wechsel in der Zusammensetzung der Mitgliedschaft sowie nach Regierungsbeteiligungen im Bund und in Ländern zu einer normalen bürgerlichen Partei, zu einer Partei der Besserverdienenden und damit zu einer Art Ersatz-FDP geworden. Natürlich weisen ihre Spitzenleute eine solche Einschätzung empört zurück, aber selbst die Fraktionsvorsitzende Künast meinte unlängst: »Bürgertum und gesellschaftliche Mitte haben sich verändert ... Das Bürgertum ist heute offen und wertegeleitet. Wir sind die linke Mitte und vertreten einen Großteil dieses Bürgertums.« Erhalten hat sich lediglich der Gründungsmythos der Grünen, die Ablehnung der Kernenergie, von der sie zur Zeit prächtig profitieren.
Gestartet waren die Grünen als durch und durch pazifistische Partei, die den sofortigen Austritt aus dem Nordatlantikpakt und die Auflösung der NATO und des Warschauer Militärbündnisses forderte. Inzwischen ist sie zu einer Kriegspartei geworden, die die Auslandseinsätze der Bundeswehr verteidigt und als Koalitionspartner in der Schröder-Fischer-Regierung beim NATO-Überfall auf Jugoslawien eine entscheidende Rolle spielte. Bis zum heutigen Tag hat sich die ökologische Partei nicht von diesem Verbrechen distanziert, nicht einmal vom Einsatz von 31.000 krebserregenden Geschossen mit abgereichertem Uran und von der Zerstörung von Chemiefabriken und Erdölraffinerien in unmittelbarer Nähe der Millionenstadt Belgrad und der Hauptstadt der Vojvodina, Novi Sad. Keine Rede von dem unermeßlichen Schaden, der den Menschen und der Umwelt zugefügt wurde.
Innenpolitisch verhält sich die Partei wenig anders. Mit großen Anstrengungen versucht sie, vergessen zu machen, daß sie als Regierungspartei an der Seite der SPD maßgeblich an der sozialen Schandtat Agenda 2010 und an der Einführung der Hartz-Gesetze beteiligt war. Und ohne jegliche Selbstkritik kritisiert sie jetzt die Auswirkungen dieser Gesetze und die Sparpolitik der schwarz-gelben Regierung. Ähnlich wie die SPD fordert sie, was sie unlängst noch ablehnte: eine Erhöhung der »Hartz-IV«-Sätze und einen allgemeingültigen, wenn auch niedrigen Mindestlohn.
Im Bundestag schlagen die Grünen auf die CDU/CSU und die FDP ein, im Saarland regieren sie mit beiden Parteien, in Hamburg mit der Union und in Bremen und Nordrhein-Westfalen mit der SPD. In Baden-Württemberg, wo im März kommenden Jahres der neue Landtag gewählt wird, streben sie nach Regierungsbeteiligung, egal in welcher Konstellation, denn sie »stehen«, wie ihr Landtagsfraktionschef Winfried Kretschmann stolz erklärte, »richtig im Saft nach 30 Jahren«.
Wenn es um die Honigtöpfe der Macht geht, kann man sich ruhigen Gewissens dem Verdacht politischer Beliebigkeit aussetzen. Schließlich hieß es schon im ersten grünen Bundesprogramm: »Wir sind weder rechts noch links, sondern vorn!« Ganz vorn fühlte sich die zeitweilige Bundesvorsitzende der Grünen und langjährige Bundestagsabgeordnete Angelika Beer, als sie ihre Position mißbrauchte, um die deutsche Teilnahme an der Aggression gegen Jugoslawien zu rechtfertigen. Aber in innerparteilichen Machtkämpfen unterlag sie anderen und trat dann im vorigen Jahr mit der Begründung aus der Partei aus, sie habe »Null Verständnis« dafür, »daß es bei den deutschen Grünen nur noch um das Erringen von Macht geht ...«.
Machthunger ist schwer zu stillen, zumal dann nicht, wenn er vom Instinkt geleitet wird. Das weiß auch die Fraktionsvorsitzende Künast: »Eines ist sicher: Der Machtinstinkt der Grünen ist auch groß. Wir wollen größer werden, damit wir noch mehr Macht haben.« Deshalb wirft sie ihre Netze aus, um einen möglichst großen Fang zu machen – was ihr kein Christenmensch verdenken kann, hat doch schon Jesus seine Jünger aufgefordert: »Kommt her, folgt mir nach! Ich werde Euch zu Menschenfischern machen« (Lukas 5/10).