»Denn mächtig verbündet in unseren Tagen
Das reiche Ungeziefer ist.
Es sitzt mit dem Geldsack unterm Arsch
Und trommelt den Dessauer Marsch.«
(Heinrich Heine: »Der Wanzerich«)
»Wir nehmen Heinrich Heine als Ganzes.« So besitzergreifend sprach der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), als er Ende Juli in einem feierlichen Akt in der 1842 errichteten Regensburger »Ruhmeshalle der Deutschen«, der »Walhalla« hoch über der Donau, eine 75 Zentimeter hohe Büste des Dichters enthüllte. Eine Art Wiedergutmachung dafür, daß ihm 1828 in München wegen seines Judentums eine Professur verweigert wurde? Jedenfalls steht er nun als 130. Kopf gleich neben der Siegesgöttin an dem Ort, den er einst als »marmorne Schädelstätte« verspottete.
Fast ist man versucht, an der weiteren Berechtigung der bitteren Klage Kurt Tucholskys zu zweifeln: »Die Zahl der deutschen Kriegerdenkmäler zur Zahl der deutschen Heine-Denkmäler verhält sich wie hierzulande die Macht zum Geist.« Die Düsseldorfer Bourgeoisie (und die deutsche insgesamt) hat den Verfasser ob der eingangs zitierten und weiterer böser, ketzerischer, nestbeschmutzender, unpatriotischer und obszöner Verse und Schriften (dazu auch noch Jude!) über lange Jahre nicht so recht ins Herz zu schließen vermocht. Die »Loreley« des »unbekannten Dichters« ging mal eben noch durch. Dabei hat der in der Düsseldorfer Bolkerstraße 602 (heute Nr. 53) Geborene die Stadt am Rhein doch so geliebt. »Die Stadt Düsseldorf ist sehr schön, und wenn man in der Ferne an sie denkt und zufällig dort geboren ist ... ist es mir, als müßte ich gleich nach Hause gehen.«
Nachdrücklich hat er auf Düsseldorf als seiner Geburtsstadt bestanden »für den Fall, daß nach meinem Tode sieben Städte – Schilda, Krähwinkel, Polkwitz, Bockum, Dülken, Göttingen und Schöppenstedt – sich um die Ehre streiten, meine Vaterstadt zu sein.« Der Streit blieb aus, wie auch die »grünverschleierten vornehmen Engländerinnen« nicht nach Düsseldorf kamen, um sich, dem Dienstmädchen Trinkgeld gebend, das »berühmte Haus« und die Stube zeigen zu lassen, »worin ich das Licht der Welt erblickte«. Apfeltörtchen hingegen, wie er sie einst besungen hatte, gab es viele Jahre nach seinem Tode im Geburtshaus, nachdem hier eine Bäckerei eingezogen war. Der Liedermacher Dieter Süverkrüp, ein geistiger Enkel des Dichters, sang davon zu dessen 175. Geburtstag. Auf seiner »Ansichtspostkarte aus Düsseldorf«, der »verbiesterten Stadt, / die heute noch heimliches Bauchweh / von deiner Hervorbringung hat«, konnte er dem »lieben Genossen Heine« berichten: »Es ward dein Geburtshaus mit einer Plakette versehen / grad über der Leuchtschrift vom Bäcker, / die Brötchen sind übrigens nett, / wir essen sie donnerstags morgens / und lesen dabei die
UZ.«
Seit 1990 steht das Geburtshaus auf der offiziellen Denkmalliste der Stadt und beherbergt nach umfassender Renovierung seit 2000 eine Literaturhandlung nebst Literaturcafé. Der »Verein zur Förderung des Heinrich-Heine-Geburtshauses e. V.« ist hier aktiv. Heine holt auf. Es hat sich, zumindest was die Präsenz Heines im Stadtbild betrifft, einiges geändert seit jener Zeit, da der von den Faschisten verfolgte und wegen seines Engagements gegen die Wiederaufrüstungspolitik der Bundesregierung als Intendant des Hagener Schauspielhauses aus dem Amt gejagte Otto Schönfeldt 1968 den »Bürgerverein Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf« gründete. Mehrere Tausend Unterschriften wurden damals für die Benennung der Universität nach dem Dichter gesammelt. Weil sich Schönfeld auch für die Aufhebung des KPD-Verbots von 1956 einsetzte, wurde die Initiative als »kommunistisch unterwandert« gebrandmarkt und war damit ein Fall für den »Verfassungsschutz«.
Mittlerweile gibt es eine 450 Meter lange und 40 Meter breite Heinrich-Heine-Allee. Auch ein Platz, eine Gesamtschule, ein Preis der Stadt Düsseldorf und ein Institut tragen den Namen Heines. Am 20. Dezember 1988 erreichte die Initiative des »kommunistisch unterwanderten« Bürgervereins des »Krypto-Kommunisten« Schönfeldt ihr Ziel: Die Universität (bis dahin Medizinische Akademie) erhielt den Namen »Heinrich-Heine-Universität«. Vor deren Philosophischer Fakultät steht eine Bronze-Statuette, die nach einem Werkstattmodell des Hamburger Bildhauers Hugo Lederer entstand. Das Original war 1933 von den faschistischen Barbaren demontiert und eingeschmolzen worden. Auf dem Schwanenmarkt nahe der Königsallee gibt es seit 1981 ein zum 125. Todestag des mittlerweile in der Fremdenverkehrswerbung zum »größten Sohn der Stadt« avancierten Heine geschaffenes Monument von Bert Gerresheim. Derselbe Künstler schuf auch die Büste für den Regensburger »Ruhmestempel«.
Wer aber glaubt, nun sei alles da und es fehle nichts mehr, um die Versöhnung der Macht mit dem Geist zu demonstrieren, der täuscht sich. In Düsseldorf errichtet die Frankonia Eurobau AG auf 3,87 Hektar »das wohl größte Denkmal ... zu Ehren des großen Dichtersohnes«. Hier werden im Herbst 2011 die Heine-Gärten vollendet sein, »ein exklusives Stadtquartier mit eigener Identität und zukunftsweisenden Sicherheits- und Servicestandards«. Es entstehen »in lockerer Bebauung neben hochwertigen Wohnungen und Lofts auch exklusive viergeschossige Townhouses und Stadtvillen«. Dazu kommen »großzügige Grünzonen mit einer zentralen Plaza, einem Wasserbassin, privaten Gartenbereichen und schönen Parkanlagen«, die alles in allem dafür sorgen, »daß in den Heine-Gärten der Begriff ›Garten‹ keine leere Werbefloskel ist. Sie nehmen Heines romantische Liebe zur Natur auf und laden zum Spaziergang auf den Spuren des Dichters ein.«
Vielleicht fehlt nun neben Schule, Universität, Allee, Gärten und so weiter doch noch etwas: die Erinnerung an das, was Heine außer Liebesgedichten geschrieben hat, an seinen bitteren Spott über die bornierten Reichen, an seine scharfsinnigen Bemerkungen über das Kapital und die Kapitalisten, an seine Freundschaft mit Karl Marx und an die Gründe, warum er – wie Marx – im Exil leben mußte. Aber nein, gerade das könnte bei Immobiliengeschäften als störend empfunden werden.