Angesichts der Finanzkrise werden – mit wie viel Berechtigung, sei dahingestellt – die Bilder der Weltwirtschaftskrise beschworen. Damals, so empfand man es, drohte dem kapitalistischen Wirtschaftssystem der selbst gemachte Kollaps. Diese Horror-Reminiszenz läßt jetzt auch und gerade die am härtesten gesottenen Priester des Neoliberalismus auf unheilige Maßnahmen sinnen, um den Satan in die Schranken zu weisen. Sogar Hilmar Kopper schließt Nationalisierungen von Banken nicht mehr aus.
Wollen die Neoliberalen die Linken links überholen? So weit geht die Lästerung des Gottes Freier Markt nun doch nicht. Sie verliert sich im rhetorischen Nebel. Klarheit entsteht, wenn man sich den Inhalt des »Rettungspakets« anschaut, das – im Eilverfahren durchgepeitscht – am 17. Oktober Bundestag und Bundesrat passiert hat: Der Staat legt Ausfallbürgschaften auf die Gabentische der Finanzunternehmen und erklärt sich zur Übernahme von Wertpapieren bereit. Wie diese Kapitalbeteiligungen genau ausgestaltet sein sollen, überläßt das Finanzmarkstabilisierungsfondsgesetz – jedenfalls ein stattlicher Name – der Entscheidungsfreiheit der Bundesregierung. Voller Scheu vor Eingriffen in den von ihr immer so inbrünstig gepriesenen Freien Markt und in die Freiheit der Finanzunternehmen will sie so schonend wie möglich operieren.
Die britische Regierung hat ein Beispiel für solch minimalinvasive Kapitalbeteiligungen gegeben: Sie hat sich für ihre rettenden Millionen Unternehmensanteile in Form von Vorzugsaktien übereignen lassen. Die Bundesregierung übernimmt dieses Modell. Die Ausführungsverordnung zum Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz ist schon beschlossen. Neben Garantien – also Ausfallbürgschaften – werden staatliche Finanzhilfen in Form von Kapitalbeteiligungen zugelassen. Paragraph 3 Absatz 2 Nummer 1 des Entwurfs sieht vor, daß eine Form der Kapitalbeteiligung anzustreben ist, »die den Gewinnbeteiligungsrechten der übrigen Gesellschafter des begünstigten Unternehmens vorgeht, insbesondere in Form eines Gewinnvorzugs …« Gemeint sind Vorzugsaktien nach britischem Vorbild.
Ausfallbürgschaften gewähren dem Staat keinerlei unternehmensinternen Mitspracherechte. Und die Vorzugsaktien? Für wirtschaftlich nicht Bewanderte klingt dieses Wort nach Unternehmensbeteiligung und den aus ihr folgenden Stimmrechten des Anteilseigners. Wenn dem so wäre, könnte man tatsächlich von einem Ansatz zur Bankenverstaatlichung sprechen, da immerhin ein Minimum staatlicher Einflußnahme auf unternehmerische Entscheidungen möglich würde. Doch Vorzugaktie klingt nach mehr, als sie ist. Denn sie verbrieft einen Unternehmensanteil ohne Stimmrecht. Vorzugsaktien geben dem Staat mithin keinerlei Einfluß auf die Unternehmenspolitik. Dieser Verzicht wird vergoldet. Darin liegt der den Aktien den Namen gebende Vorzug: eine erhöhte Dividende.
Wenn der Staat nicht zum vollberechtigten (Mit-)Eigentümer der geförderten Unternehmen wird, kann er gesamtgesellschaftliche Interessen allenfalls über Förderungsbedingungen gegenüber den Banken geltend machen. Gegenüber dem privatkapitalistischen Handeln der Bankiers blieben sie wirkungslos.
Eine Wende von staatlicher Kontrolle zu staatlicher Gestaltung wirtschaftlicher Prozesse wird damit nicht erreicht. Sie kann im Kapitalismus nur von einem Staat erreicht werden, der selbst als Eigentümer in die Entscheidungen des Unternehmens eingreifen kann. Bestimmenden Einfluß erhält er nur per Mehrheit in der Haupt- oder Gesellschafterversammlung.
Das »Rettungspaket« schafft also keinen – womöglich unumkehrbaren – Einstieg in einen Prozeß, der den Primat der Politik über die Wirtschaft durchsetzt. Der entscheidende Aspekt von Nationalisierung – die Möglichkeit gesamtgesellschaftlich legitimierter Steuerung wirtschaftlicher Prozesse – fehlt den beschlossenen Maßnahmen. Die Finanzwelt darf weiterhin nach ihrer Rationalität der Kapitalverwertung agieren; sie wird nicht auf die Rationalität gesamtgesellschaftlicher Verantwortung und Nützlichkeit umgestellt.
Die politische Linke sollte sich den Nationalisierungsbegriff nicht wegnehmen lassen, sondern immer wieder klarmachen, daß Verstaatlichung die Systemfrage bedeutet. Links gedacht ist Nationalisierung der erste Schritt auf dem Weg zur Schaffung der »freien Assoziation der Produzenten« (Karl Marx), weil sie den Staat in die Lage versetzt, Interessen der Mehrheit der Bevölkerung durchzusetzen.
Linke müssen jetzt rote Farbe bekennen. Jetzt heißt es für sie, mit der Nationalisierungs- auch die Systemfrage öffentlich und laut zu stellen. Denn das Vertrauen in die sogenannten Selbstregulierungskräfte des Marktes war seit Jahrzehnten nie so tiefgreifend erschüttert wie jetzt. Jetzt – wann sonst? – ist es an der Zeit, die fällige Debatte über Demokratie in der Wirtschaft zu beginnen. Und zu fordern wäre als Erstes die Einführung demokratischer Gestaltungsmöglichkeiten im kriselnden Finanzsektor.