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Titel2208

Iwan auf dem Weg ins Glück  (Sergej Guk)

Wir müssen nur noch den Tiefpunkt der Krise überwinden, dann wird die Konjunktur wieder in Schwung kommen. So trösten uns im russischen Fernsehen diverse Experten, die angeblich bestens darüber informiert sind, wie sich unsere Finanzen entwickeln werden. Gern wüßten wir nun etwas genauer, wann dieses freudige Ereignis eintreten wird, das wir nicht verschlafen möchten, aber wir dürfen die Wahrsager nicht überfordern. Vielleicht sollten wir uns inzwischen an die Volksweisheit halten: »Als ich nach dem Absturz dachte, ich hätte den Tiefpunkt erreicht, hörte ich jemanden von unten klopfen.«

Das Einzige, was wir gegenwärtig im Überfluß haben, sind Politiker und Analysten, die uns unermüdlich mit Beruhigungsmitteln abspeisen. Die Regierung, so versichern sie, würde uns niemals im Stich lassen (ein Witz, der gallebitter schmeckt, vor allem den Älteren, die schon mehrmals ihre Ersparnisse über Nacht verloren haben). Der Staat, so teilen uns die freundlichen Experten freudig mit, garantiere Bankeinlagen bis zur Höhe von 700.000 Rubel. Großzügig. Nur: All meine Verwandten, Freunde und Bekannten, die das ganze Leben lang gearbeitet haben, können von solchen Sparkonten nicht einmal träumen. Eine weitere frohe Botschaft: Die Gold- und Devisenreserven der Zentralbank seien zwar in den letzten beiden Monaten um 50 Milliarden Dollar geschrumpft, lägen aber immer noch bei 550 Milliarden Dollar. Fragt man den Mann der Straße, ob ihn diese Devisenberge stolz machen und mit dem Gefühl der Sicherheit erfüllen, so hört man in neun von zehn Fällen: »Was habe ich davon?«

Im ewigen Wettbewerb namens Lohn-Preis-Spirale gibt sich der erstgenannte Teilnehmer längst geschlagen. Jede Woche steigen die Preise für Grundnahrungsmittel um ein paar Rubel. Die Gehälter und vor allem die Renten hinken mühselig hinterher. Die erwähnten 50 Milliarden Dollar aus Staatsbesitz wurden überwiegend den Großbanken zugeteilt. Wie offiziell verlautet, geschah das aus tiefster Sorge um unsere Ersparnisse (nicht etwa um die Geldsäcke). Kurz darauf meldeten sich die Energiekonzerne vom Schlage Gasprom oder Lukoil zu Wort: Sie seien dringend auf Steuermittel angewiesen, weil sie unter Geldmangel litten. Dabei liegen die immerzu steigenden Benzinpreise in unserem gesegneten Ölförderland höher als im übrigen Europa.

Eben höre ich einen Experten im Fernsehen, der uns mitteilt, inzwischen seien in Rußland für Krisenmanagement rund sechs Billionen Rubel (600 Milliarden Dollar) vorgesehen, womit dann auch die fälligen Kredite russischer Banken und sonstiger Großunternehmen getilgt werden könnten. Ist das beruhigend?

Die Obrigkeit wird nicht müde, uns attraktive Aussichten zu bieten. Wir sollen mit Beweisen staatlicher Freigiebigkeit nahezu überschüttet werden. Natürlich nicht jetzt – später. Schon im nächsten Jahr würden Löhne und Renten merklich erhöht. Doch wie weit uns die Preise bis dahin enteilt sein werden, läßt man unerwähnt. Im Jahre 2020, verheißt man uns, werde die Bevölkerung unter Verhältnissen fast wie im Schlaraffenland leben – nicht ganz, aber sehr nahe daran. Also: Iwan im Glück. Eine schöne Vision. Glaubt jemand daran? Ich nicht.