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Titel2208

Soldat oder Landsknecht?  (Jürgen Rose)

In Zeiten des »Global War on Terror«, des Präventivkrieges, der Völkerrechtsverbrechen und Folterexzesse, des Niedertrampelns fundamentaler Menschen- und Bürgerrechte mag die oftmals mörderische Realität militärischer Gewaltanwendung den Verdacht erwecken, bei dem Terminus »Soldat« handle es sich um ein Akronym, das ausbuchstabiert bedeutet: »Soll ohne langes Denken alles tun«. Einem solchen Verständnis leistet es Vorschub, daß die in der NATO verbündeten westlichen Demokratien, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland, ihre Streitkräfte immer häufiger für Einsätze mißbrauchen, die durch völkerrechtliche Mandate nicht hinreichend oder gar nicht legitimiert sind.

Seit der Endphase des Kalten Krieges treibt die militärische Führung der Bundeswehr Bestrebungen voran, einen »neotraditionalistischen Kämpfer-Kult« (Detlef Bald) zu etablieren: Die Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr soll zum Maß aller Dinge und die Vorstellung vom Soldaten als einem kriegsnah ausgebildeten, allzeit bereiten, selbstlos dienenden und unbedingt gehorchenden Kämpfertypen zur fraglos zu akzeptierenden Norm erhoben werden. Idealtypisch hat der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Hans-Otto Budde, das unter den Vorzeichen der aktuellen Globalisierungskriege präferierte Soldatenbild mit den Worten skizzziert: »Wir brauchen den archaischen Kämpfer und den, der den High-Tech-Krieg führen kann.« Und einer seiner Kampfgefährten aus gemeinsamen Fallschirmjägertagen, Rolf Winkel, verdeutlichte: »Diesen Typus müssen wir uns wohl vorstellen als einen Kolonialkrieger, der fern der Heimat bei dieser Existenz in Gefahr steht, nach eigenen Gesetzen zu handeln.« Denn, so fährt er fort: »Eine ›neue Zeit‹ in der Militärstrategie und Taktik verlangt natürlich einen Soldatentypen sui generis: Der ›Staatsbürger in Uniform‹ ... hat ausgedient.« (Welt am Sonntag, 29.02. 2004)

Ungeachtet solcher für eine demokratische Streitkräftekultur verheerenden Parolen aus reaktionären Generalskreisen hat das Problembewußtsein für die völker- und verfassungsrechtliche Legitimität oder Illegitimität der in jüngerer Zeit vom Zaun gebrochenen Interventions- und Präventivkriege zugenommen – nicht nur in der Zivilgesellschaft. Wie die zahlreichen Gehorsamsverweigerungen in den Interventions- und Besatzungsarmeen illustrieren, ist auch unter den »Handwerkern des Krieges«, welche die von der politischen Führung erteilten Kampfaufträge ausführen sollen, die Sensibilität dafür gewachsen, daß sich sowohl die völkerrechtliche Ächtung des Krieges schlechthin als auch dessen in jüngster Zeit nochmals bekräftigte Kriminalisierung im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes gravierend auf die rechtlichen und die moralischen Dimensionen soldatischen Handelns auswirken.

Die fundamentale Frage, die jeder und jede sich in diesem Spannungsfeld von Gehorsamspflicht, Rechtstreue und Gewissensfreiheit bewegende Militärangehörige individuell für sich beantworten muß, lautet: Wie darf oder soll oder muß ich als prinzipiell dem Primat der Politik unterworfener Soldat handeln, wenn meine politische Leitung und militärische Führung mich in einen Krieg befiehlt, in dem unvermeidlich Menschen getötet und verwundet werden, und wenn es sich dabei möglicherweise oder gar offensichtlich um einen Angriffskrieg handelt – stellt letzterer doch ein völkerrechtliches Verbrechen dar?

Für den betroffenen Militärangehörigen besteht keine Möglichkeit, sich dieser Problematik zu entziehen. Denn spätestens seit dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal nach dem Zweiten Weltkrieg kann er sich nicht mehr per durch Rekurs auf die übergeordnete politische und militärische Autorität exkulpieren. Dort wurde nämlich verbindlich festgeschrieben, daß kein Soldat ungesetzliche Befehle ausführen darf. Die rechts- und moralphilosophische Begründung geht auf Immanuel Kant und die Erkenntnis zurück, daß für jegliches menschliche Handeln das je eigene Gewissen den Maßstab bildet und setzt. Soldatische Verantwortung kann sich zur Legitimation irgendwelchen soldatischen Handelns nicht auf einen Befehl zurückziehen. Wenn der Soldat einen fremden Willen zu seinem eigenen macht, muß er, bevor er ihn ausführt, dessen Legitimität an seinem eigenen Gewissen prüfen.

Die in der Tradition der Aufklärung verwurzelte moderne Rechtsphilosophie prägte sich in den sogenannten Nürnberger Prinzipien aus, die in der Folge Eingang in das Wehrrecht verschiedener Länder fanden. Auch völkerrechtlich wurden sie wiederholt bekräftigt, so zum im Beispiel im »Verhaltenskodex zu politisch-militärischen Aspekten der Sicherheit«, den im Dezember 1994 die Staats- und Regierungschefs der Teilnehmerstaaten der KSZE in Budapest vereinbarten (s. Ossietzky 16/08).

Der über alle Stufen der militärischen Hierarchie hinweg für jeden Soldaten – gleich ob Vorgesetzter oder Untergebener – geltende Rechtssatz individueller Verantwortlichkeit für sein Tun und Lassen wurde und wird auch von hochrangigen militärischen Führern immer wieder anerkannt und bekräftigt. So bemerkte beispielsweise der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, General Peter von Kirchbach, zum Spannungsverhältnis zwischen Gehorsamspflicht und Gewissensbindung: »Die Spannung besteht in der Bindung und Treuepflicht an den Staat einerseits und dem Wissen, daß staatliches Handeln immer nur das Vorletzte sein kann und daß das an ein höheres Wertesystem gebundene Gewissen eine entscheidende Berufungsinstanz sein muß. Sicher wird der Staat seinen Bürgern normalerweise nicht zumuten, gegen den Rat ihres Gewissens zu handeln. Im Wissen um diese Spannung aber und im Wissen, nicht jedem Anspruch zur Verfügung zu stehen, besteht letztlich der Unterschied zwischen Soldat und Landsknecht.«

Diese im Hinblick auf den klassischen Auftrag zur Landes- und Bündnisverteidigung formulierte und auf die Tradition der militärischen Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 gegen die Hitlertyrannei bezogene Überlegung mochte zunächst noch rein theoretisch und abstrakt erscheinen. Aber wenn sowohl die Ausübung der Befehlsgewalt als auch das bloße Ausführen empfangener Befehle strikt an das geltende innerstaatliche Recht einerseits, das Völkerrecht andererseits gebunden sein sollten, war a priori nicht auszuschließen, daß Soldaten oder Soldatinnen sich von Fall zu Fall weigerten, an militärischen Aktionen teilzunehmen, wenn diese erkennbar völkerrechtswidrig oder auch nur völkerrechtlich zweifelhaft und umstritten waren.

Jürgen Roses Artikelserie zur Ächtung des Angriffskriegs, die in Ossietzky 1/08 begann, wird fortgesetzt. Der Autor, Oberstleutnant der Bundeswehr, ist aus disziplinarrechtlichen Gründen gezwungen, darauf hinzuweisen, daß er in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen darlegt.