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Titel2208

Bemerkungen

Erfolgreich regiert
Mit der Agenda 2010 sei die Bundesrepublik gesellschaftspolitisch auf dem richtigen Kurs – darauf wollten uns SPD und Grüne einschwören, und die Unionsparteien stimmten ihnen zu. Neuerdings nehmen SPD-Politiker das Wort »Agenda« nicht mehr so gern in den Mund, und die Grünen, in die Opposition geraten, geben sich ein bißchen kritisch. Aber auf die Ergebnisse dieser Politik kommen sie nicht zu sprechen – die werden uns von der Welthandelsorganisation (OECD) vorgehalten: Die Bundesrepublik, nach wie vor Exportweltmeister, hat international eine Spitzenposition bei der Steigerung von Armut und Einkommensungleichheit. Gleichzeitig legt das Statistische Bundesamt alarmierende Zahlen über die Verschuldung privater Haushalte vor – nicht durch Fehlspekulationen verursacht, sondern durch Alltagsnöte, weil es für das Existenzminimum nicht hinreicht.

Seit 2006 habe sich »das Blatt gewendet«, tröstet uns die Regierung, die OECD-Daten hätten den Aufschwung noch nicht berücksichtigt. Der allerdings, sagen die Wirtschaftsinstitute, sei nicht dauerhaft – ab 2009 werde es »wohl wieder mehr Arme geben«. Und OECD-Generalsekretär Angel Gurria erläutert: »Ansteigende Einkommensungleichheit behindert die Aufstiegschancen über Generationen hinweg«, Armut verfestigt sich also, wird vererbt.
Nach der riesigen Rettungsaktion für den Finanzmarkt versprechen SPD und Union jetzt, daß sie »Schutzschirme« auch für kleine Leute« aufspannen wollen. Zur Diskussion stehen in Regierungskreisen Steuerbegünstigungen, Anreize für den Kauf neuer Personenkraftwagen, Hilfen für die Modernisierung von Gebäudeeigentum, staatliche Zuschüsse für den Bau von Autobahnen und ICE-Strecken – aber ganz offenbar keine Maßnahmen, die denjenigen helfen könnten, die in Armut stecken, keine Instrumente, um das Grundproblem zu lösen: daß in der Bundesrepublik, unter tätiger Mithilfe der Politik, das Lohnniveau für immer mehr Menschen unter das Existenzminimum gedrückt worden ist, bei gleichzeitiger Vermehrung der Millionenvermögen. Die in Deutschland regierende Politik war erfolgreich in der Vertretung von Klasseninteressen. Die Reichen können sehr zufrieden sein.

Arno Klönne

Springer-Moral
Die gegenwärtige »monetäre Krise« sei auch eine »moralische«, erklärt uns Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG, und faßt die massenhaften moralischen Versager ins Auge: Die »Häuslebauer« sind es, die »mit geringem Einkommen und geringer Bonität« nach einem Eigenheim gierten und auf »Kredite ohne Eigenkapital« hofften; so »lebten sie einen Lebensstil, den sie sich nicht leisten konnten«. Diese zahllosen »kleinen Schuldner« trügen am Finanzmarktdesaster »genau so Schuld wie die Wallstreet-Banker«, meint Döpfner. Nun sei es an der Zeit, »Verantwortung« zu üben. Vergessen hat er, daß es die große Finanzwelt war, die kleine Leute zum »Häuslebauen« ermunterte und mit deren Zinsverpflichtungen spekulierte.

Und was sollen sie nun tun, die »Häuslebauer«? Ganz klar: den Gürtel enger schnallen, ihre eigenen Schulden abbezahlen und ihre Steuer an den Staat abliefern, denn der muß ja die Schulden der Banken übernehmen.

Da wird es für den »Häuslebauer« eng; doch die tägliche Bild-Zeitung, so wird Döpfner denken, wird sich der immer noch leisten können. Also nichts zu befürchten, »moralisch« gesehen.
M.W.

Profit beim Sponsoring
Der Energiekonzern e.on hat ein Herz – für Kunst. Sechs große Ausstellungen fördert er in diesem Jahr, auch in der deutschen Hauptstadt ist er als Kunstsponsor aktiv geworden. Hier profitiere e.on »von der internationalen Sichtbarkeit eines kulturellen Engagements in dieser Metropole«, sagt Konzernchef Wulf Bernotat: »Angesichts der oft kontroversen Auseinandersetzungen über die Energiepolitik brauchen wir den konstruktiven Dialog mit der Öffentlichkeit, Kultur ist dafür eine exzellente Plattform.« Schlichtere Gemüter hätten gesagt: Angesichts der Kritik an unseren Preissteigerungen und Gewinnmargen müssen wir unsere Reputation aufpolieren. In den Ausstellungen haben es auch kältegeplagte Kunden warm, ließe sich ergänzen.
Peter Söhren


Belastbar, belastend, lästig
Von der Linkspartei hält er nichts, Theo Schumacher, Kommentator der Zeitung Neue Westfälische. Das ist sein gutes Recht, auch Journalisten einer Zeitung, die sich »überparteilich« nennt, müssen ja nicht parteipolitisch neutral sein. Aber was wirft er den Linken vor? Sie hätten »kein belastbares Konzept«, die »Finanzierungsvorschläge« für die verlangten sozialen Leistungen seien sie »schuldig geblieben«. Nun hat die Linkspartei solche Vorschläge durchaus gemacht, die Schumacher aber wohl für nicht durchsetzbar hält, womit er bei den bestehenden Regierungsverhältnissen und dem Einfluß der Wirtschaftseliten auf die Regierenden recht haben könnte. »Nicht belastbar« bedeutet demnach: Lästig, nicht systemverträglich, weil, wenn es zur Umsetzung käme, zu belastend für die Reichen in unserer Gesellschaft. Belastbar hingegen ist die nicht so üppig ausgestattete steuerzahlende Bevölkerungsmehrheit. Sie hat einzuspringen, wenn dem großen Kapital Geschäfte schiefgegangen sind. Und da bleiben die regierenden Parteien Finanzierungsvorschläge nie schuldig, siehe »Rettungspaket«.
Marja Winken


Preis für Neokolonialismus

Der Friedensnobelpreis war manchmal nützlich, besonders 1936, als er an Carl von Ossietzky verliehen wurde – Ergebnis einer weltweiten Kampagne zur Aufklärung der bürgerlichen Öffentlichkeit über den verbrecherischen Charakter des bis dahin zumeist als hoffnungerweckend wahrgenommenen Nazi-Regimes. Auch die Auszeichnung solcher Organisationen wie der Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs war hilfreich für alle, die sich für den Frieden engagieren. Schädlich ist die diesjährige Zuerkennung des Friedensnobelpreises an den finnischen Politiker Ahtissari, den angeblichen Friedensstifter auf dem Balkan. Der österreichische Publizist Hannes Hofbauer, ein durch etliche Veröffentlichungen ausgewiesener Kenner der Verhältnisse im Kosovo (s. Ossietzky 17/08), schreibt: »Der von der UNO verworfene und gleichwohl von den USA und der EU in Kraft gesetzte Ahtissari-Plan schreibt eine überwachte Unabhängigkeit vor, die sowohl Legislative wie auch Exekutive in fremde Hände legt. Militärisch herrscht die von den USA geführte KFOR-Truppe. Zivil wird das Land von der Europäischen Union verwaltet. Der Übergang vom UN-Protektorat zur EU-Kolonie geschieht schleichend. Eine ›Koalition der Willigen‹ abseits der UNO bestimmt über das Schicksal des kleinen Landes. Von der Rechtsprechung über die politische Verwaltung bis zur polizeilichen und militärischen Exekutive öffnet sich ein weites Experimentierfeld für zumeist westeuropäische und nordamerikanische Institutionen. Gesellschaftliche Abläufe jenseits bürgerlicher Gewaltenteilung und demokratischer Selbstbestimmung können nach erfolgreichen Probeläufen im Kosovo später anderswo – wenn nötig auch in Kerneuropa – Platz greifen.«

In seinem neuen Buch »Experiment Kosovo« behandelt Hofbauer auch die hinter dem Streben nach einem unabhängigen Kosovo stehende »albanische Frage« – eine von vielen Fragen, die im Ahtissari-Plan keine Antwort finden.
E. S.
Hannes Hofbauer: »Experiment Kosovo – die Rückkehr des Kolonialismus«, Promedia Verlag, 264 Seiten, 17.90 €

In Pankow

dem grünen Stadtteil im Nordosten Berlins, von Konrad Adenauer Pankoff genannt (wie Zoffjetzone), fand Ende 1936 Carl von Ossietzky, nachdem ihm der Friedensnobelpreis zugesprochen worden war und die Nazis den Schwerkranken aus dem KZ Esterwegen entlassen hatten, Aufnahme in dem kleinen Krankenhaus des jüdischen Arztes Hans Dosquet an der Mittelstraße. Hier starb er und wurde auf dem Friedhof an der Buchholzer Straße beigesetzt – zunächst ohne Namensangabe; wie auch seine Witwe gezwungen wurde, den Namen Ossietzky abzulegen. Inzwischen wurde das anonyme Grab zum städtischen Ehrengrab gestaltet, und an Ossietzky erinnern in Pankow heute auch die Ossietzkystraße (mit einem sehens- und bedenkenswerten Bronze-Standbild in einer seitlichen Grünanlage), der Ossietzkyplatz (mit einem Ossietzky-Bistro, dessen Beschäftigte mit dem Namen nichts anzufangen wissen, wie ich ohne Überraschung festgestellt habe), die Ossietzkyschule sowie der Ossietzky-Kreis, dem hiermit zum zehnjährigen Bestehen gratuliert sei. »Der Ossietzky-Kreis Pankow ist ein ostdeutsches Forum, in dem Intellektuelle aus Ost und West zusammen ihre Erfahrungen aus den letzten Jahrzehnten diskutieren und sich ›links und frei‹ gemeinsam und jeder nach seinen Möglichkeiten zur kritischen Einmischung in gesellschaftliche Debatten oder lokale Geschehnisse ermutigen«, stand im Gründungsaufruf, an den man sich gehalten hat. Etwa 80 Veranstaltungen fanden seitdem statt; auf der Liste der Referenten findet man Egon Bahr, Gregor Gysi, Christoph Hein, Sabine Kebir, Norman Paech, Hermann Scheer, Wolfgang Ullmann, Willy Wimmer; Hauptorganisator ist Hans Misselwitz.

Übrigens: Nach der Befreiung durch die Rote Armee taten Maud von Ossietzky und Hans Leonard in Pankow, wo sie beide überlebt hatten, die ersten Schritte zur Wiederherausgabe der Weltbühne. Im Impressum der ersten Ausgabe vom 4. Juni 1946 ist als Adresse der Eschengraben genannt, wo Leonard wohnte, in den 1950er Jahren die Florastraße. Infolge der Gebietsreform, die vor einigen Jahren den Bezirk Pankow um die früheren Bezirke Prenzlauer Berg und Weißensee vergrößerte, sitzt nun auch die Ossietzky-Redaktion in Pankow, ohne aus Prenzlauer Berg weggezogen zu sein. Eingemeindet.
E. S.

Burleske mit Hintersinn

Sie kenne den Teufel seit ihrer Kindheit, sagt Beate Morgenstern, die in einer Pfarrersfamilie aufwuchs. Genauso selbstverständlich ist er nun in ihrem neuen Buch präsent: Er hat im Sommer 1989 im Club der Kulturschaffenden nahe der Berliner Mauer 13 Künstler von einer Geburtstagsfeier nicht heimgehen lassen, sondern ihnen eine Aufgabe gestellt. Sie könnten alle (keiner durfte ausscheren) privilegiert in den Westen gehen, sollten aber vorher noch mutmaßen, was alles geschehen könne, wenn demnächst die Mauer fiele.

Eine reizvolle Idee, zumal die Eingesperrten teilweise zu erraten sind: Irmtraud Morgner, Fritz Rudolf Fries, Rainer Kirsch, Rudi Strahl, Steffen Mensching und andere. Beate Morgenstern ist nicht zimperlich bei der Charakterisierung ihrer Protagonisten und äußerst fantasievoll, wenn es um geträumtes nächtliches Teufelstreiben (einschließlich Walpurgisnacht) geht. Aber der Spaß hat auch seine ernsten, hintersinnigen Momente, wenn Haben und Soll der gesellschaftlichen Wirklichkeit DDR gewogen werden oder wenn darüber beraten wird, was nach dem Mauerfall passieren könnte. Die hier eingesperrte geistige Elite kann sich zwar kommende Arbeitslosigkeit, Wegnahme von Häusern und Verlust sozialer Sicherheiten und andere Horrorvisionen vorstellen, ist jedoch fest davon überzeugt, daß es so schlimm nicht kommen werde. 1989 war halt ein Jahr der Hoffnungen und Illusionen!

Beate Morgenstern nennt ihren Roman eine Burleske. Da geht es derb und deftig zu. Aber auch der feine Witz kommt nicht zu kurz. Es tut gut, wenn Autorin samt Leser fähig sind, so über sich selbst zu lachen.
Christel Berger
Beate Morgenstern: »Der Gewaltige Herr Natasjan. Eine Burleske«, Trafo Verlag, 329 Seiten, 18.80 €


Press-Kohl

Aus einem Cottbuser Polizeibericht: »In der Kolkwitzer Straße wurde eine Leiche gefunden, die offensichtlich vorher geduscht hatte.« Also die Leiche hatte, bevor sie gefunden wurde, offensichtlich noch geduscht. Das gehört sich ja wohl so. Man muß der Obrigkeit, besonders der polizeilichen, stets in gewaschenem Zustand gegenüberstehen, auch wenn man auf der Straße liegt, weil man, infolge des eigenen Todesfalles, nicht mehr besonders gerade stehen kann.
Felix Mantel