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Titel222013

Pistole im Kanzleramt  (Monika Köhler)

Wir, das heißt ich bin reichlich allein, betreten die »Gegenwartsgesellschaft« und finden uns wieder in einem Raum, der abgesperrt scheint. Die Barriere: straff gespannte Stoffbahnen im Tarnfarbenmuster. Dazwischen eingebunden Baseballschläger. Beides assoziiert Gewalt: Militär und Neo-Nazis. Der Kunstverein Hamburg präsentiert eine Überblicksausstellung, dem 1952 in Berlin geborenen Künstler Olaf Metzel gewidmet (bis 5. Januar). Der Titel der Eingangs-Tarnsperre: »Noch Fragen?« stellt sich eher beim Verlassen des Raumes. Einige der Installationen, Skulpturen waren vor Jahren in der Hamburger Kunsthalle ausgestellt. Verändert hat sich der Raum, der oft eng verbunden ist mit einem bestimmten Werk – vor allem aber die Zeit. So entstanden 2013 Skulpturen genannte Gebilde, die aus der Wand ragen, zu Griechenland – Titel: »Trübe Tage«. Von Zeitungsmeldungen ausgehend, die vergrößert und wie zusammengedrückt auf Aluminiumtafeln projiziert wurden, dem Auge immer nur Bruchstücke des Textes bieten. »Wut … Kliniken … Die Randalierer und ihre Vorb[ilder]«. Und Fotos: Flammen. Oder zur Occupy-Bewegung ein Werk »Utopia«. Überschrift. »Preis des ewigen Friedens«. Von welchen Medien? Foto: »Eine Steine werfende Studentin« mit Palästinensertuch. Und darübergelegt, ein Bericht von der Wall Street und ein Foto, ein Banker im Anzug und Schlips. Zu lesen: »Deutsche Bank-Chef … hat den Groll auf«. Dann der NSU-Prozeß, als Fächer türkischer Zeitungsmeldungen (mit Bild von Angela Merkel) an der Wand. Wie ein Fidibus – zum Feueranzünden? Welche Erkenntnisse bringt es?

Zurück ins Jahr 1990/91, da tobten Auseinandersetzungen mit der Polizei um die Hamburger Hafenstraße. Mitten im Raum ein Gewirr von schwarzen Eisenteilen mit großen roten Gummiringen dazwischen: »Wurfeisen und Zwille«. Noch weiter zurück. Eine Arbeit (von 1985/87) in mehreren Teilen mit dem Titel: »13.4.1981«. Das Auffälligste, aufgetürmte rot-weiße Absperrgitter, Einkaufswagen mit Pflastersteinen. An der Wand Fotos, Zeitungsausschnitte, Skizzen. Was geschah an diesem Tag? Eine Demonstration auf dem Kurfürstendamm in Berlin. Die Falschmeldung vom Tod des RAF-Häftlings Sigurd Debus war der Auslöser. Zur 750. Geburtstagsfeier Berlins 1987 fand ein Skulpturenboulevard auf Westberlins Markenzeichen statt. Metzel wollte mit seiner Installation an die Zusammenstöße mit der Polizei erinnern, genau dort. Gegenüber dem Café Kranzler. Das hatte sich CDU-Bürgermeister Eberhard Diepgen so schön gedacht: der Kurfürstendamm als Kunstmeile. Und nun dieses »Randale-Denkmal«, wie es die aufgehetzten Boulevardzeitungsleser nannten.

Olaf Metzel hätte diese Installation, einen Teil davon, ins Jahr 2013 führen können. Der Einkaufswagen ist heute zur mobilen Wohnungseinrichtung der Obdachlosen geworden. Eine Skulptur von 1981, »Roter Beton« genannt: ein Mensch flieht, ohne Kopf, mit nur einem Arm – aus diesem sehr verletzlichen Material geformt – geht zurück auf den gewaltsamen Tod eines Hausbesetzers in Berlin. Und wieder eine Absperrung. Nun in Form eines riesigen Metalldrehkreuzes (1991). Wer es passiert, kommt dort nicht wieder zurück, eigentlich. Eine Tür, die separiert. Sie führt in einen mit Wellblech ausgeschlagenen Raum, die »Sammelstelle«. Sie ist leer, bis auf Abfallbehälter, die Spuren von Wut und Verzweiflung tragen. Genauso wie die Wände, von denen Blechteile herabgerissen wurden. Metzel fand auf einem Foto: Wohncontainer für Asylanten. Und einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung von 1992: »Derzeit ist der Zustrom von Flüchtlingen den Geschäften [der Container-Hersteller] ebenso förderlich wie die Eigentumsprobleme in den neuen Bundesländern.«

Die Installation, auch von 1992, mit dem Titel »Im Grünen« irritiert. Das soll sein. Von der Decke hängen Tarnnetze aus Militärbeständen, Zelte, geknüpfte rote Seile mit Haken, Straßenlampen. Eine Idylle ist das nicht. Metzel hatte eine Überschrift entdeckt: »Der Urlaub in Krisengebieten« – daneben Kriegsbilder. In der Ausstellung am Boden, lange Metallgebilde, wie Gasflaschen oder Torpedos. Bedrohen sie den gewünschten Urlaub? Metzel nennt es »Turbokapitalismus«. Das, was da am Boden liegt, im Grünen.

Ganz hinten, ein wandfüllendes Foto, das eine Mauer zeigt, an der ein Lorbeerkranz hängt. Einer schreibt mit dicker weißer Farbe: »Stammheim« an die Wand. Die Arbeit entstand 1984 für den Württembergischen Kunstverein Stuttgart. Der Kranz ist aus Beton. Die Installation auf dem Hof des Kunstvereins – ein Ehrenkranz? Sie muß verunsichern. Metzel hatte auf der Fahrt zum Ausstellungsort einen Artikel im Spiegel gelesen. Generalbundesanwalt Rebmann bekannte dort, ein Gnadengesuch von Peter-Jürgen Book könne frühestens in den ersten Jahrzehnten des nächsten Jahrhunderts diskutiert werden. Stammheim, der Sicherheitstrakt – ein Mausoleum? Auf dem Boden liegt eine riesenhaft vergrößerte Pistole, verrostet: »Idealmodell PK/90«. Die Polizei war damit ausgestattet damals. Metzels Waffen-Skulptur schmückte 1987 den Garten des Bundeskanzleramtes in Bonn in der Ausstellung: »Einblicke«. Das war korrekt.