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Titel222013

Schluß mit dem Gebrabbel  (Holdger Platta)

Jeder, der sich im bundesdeutschen Literaturbetrieb auskennt, weiß: politische Lyrik ist out. Literatur dieser Art ist für die großen Verlage ein Rücksende-Umschlag. Der Marktwert dieser Texte tendiert gegen Null.

Aber auch der Gebrauchswert? Auch die Qualität?

Der Autor Rudolph Bauer, vormals Politologe an der Bremer Universität, tritt den Gegenbeweis an – und mit ihm der Sujet-Verlag, der nunmehr den dritten Lyrikband von Bauer veröffentlicht hat: »Flugschriftgedichte«. Die Veröffentlichung zeigt: Lyrik ist brauchbar, für Alltag und Politik, fürs Wahrnehmen und fürs Verstehen, und sie kann dennoch Lyrik bleiben und gerade deswegen Lyrik. Ausgezeichnete Lyrik sogar!

Selbstverständlich für einen engagierten Autor: Bauers Texte befassen sich mit politischen Themen, mit Militarismus und Überwachungsstaat, mit neonazistischen Tendenzen und sogenannter Terrorismusbekämpfung, mit neuen kolonialistischen Prozessen und Demokratieabbau. Aber: Sie tun dies nicht im Politiker- und Zeitungsjargon, nicht im obligaten Marxisten-Slang oder im Propagandastil, sondern mit poetischen Mitteln. Und diese poetischen Mittel stellen etwas her, das dem allgemeinen Mediengebrabbel geradezu magisch ein Ende setzt: Stille. Genauer gesagt: Verlangsamung, Innehalten und Konzentration. Und damit vollzieht sich in den Gedichten wie beim Leser ein Prozeß, der von Tag zu Tag wichtiger wird: wieder präzise zu werden bei der eigenen Wahrnehmung und Analyse von gesellschaftlich-politischer Wirklichkeit. Ein Beispiel:
Bauer zitiert in einem Gedicht aus der Ansprache des reaktionären Generals von Lettow-Vorbeck 1932 zur Einweihung des Reichskolonialdenkmals zu Bremen, und Bauer tut über viele Zeilen kaum mehr, als daß er immer mal wieder ein »sagte er« einfügt:
»ein großes volk
sagte er
muss kolonien haben
um leben zu können

ein großes volk
sagte er
treibt kolonialpolitik
um seiner selbst willen

nicht nur um kultur
sagte er […]«

Wenig genug, dieses »sagte er«, könnte man meinen, doch dieses »sagte er« sitzt! Genau dieses »sagte er« bremst die arglose Hinnahme des Redetextes, ist deshalb das Stopp-Signal und schafft jenen Abstand, der genauer hinhören läßt.

In anderen Gedichten treten weitere Gestaltungsmittel hinzu, bis in die Tiefenstruktur der Texte hinein. »Schwarzer Sonnengesang« zum Beispiel:

»dich umkreist der planet
aufgehst du bei allen völkern
am morgen dein licht
erwacht in ihrem osten

aufgehst du bei allen völkern
nicht bei den gefolterten
wo es nacht ist und schwarz
rechtlos willkür und qual

nicht bei den gefolterten
wo die erde nass ist von tränen
feucht vom blut matschig vom kot
wo deine strahlen nicht trocknen

wo die erde nass ist von tränen
[…]«

Hier folgt der Gang der Strophen nicht nur dem Gang der Sonne, indem er mehr und mehr schwarze Realitäten auf diesem Planeten ans Licht bringt. Hier bildet die interne Strophengliederung auch den Gang der Sonne selber ab, indem die jeweils zweite Zeile einer Strophe zur ersten Zeile der Folgestrophe wird. So holt die Sonne fortschreitend das Dunkel auf der Erde hervor, indem es die zutage tretende Wahrheit nach vorn rückt. Meisterhaft!

Und schließlich: Auch die ganz kurzen Formen, zum Beispiel den Aphorismus, beherrscht Bauer: »Deal // brot für die welt / saatgutpatente für die konzerne / ein lob gerechter verteilung«. Ein guter Aphorismus ist Endpunkt eines langen Gedankenganges, ein sehr guter Aphorismus Anfang eines neuen. Dieser Aphorismus ist beides. So kann auch das Kleine großartig sein.

Die »Flugschriftgedichte« von Rudolph Bauer sind unentbehrlich fürs ideologiekritische Innehalten – um dann weiterzumachen: informierter und wacher als ohne sie, wahrnehmungsbereiter und präziser als zuvor. Gratulation!

Rudolph Bauer: »Flugschriftgedichte«, Sujet Verlag, 78 Seiten, 12,80 €