Eine Entschuldigung ist eine Leistung, die Überwindung kostet. Nicht jeder schafft sie. Die Linkspartei hat sich gleich zweimal überwunden. 1990, als sie noch PDS hieß, und nun zum zurückliegenden 25. Jubiläum des Mauerfalls. Die Entschuldigung von 1990 konnte ich trotz aller Bemühungen nicht finden, so kann ich sie mit der zum 25. Jahrestag nicht vergleichen. Aber die jetzige ist ziemlich heftig ausgefallen: Immerhin bedanken sich die führenden Köpfe Katja Kipping, Bernd Riexinger und Gregor Gysi bei jenen, »die damals die Mauer von Ost nach West zum Einsturz brachten«, um unter anderem festzustellen: »Die DDR war eben auch ein Staat, … in dem die politische Willkür jederzeit Recht und Gerechtigkeit ersetzen konnte, in dem zehntausende Biographien durch staatliches Unrecht gebrochen und zerstört wurden. Dafür trug eine Partei die Hauptverantwortung, die SED. Die PDS hat im Frühjahr 1990 die Abkehr vom Stalinismus als System zu ihrem Gründungskonsens gemacht, die Verantwortung für begangenes Unrecht übernommen und sich bei den Bürgerinnen und Bürgern der DDR entschuldigt … Heute erneuern wir die Entschuldigung für begangenes Unrecht und das Bekenntnis, daß wir Demokratie und Rechtsstaat wie zwei Augäpfel zu hüten haben.«
Mir widerstrebt es, die Autoren für einzelne Passagen zu kritisieren, obwohl es schon verwunderlich ist, daß die aus der PDS und der WASG hervorgegangene Linkspartei sich für die SED-Politik entschuldigt. Ein wenig seltsam ist auch die Überschrift, in der nicht nur vom »Fall der Berliner Mauer«, sondern auch von »der Öffnung der innerdeutschen Grenze« gesprochen wird, die seinerzeit bekanntlich eine weltweit anerkannte »Staatsgrenze« war. Was mir jedoch deutlich mißfällt, ist die Einseitigkeit der Abbitte. Die linken Spitzenpolitiker schlüpfen in das Büßerhemd, streuen Asche auf ihr Haupt und verzichten völlig darauf, das Objekt ihrer harten Selbstgeißelung in geschichtliche Zusammenhänge einzuordnen (s. Ossietzky 21/14), wobei sie den vermeintlichen »Sieger der Geschichte« außen vor lassen.
Wer sich selbst geißelt, hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, vom politischen Gegner Gleiches einzufordern. Und dieser hat viele Schmutzflecken auf seiner zur Schau getragenen weißen Weste, viele Gründe, sich ebenfalls zu entschuldigen. Ist es etwa kein langer, fetter Schmutzstreifen, der in den 1950/60er Jahren in der BRD mit der politischen Strafverfolgung von linken und anderen demokratischen Kräften gezogen wurde? Ausgangspunkt waren die von der Adenauer-Regierung 1951 verfaßten sogenannten Blitzgesetze. Auf ihrer Grundlage wurden bei allen Landes- und Oberlandesgerichten sowie beim Bundesgerichtshof Sonderstrafkammern eingerichtet. Diese hatten reichlich zu tun. Von 1950 bis 1968 wurden mehr als 500.000 politische Ermittlungsverfahren durchgeführt, die zu etwa 25.000 bis 30.000 Verurteilungen führten. Nicht selten saßen Linke und Antifaschisten im Gerichtssaal Staatsanwälten und Richtern gegenüber, von denen sie bereits im Hitler-Deutschland drangsaliert und verurteilt worden waren. Verboten wurden unter anderem die »Freie Deutsche Jugend«, der »Demokratische Kulturbund«, die »Vereinigung Demokratischer Juristen«, die Gemeinschaft »Frohe Ferien für alle Kinder«. Strafrechtlich verfolgt wurden die Initiatoren einer Volksbefragung über die Einheit Deutschlands und die Sammler von Unterschriften zur Unterstützung des Stockholmer Appells zur Ächtung der Atombomben. Der Besitz von Büchern aus DDR-Verlagen galt als kriminelles Vergehen ebenso wie die Inszenierung von Brecht-Stücken. Höhepunkt der Kriminalisierung politischer Gegner war das Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands. In zahllosen Fällen wurde die strafrechtliche Verfolgung und Inhaftierung mit der Aberkennung staatsbürgerlicher Rechte, mit Paß- und Führerscheinentzug, jahrelanger Polizeiaufsicht, Arbeitsplatzverlust und Berufsverbot verbunden. Haft und Verlust des Arbeitsplatzes hatten schwerwiegende soziale Folgen, nicht zuletzt führten sie zu erheblichen Einbußen bei der Rente. Bis zum heutigen Tag ist keine Rehabilitierung der Opfer der Gesinnungsjustiz erfolgt, von einer Entschuldigung ganz zu schweigen. Letzteres trifft auch auf den Wirtschaftskrieg der BRD-Regierungen gegen die DDR zu.
Allen Widrigkeiten zum Trotz entwickelte sich die DDR-Wirtschaft kontinuierlich. Bereits 1950 erreichte sie das Vorkriegsniveau und 1989 übertraf sie den Stand von 1936 13fach. Erreicht wurden diese Ergebnisse unter komplizierten Umständen: weitaus größere Kriegszerstörungen als westlich von Elbe und Werra, äußerst labile Energiebasis, nahezu keine Grundstoffindustrie, immense Reparationszahlungen mit einen Gesamtwert von 99,1 Milliarden DM umgerechnet in Preisen von 1953, womit 97 Prozent der gesamtdeutschen Reparationen beglichen wurden, erzwungene Einbindung in das ökonomisch und technologisch rückständige RGW-Wirtschaftssystem. Außerordentlich erschwerend wirkte sich der seitens der Bundesrepublik geführte permanente Wirtschaftskrieg aus. Die Methoden waren vielfältig. Sie reichten von dem Verbot bereits vereinbarter Stahllieferungen, wiederholter Kündigung laufender Handelsabkommen, Erpressung bei der Preisgestaltung im Ex- und Import, Sabotageakten, Abwerbung von Wissenschaftlern, Ärzten und Facharbeitern bis zum kompletten Embargo bei Produkten der Hochtechnologie, die auf den Sperrlisten des CoCom (Coordinating Committee for East West Trade Policy) standen. Bereits Anfang 1961 wurden die der DDR-Wirtschaft zugefügten Schäden auf etwa 200 Milliarden Mark geschätzt, was Verteidigungsminister Strauß schlußfolgern ließ, daß die stufenweise Anwendung wirtschaftlicher Sanktionen besser sei »als eine Maschinengewehrgarbe«. Das Ziel des Wirtschaftskrieges gegen die DDR faßte der bundesrepublikanische Wissenschaftler E. Hoffmann zusammen: »Indem man den Interzonenhandel hemmte, konnte man der DDR entscheidenden Schaden zufügen, sie am wirtschaftlichen Fortschritt hindern, den Lebensstandard der Bevölkerung niedrig halten, die dortige Entwicklung diskreditieren und möglicherweise einen Aufstand gegen das Regime in Bewegung setzen.« Dieser Wirtschaftskrieg fügte nicht nur dem Staat DDR, sondern auch seinen Bürgern, den »lieben Schwestern und Brüdern im Osten des Vaterlandes«, großen Schaden zu. Doch anstatt sich dafür auch nur mit einem Wort zu entschuldigen, beklagten die Verantwortlichen das schwere Schicksal der Ostdeutschen unter dem Joch des Kommunismus.
Was aber geschah, als die DDR kläglich untergegangen war und das Kapital Ostdeutschland heim ins Reich geholt hatte? Überfallartig hat es das Volkseigentum, darunter 6.546 Industrie- und Wirtschaftsunternehmen sowie 22.340 Gaststätten, Hotels und Verkaufseinrichtungen, 1.734 Apotheken, 481 Kinos und 475 Buchhandlungen, mit Hilfe der sogenannten Treuhand an sich gerissen und das Volk entschädigungslos enteignet. Zur Beute gehörten auch die volkseigenen Agrar- und Forstflächen sowie selbst die Seen. Die Institution mit dem verlogenem Namen »Treuhand« war nicht nur ein Instrument der entschädigungslosen Enteignung der Bürgerinnen und Bürger der DDR und einer gigantischen Eigentumsumschichtung von Ost nach West, sie war zugleich eine seelenlose Einrichtung zu einer weltweit bis dahin nicht registrierten Vernichtung von Arbeitsplätzen. Von 1989 bis 1991 schrumpfte die ostdeutsche Industrieproduktion auf ein Drittel, drei von ehemals vier Arbeitsplätzen in Industrie und Bergbau wurden vernichtet. Hinter diesen nackten Zahlen verbergen sich Zukunftsangst und großes Leid zahlloser Menschen, die nun und noch immer »neue Bundesbürger« genannt werden. Wie viele Ehen in diesen Jahren zerbrochen, wie viele Menschen an Körper und Geist erkrankt sind, wie viele sich umgebracht haben, darüber schweigen die Regierenden. Nicht im Traum denken sie daran, sich zu entschuldigen. Und es gibt noch viel mehr, wo eine Entschuldigung fällig wäre, zu allererst für die Teilnahme an dem verbrecherischen völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien.
Nichts dergleichen geschieht. Es gibt eine prima Arbeitsteilung: Die Herrschenden frohlocken, die Linken üben sich in Buße.