Kann man Musik darstellen? Gemeint ist nicht, daß Musik sich zu den darstellenden Künsten gesellt wie in Oper oder Schauspielmusik. Der Neurologe Oliver Sacks (New York) schreibt in »Musicophilia« (deutsch von Hainer Kober unter dem Titel »Der einarmige Pianist«) in der Form von Fallgeschichten über Musik und das menschliche Gehirn: Was geschieht, wenn Musik im Hirn verarbeitet wird? Die Frage, warum Musik von Bach gut ist, bleibt ausgeschlossen. Sicher mit Grund! Warum nun ein Theaterchen (das sogenannte Meta Theater aus Moosach/Bayern) solchen Fragen nachgeht, bleibt unbeantwortet. In einer Art von Zylinder (neun Stück auf der Bühne) salbadern als Musiker verkleidete Spieler nach Musik von Steffen Wick irgend etwas kaum Verständliches – glanzloser Irrweg von Theater. Davon sollte man die Finger lassen – wenn es schon von einem Mann im Format eines Sacks nicht bewältigt wird. Es kann nur scheitern, es bleibt Langeweile. Wozu hatte das Radialsystem solches eingeladen? Hat dieses »System« derzeit so wenig eigene Produktionen? »Dem Weggehen zugewandt« ist eine Performance über das Altern. Doch nicht nur eine des Alterns, auch eine der, über und mit Frauen: Carin Abicht, Bärbel Bolle, noch gut bekannt vom DT, Irm Hermann, aus dem Fassbinder-Ensemble, die nun durch den Abend führt, Manuele Kerer, die Komponistin, Fe Reichelt, eine 90jährige Tänzerin, Ursula Staack, ehemalige Kabarettistin, dazu dreizehn Musiker von »Kaleidoskop« und ein sechzig Personen-Chor – das hat fast Aufwand und Form einer antiken Tragödie. Ist Altern tragisch? Die Antwort versucht die ebenfalls etwa 90jährige Österreicherin Ilse Helbich zu geben: Das Partizip »zugewandt« macht beinahe eine optimistische Tragödie daraus. Und Bolle behauptet Alterskraft und hat sozusagen das Schlußwort. Ein großes Thema, fürwahr, dem sich nur die Frühverstorbenen entzogen haben – sonst geht es alle an. Ein schaler Eindruck blieb dennoch: Vielleicht braucht man zu den Erfahrungen, die solche Alten einbringen, Euripideische oder Goethes Größe, um Kunst daraus zu machen. Helbich zitiert Bette Davis: »Das Alter ist kein Ort für Memmen.«
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Erstaunlich in gewisser Weise ist doch, wie just kleine Truppen welt- und gesellschaftsbedeutende Themen aufgreifen, Theaterstücke produzieren »über Juden, Christen, Muslime und den Riß durch die Welt«, so in »Anders, als du glaubst«. Helma Fries hat das Stück geschrieben, Elke Schuster es inszeniert in einer Bühne von Wulf Jahn, produziert durch die Münchener BC-Tourneeplanung, aufgeführt von der Berliner Compagnie. Eine heiße Sache, die kühl ankam. Sicher, es geht nicht nur über solche als Religionen verkleidete Ideologien, sondern um Markt- und Wirtschaftsfragen, Macht und Fanatismus – das haben diese Akteure versucht, und das ist gut so. Aber für diese Themen wäre ein neuer Brecht nötig, auch sollte man späte Hacks-Stücke spielen (etwa »Der Bischof von China«) – da sind diese Themen eben auch in Künstlerhand.
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Meine Abneigung gegen Kriminalromane und -stücke ist fast lebenslang, ich halte sie für langweilig und unkünstlerisch; Schiller »Der Verbrecher aus verlorener Ehre«; »Der Geisterseher« oder Dürrenmatt »Der Richter und sein Henker, eventuell einiges von Wallace ausgenommen. Schon der blöde AKÜ-Titel »Krimi« erzeugt bei mir Übelbefinden (wie neuerdings sogar »Quali« (für Qualifikation). Sind die so redseligen Deutschen so wortarm geworden? Ich versuchte, Aufklärung im Berliner Kriminaltheater zu erhalten. Fehlanzeige. »Arsen und Spitzenhäubchen« ist nun wirklich ungiftig und abgeschabt. Dieser Humor ist nicht mal mehr schwarz, bestenfalls gräulich. Genau so übel befinde ich mich bei dem Modewort Thriller, gar Psychothriller. So einen schrecklichen (»Der Seelenbrecher«) hat neben anderen Scheußlichkeiten der Urheberrechtler Sebastian Fitzek verfaßt und wird landauf, landab als Bestsellerautor herumgereicht, auch im Kriminaltheater ist man ihm auf den Leim gegangen. Fitzek begibt sich in seinem Seelenfang auf das Gebiet der PsyCri, sogar in die Psychiatrie und unter lauter ängstliche Menschen, in unheilvolle Verwirrung. Er zeigt sie nicht, sondern verursacht sie im Publikum. Trotz handwerklichen Könnens von Regisseur Wolfgang Rumpf und des Schauspielers André Zimmermann kann ich solchem Spiel nicht zustimmen. Da baut sich nichts auf, sondern ergibt sich Zerstörnis. Nähme man das ganz ernst, wäre es ein Todesurteil über diese Gesellschaft. Das hat Fitzek sicher nicht gemeint; was wäre, wenn der recht hätte!