Im Sommer 1859 begann der knapp 40-jährige Theodor Fontane mit seinen Streifzügen durch die Mark Brandenburg und nahm sie in den nächsten dreißig Jahren immer wieder auf. Daher kann man ihn wohl als ersten »Touristiker« der Mark Brandenburg bezeichnen. Seine Schilderungen veröffentlichte er zwischen 1862 und 1889 in den fünf Bänden seiner »Wanderungen durch die Mark Brandenburg«, die bis heute zu den einschlägigen Werken realistischer Reiseliteratur zählen. Damit setzte der »märkische Goethe« der Landschaft ein literarisches Denkmal.
Die durch den Buchtitel geprägte Vorstellung, Fontane wäre per Pedes mit Stock und Hut unterwegs gewesen, stimmt nur zum Teil. Fontane war kein passionierter Wanderer, vielmehr nutzte er meist eine Mietkutsche oder die Pferdepost, liebend gern auch die Eisenbahn. Er interessierte sich auch nicht für Schmetterlinge oder Feldblumen am Wegesrand; in seinen Notizbüchern hielt er historische Fakten zu Schlössern, Herrenhäusern, Klöstern, Kirchen oder Parkanlagen fest, aber auch die Geschichten, die ihm ortskundige Bewohner erzählten.
Anlässlich des diesjährigen Fontane-Jubiläums besuchten Camillo Kupke, stellvertretender Kultur-Ressortleiter der Märkischen Oderzeitung, und Uwe Stiehler, ehemaliger MOZ-Kulturredakteur, 24 ausgewählte Orte im Havel- und Oderland, auf dem Barnim, in Potsdam und Berlin, die Fontane vor rund 150 Jahren aufgesucht hatte. Mit seinen »Wanderungen« im Reisegepäck waren sie auf der Suche, was aus Fontanes Zeiten überdauert und was sich verändert hat. Allerdings meist mit dem Auto unterwegs, aber dadurch nicht immer schneller vor Ort als Fontane.
In Neuhardenberg am westlichen Rand des Oderbruchs hatte Fontane das von Schinkel umgebaute Schloss und seine Kunstsammlungen bewundert; heute ist die Schlossanlage ein Zentrum für Kunst und Kultur, Wissenschaft und Wirtschaftsethik mit einem Hotel und zwei Restaurants. Freienwalde (heute Bad Freienwalde) hatte der schriftstellernde Apotheker mehrfach besucht – ein Kurbad ohne Allüren. Mit dem historischen Ambiente und einer besonderen Atmosphäre wird der Besucher heute noch empfangen. Solch Glück fand das Autoren-Duo nicht überall vor. In Jahnsfelde beispielsweise, wo Schloss und Park bei Fontanes Besuch gerade eine umfangreiche Verschönerung hinter sich hatten, macht das Herrenhaus heute einen »etwas erschöpften Eindruck«, und von dem von Pückler angelegten Schlosspark ist kaum noch etwas vorhanden. In ihre Eindrücke vor Ort lassen Kupke und Stiehler auch immer wieder die märkische Geschichte bis zur Gegenwart einfließen. So gab es 2015 in Rheinsberg kontroverse Diskussionen, als das Schlosshotel zur Flüchtlingsunterkunft wurde. Nachdem das Gebäude Ende des Jahres 2017 leergezogen wurde, wartet es wieder auf eine touristische Nutzung. Selbstverständlich stand auch Fontanes Heimatstadt Neuruppin auf dem Besuchsprogramm, wo vieles aus seiner Zeit überdauert hat. Die Texte sind in der Buchreihe »Einst und Jetzt« erschienen und mit zahlreichen historischen Abbildungen und aktuellen Fotos illustriert.
In der Neuerscheinung »Wandern und Plaudern« beschäftigen sich gleich dreizehn zeitgenössische Autorinnen und Autoren mit Fontane und seinen »Wanderungen durch die Mark Brandenburg«. Mit ihren bisher unveröffentlichten Texten zeigen sie, wie inspirierend Fontanes märkische Schilderungen heute noch sind. Wie ihr Vorbild wollten sie ohne »Anspruch und Gelehrsamkeit« die Schönheiten der Mark Brandenburg aufspüren.
»In die Pedale!« – Kerstin Hensel unternimmt eine Fahrrad-Tour in den Oderbruch, wo sie Freunde besucht, die hier seit vierzig Jahren ihren Lebensmittelpunkt haben. Unterwegs begegnen ihr der Alte Fritz – in Bronze gegossen – und an der Oder noch Wunden, die an die Schlacht um die Seelower Höhen im April 1945 erinnern. Florian Werner dagegen verfolgt Fontanes Spuren im Spreewald, zuerst in Lehde, wo der Dichter »ein in die Gegenwart projiziertes Urbild von Venedig zu erkennen meinte«. In Leipe wird der »nervige Fontanepilger« von einem Einheimischen zunächst ziemlich frostig empfangen, doch dann wird er doch ins Haus gebeten. Kathrin Schmidt sucht Rheinsberg auf, wo sie gemeinsam mit »olle Fontane« durch die Straßen schlendert. Bei »Aal mit Bratkartoffeln, ein kleiner Salat dazu« kommt die Frage auf: Warum landen seine Werke heute in kostenlosen Tauschregalen in Supermärkten und auf Marktplätzen? Während Michael Wildenhain den großen märkischen Chronisten im Havelland verfolgt, unternimmt Sonka Hecker im Charlottenburger Schlossgarten einen Fontane-Spaziergang, und Gabrielle Alioth ist extra aus Luzern angereist, um die Märkische Schweiz, die kleine Schwester ihrer Heimat, kennenzulernen. Abschließend ist der bosniakische Schriftsteller Saša Stanišić, der seit 1992 in Deutschland lebt, weniger Fontane, sondern einem Gerücht auf der Spur, das vor Jahren in Schönemark kursierte: Ein Hamburger Investor wollte hier etwas Großes auf die Beine stellen – einen Konsumtempel ausgerechnet im nordwestlichsten Zipfel von Brandenburg. Arbeitsplätze, Tourismus und Perspektiven für die jungen Leute …, doch dann wurde bei Templin das »Fontane-Center« errichtet.
Die reisenden Geschichtenerzähler der beiden Neuerscheinungen nähern sich wie Fontane auf sehr persönliche Weise der Landschaft, Geschichte und den Bewohnern der Mark, mit einem Gespür für deren Eigenheiten. Neben Neugierde und der »Liebe zu Land und Leuten« haben sie einen Sinn für das Nicht-Spektakuläre sowie Geschichtskenntnisse im Gepäck. Natürlich wollen sie den Leser auch zu eigenen Erkundungsfahrten anregen – so ganz nach Fontanes Motto: »Immer in Bewegung und am liebsten ohne vorgeschriebene Marschroute, ganz nach Lust und Laune.«
Frank Mangelsdorf (Hg.): »Fontanes Heimat - einst und jetzt«, Verlag für Berlin-Brandenburg, 88 Seiten, 16,99 €; Gisela Holfter (Hg.)/Godela Weiss-Sussex (Hg.): »Wandern und Plaudern mit Fontane – Literarische Begegnungen mit der Mark Brandenburg heute«, Quintus-Verlag, 192 Seiten, 19,90 €