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Ungehorsame Aktionäre gegen Rheinmetall  (Sven Gerner)

Sie haben Großes vor. Sie rufen öffentlich auf, die Jahreshauptversammlung der deutschen Rüstungsfirma Rheinmetall zu unterbrechen und zu sabotieren. Sie wollen sich Aktien und damit ihre Eintrittskarten kaufen, um am 5. Mai im Berliner Maritim-Hotel mit einer dreistelligen Zahl von Kriegsgegnern die Bühne des Konzernvorstands zu stürmen.

 

Etwas Vergleichbares hat es in Deutschland noch nicht gegeben. Zwar hielten schon vor 50 Jahren einzelne kritische Aktionäre auf Hauptversammlungen missbilligende Reden – wie beispielsweise 1971 bei Siemens in München gegen ein geplantes Staudammprojekt in Mosambik. Anfang der 2000er Jahre entrollten Aktionäre bei Lufthansa in Köln wiederholt Transparente gegen das Geschäft mit den Abschiebungen – bis sie nach kurzer Rangelei von Ordnungskräften aus dem Versammlungssaal hinausgeschoben wurden. Auch auf der diesjährigen Siemens-Hauptversammlung am 5. Februar gab es kritische Reden im Saal und eine Kundgebung vor dem Eingang gegen die Beteiligung des Technologiekonzerns am Kohleminenbau in Australien. Mit solchen Protesten ist es linken Akteuren wiederholt gelungen, öffentliche Aufmerksamkeit für ihre inhaltlichen Anliegen zu erzeugen.

 

Das bundesweite Bündnis »Rheinmetall Entwaffnen« knüpft daran an und spitzt in diesem Jahr die Protestform zu. Es verkündet ganz offen eine massive Beeinträchtigung der Zusammenkunft der Aktionäre und lädt zum Mitmachen ein. Wer bis Anfang April eine Rheinmetall-Aktie erwirbt, erhalte nach dem Aktienrecht die Erlaubnis zur Teilnahme an der Hauptversammlung, ist in der detaillierten Anleitung zum Aktienkauf zu lesen, die das Bündnis auf seiner Website anbietet.

Menschen aus Gewerkschaften, linken Parteien, sozialen Bewegungen, feministischen und kurdischen Kämpfen haben sich in dem Bündnis zusammengeschlossen. Während ihres Camps im September 2019 blockierten sie über 24 Stunden eine Panzer- und Bombenfabrik im niedersächsischen Unterlüß. Sie besetzten die Zufahrtsstraßen und blockierten Seiteneingänge zur Fabrik mithilfe teils meterhoher Barrikaden aus Totholz aus dem angrenzenden Wald.

 

Anlieferungen für die Rüstungsproduktion wurden währenddessen unmöglich gemacht, nur ein geringer Prozentsatz an Beschäftigten kam wie an normalen Werktagen überhaupt ins Werk. Rheinmetall hatte, so berichtete ein Beschäftigter aus Unterlüß, Heimarbeit angeboten. Der Konzern spricht über die Proteste dieser neuen Bewegung nicht gern. Jeder habe das Recht auf Meinungsfreiheit, lautete der lapidare Satz aus der konzerneigenen Pressestelle zu den bunten Aktionen des Camps.

 

Die Akteure von Rheinmetall Entwaffnen meinen es ernst. Zurzeit reisen sie durch die Bundesrepublik, um für ihr Anliegen zu werben. Eine von ihnen ist Carola Palm. Sie erzählt von einer Rede während der Hauptversammlung 2018: »Als die jemenitische Menschenrechtsaktivistin Bonyan Gamal berichtete, wie im jemenitischen Dorf Deir Al-Ḩajārī eine Lenkbombe von Rheinmetall eine schwangere Mutter und ihre vier Kinder getötet hat, prallte das an den leblosen Gesichtern der Aktionäre ab.« Dass Worte offensichtlich nicht mehr ausreichen, um die Rheinmetall-Eigentümer zu erreichen, ist einer der Gründe, warum sich das Bündnis für Aktionen des zivilen Ungehorsams entschieden hat. »Bevor noch mehr deutsche Waffen im Jemen Menschen töten, schreiten wir ein. Dafür müssen wir etwas riskieren. Nur dann können wir auch etwas gewinnen«, ergänzt Palm.

 

In ihrem Aufruf zu den Protesten am 5. Mai im Saal der Aktionärsversammlung zeichnen sie ein Bild von vielfältigem Ungehorsam: »So verschieden unsere Mittel auch sind, wir werden doch vereint sein im unkontrollierbaren Durcheinander, wenn sich immer wieder überall im Raum unsere Stimmen gegen die Kriegsverbrecher erheben und nicht mehr verstummen werden.«

Die Ankündigung ist ein Novum. Nie zuvor wurde in Deutschland zu einer solchen Intervention während einer Hauptversammlung öffentlich mobilisiert. Wenn sich tatsächlich wie erwartet eine dreistellige Zahl von Kritikern beteiligt, wird es der Versammlungsleitung schwerfallen, den sich abzeichnenden vehementen und langandauernden Protest zu verhindern. Das Aktienrecht bindet dem Unternehmen zunächst die Hände. Der Konzern kann seine Aktionäre nicht vorab von der Hauptversammlung ausschließen. Das Teilnahmerecht der Aktionäre ist grundsätzlich ein unentziehbares Recht und kann nicht beschränkt werden, bestätigen Rechtsanwälte. Erst wenn der ordnungsgemäße Verlauf der Hauptversammlung gestört wird, kann der Versammlungsleiter zu Ordnungsmaßnahmen greifen und zum Beispiel den Saalverweis der ungehorsamen Aktionäre veranlassen.

 

Dass ihr ambitioniertes Vorhaben gelingen kann, haben die Kriegsgegner selbst vorgemacht: Im vergangenen Jahr haben sie – klandestin vorbereitet – bereits mit etwa 50 Personen die Bühne besetzt und die Versammlung für eine knappe Stunde unterbrochen, bis sie von der herbeigerufenen Polizei einzeln hinausgetragen wurden (vgl. Ossietzky 14/2019). Nicht alle, aber die meisten der danach gegen die Bühnenbesetzer eingeleiteten Ermittlungsverfahren wegen Hausfriedensbruch wurden eingestellt. Bislang hat der Konzern anscheinend kein Interesse an einer juristischen Auseinandersetzung mit seinen eigenen Aktionären. Ob das auch 2020 so bleiben wird, ist offen, aber Carola Palm von Rheinmetall Entwaffnen schreckt das nicht: »Repression gehört zu ungehorsamen Aktionen. Ich würde mich sogar über einen Gerichtsprozess freuen. Den würden wir nutzen, um die Rheinmetall-Vorstände öffentlichkeitswirksam für ihre Menschenrechtsverbrechen anzuklagen und im Zeugenstand müssten sie uns endlich Rede und Antwort stehen.«

 

Informationen zu den Protesten: https://rheinmetall-hauptversammlung.org