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Der Irak nach fünf Jahren Krieg  (Rainer Schmitt)

»Krieg ist vielleicht eine genetische Konstante des Menschen.« Diese Aussage von Norman Paech, Völkerrechtsexperte und außenpolitischer Sprecher der Linken, läßt Zweifel an einer möglichen Befriedung des Irak aufkommen. Gibt es dennoch Alternativen zu Krieg und Besatzung im Irak? Dieser Frage versuchten fünf Jahre nach dem Einmarsch US-amerikanischer und britischer Truppen und dem Ende des Baath-Regimes zahlreiche Experten bei einer internationalen Irak-Konferenz in der Humboldt-Universität Berlin auf den Grund zu gehen.

Für Walter Sommerfeld, Altorientalist an der Universität Marburg, legten die Briten 1920 mit der Gründung des Irak die Lunte für die heutigen ethnischen und religiösen Auseinandersetzungen. Dieses »Kunstprodukt der Kolonialmächte«, wie Sommerfeld den Irak nennt, habe Sunniten, Schiiten und Kurden in einen Staat gepreßt. Dennoch seien die heutigen Bürgerkriegszustände im Land nicht auf das Spannungsverhältnis zwischen Sunniten und Schiiten zurückzuführen. Bis 2003 seien Konflikte zwischen den beiden großen islamischen Gemeinschaften im Irak nahezu unbekannt gewesen.

Bevor die USA den Irak als Terrorstaat brandmarkten, kannte man dort auch keine al-Qaida und verwandte Terrorgruppen. Danach erst – so Sa´eed Hasan al-Musawi, ehemaliger Botschafter des Irak bei der UNO – wurde das Land zu dem, was ihm die USA zuvor zugeschrieben hatten: zu einem Terrorstaat, einem »failed state«. Und erst ab diesem Zeitpunkt wurden religiöse Motive politisch instrumentalisiert. Mit dem Sturz von Saddam Hussein hätten die USA ein ­Sicherheits- und Machtvakuum geschaffenen, in dem eine, wie Sommerfeldt es nennt, »lost generation« von jungen Irakern herangewachsen ist.

Vom Leben dieser »lost generation« berichtet Dahlia Wasfi, irakisch-amerikanische Ärztin, engagiert bei der Initiative Global Exchange for Peace. Bis 2006 fielen ungefähr 2.000 Ärzte den kriegerischen Auseinandersetzungen im Irak zum Opfer. Derzeit stirbt jedes achte Kind im Land. Krankenhäuser werden durch die US-Armee gesperrt oder gar zerstört. Eines der vielen grauenvollen Fotos, die den Vortrag illustrieren, zeigt US-Soldaten bei der Verhaftung von irakischen Ärzten am Arbeitsplatz. Den Sinn einer solchen Militäraktion zu erklären, dürfte schwer fallen. Ihre Erfahrungen lassen für Wasfi nur eine Schlußfolgerung zu: Der Krieg und die Besatzung des Irak sind nicht ein »war against terror«, sondern ein »war of terror«, der nach dem Prinzip »blood for oil« abläuft.

Nach den neuesten Ergebnissen der Lancet-Studie über die Opfer des Krieges sind inzwischen 900.000 Zivilisten getötet worden. Durchschnittlich alle drei Stunden wird ein Iraker an einem der amerikanischen »Checkpoints« erschossen. Zurückzuführen ist das auf die sehr weit gefaßten Gefechtsanweisungen der Kommandantur der Besatzungsstreitkräfte, so Céline Nahory vom Global Policy Forum. Ganze Städte sind zerbombt, und. 4,5 Millionen Iraker sind auf der Flucht (s. Ossietzky 5/08).

Von Problemen auf der anderen Seite, auf der der US-Soldaten, berichtet der ehemalige Panzerfahrer Clifton Hicks. Er hat aus moralischen Gründen der ­Armee den Rücken gekehrt und ist inzwischen den Iraq Veterans Against the War beigetreten. Als Soldat, hat er erfahren, wird man zu einem »complete slave«. Freie Meinung und Rede, eigener Wille, Selbstrespekt, Respekt vor dem Leben von Zivilisten, ganz allgemein vor dem Leben anderer, all das schaltet die militärische Führung bei den Soldaten aus. Nicht bei allen, aber bei den meisten funktioniere das, sagt Hicks; lange genug auch bei ihm. »When you go to Iraq and kill, you are no more a man but an animal«, erklärt er das Verhalten der Soldaten.

Er zeigt Bilder, die diese Verrohung und Verwilderung dokumentieren. Auf einem ist ein Iraker zu sehen, rücklings auf der Strasse liegend, die Hände gefesselt. Sein Kopf ist nur noch blutig-breiige Masse, in der sich – Hicks analysiert die Situation ganz sachlich – rechteckige Spuren abzeichnen. Er blendet ein Foto zurück, weist auf die Kette eines US-Panzers hin. Sie hat genau die gleiche Form wie die Spuren. Der Panzer diente als Tötungsinstrument. Mit der Kette über den Kopf gefahren – kein Einzelfall.

Wie kann nach all dem Schrecken des fünfjährigen Krieges, dem schon zwei andere Kriege und ein verheerendes Embargo vorausgegangen waren, Frieden eintreten und halten? Pläne gibt es in großer Zahl. Vorrang hat – darin stimmen die Experten überein – der Abzug der US-Truppen. Eine überzeugende Friedensregelung muß aber von vorn herein auch die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation, die irakische Kontrolle des Öls, Reparationen zur Finanzierung des Wiederaufbaus und die Aussöhnung zwischen allen Konfliktparteien umfassen. Die Pläne gehen sehr ins Einzelne. Fraglich ist, ob sie die Akzeptanz aller Bevölkerungsgruppen finden werden. Es ist wohl so, wie William Polk, ehemaliger US-Sicherheitsberater unter Kennedy, zu bedenken gibt: All diese Vorschläge zur Befriedung des Irak können nur ergänzen und unterstützen, was die irakische Bevölkerung selbst für den Frieden leisten muß. Nur sie kennt die Strukturen des Landes ausreichend, so Sommerfeldt. Nur sie weiß, was praktikabel ist. Hilfe von außen ist wichtig, aber die Hauptverantwortung für die Geschicke des Irak liegt bei den Irakern selber. Niemand hat das Recht, sie zu bevormunden.