Bei dem CDU-Politiker Rainer Eppelmann, in der von ihm geleiteten Stiftung und in den anderen Institutionen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur herrscht Hochbetrieb. Die Vorbereitungen auf das »Gedenkjahr 2009« sind in vollem Gange. Eines seiner Ziele ist es, so Ulrich Mählert, Arbeitsbereichsleiter der Stiftung, das Selbstbewußtsein der Ostdeutschen mit der Erinnerung an ihre friedliche Revolution zu stärken. Chef-Aufarbeiter Eppelmann selbst lobt die DDR-Bürger dafür, daß und wie sie sich vor nunmehr bald 20 Jahren »Freiheit und Demokratie erkämpft haben«. Nun gelte es, dieses Kapitel mit der »bundesrepublikanischen Erfolgsgeschichte zu vereinigen«. Mit Rundschreiben werden Bundestags- und Landtagsabgeordnete sowie Bürgermeister zum aktiven Mitwirken aufgefordert.
Doch weder bei dem Absender noch bei den Adressaten will so rechte Vorfreude aufkommen. Immer wieder bestätigen Untersuchungen, daß sich die Begeisterung der Bürger, vor allem im ostdeutschen Revolutionsgebiet, in Grenzen hält. Gerade unter den Jugendlichen, aufgewachsen unter der gepriesenen »Freiheit und Demokratie«, haben sich Vorstellungen über die soziale Sicherheit in der DDR eingenistet, die beträchtlich von denen der Aufarbeiter abweichen. Neben Glanzpapier-Publikationen, zahlreichen Ausstellungen, einem bunten Reigen von Veranstaltungen sollen deshalb besonders Bildungsangebote für Schulen gefördert werden.
Gerade hier wurde den Gedenkjahr-Vorbereitern kürzlich ein weiteres Mal Hilfe von höchster staatlicher Stelle zuteil. Im großen Festsaal im Schloß Bellevue empfing Bundespräsident Horst Köhler in Anwesenheit Eppelmanns 80 Gymnasiasten aus dem mecklenburg-vorpommerschen Wittenburg und aus Berlin-Neukölln zum Gespräch mit Zeitzeugen, die unter dem DDR-Unrechtsregime gelitten haben. In einem Grußwort warnte Köhler die Jugendlichen vor einer Verklärung des untergegangenen Staates und vor allem davor, die soziale Sicherheit in der DDR zu loben, denn diese »stand auf tönernen Füßen« und »die scheinbare ›Vollbeschäftigung‹ war mit enormen Auslandsschulden, mit unproduktiven Arbeitsplätzen, versteckter Arbeitslosigkeit, Raubbau an der Natur und in vielen Fällen mit Mißwirtschaft zu Lasten des allgemeinen Lebensstandards erkauft«.
Bei dieser staunenswerten Erklärung ging er nicht darauf ein, daß die »enormen Auslandsschulden« laut der Bundesbank gerade einmal 10,9 Milliarden Dollar betrugen, die Pro-Kopf-Verschuldung in der DDR 1990 dreimal niedriger als in der BRD war und der Sieger im Ost-West-Vergleich im zweifellos bedauerlichen Raubbau an der Natur noch nicht ermittelt wurde. Verständlicherweise vermied er es auch, darauf aufmerksam zu machen, daß die mehr als zwei Millionen gegenwärtig von Arbeitslosigkeit betroffenen Ostdeutschen eigentlich ganz gern nicht real, sondern nur »versteckt« arbeitslos wären und die Masse der Ostdeutschen insgesamt gleichermaßen gern auf die seit Jahren anhaltende Absenkung ihrer Realeinkommen und damit ihres Lebensstandards verzichten würde. Offenkundig selbst nicht so ganz von seiner Argumentation zur fehlenden sozialen Sicherheit in der DDR überzeugt, fand er beeindruckende Worte zur dort herrschenden politischen Knechtung unangepaßter junger Menschen. So auch diese: »Selbst Jugendliche, die sich gar nicht politisch engagierten, konnten in das Räderwerk der Unterdrückung geraten. Es reichte in der DDR schon, seine eigene Musik hören, seinen eigenen Berufswunsch verfolgen oder sich seine Freunde selber aussuchen zu wollen.«
Die Gymnasiasten des Wittenburger Liscow-Gymnasiums, die sich nun ihre Freunde selbst aussuchen dürfen und selbstverständlich jeden Berufswunsch erfüllt bekommen, waren aufs Höchste beeindruckt. Überhaupt war die Veranstaltung ein durchschlagender Erfolg – abzulesen allein schon an dem nahezu einmütigen Beifall, den die Leser der Schweriner Volkszeitung tags darauf dem Bericht über die bildungspolitische Veranstaltung im Schloß Bellevue spendeten. Da fragt Dieter im Internet: »Wieder einmal eine Kampagne gegen die DDR?« und meint: »Es ist ja nicht schlecht, Geschichte aufzuarbeiten. Aber bitte nicht einseitig!« Alexander fordert, »unseren Kindern mal lieber (zu) erklären, warum wir trotz einer guten Ausbildung – Betonbauer, Meister – mit 52 Jahren nicht mehr gebraucht werden und in eine soziale Schieflage (Hartz IV) gedrängt wurden? Zeitzeugen sind wir auch, aber diese werden nicht ins Schloß eingeladen, höchstens zu einem verarschenden Gespräch zur Arge, um einen Ein-Euro-Job zum Papiersammeln am Straßenrand zu erhaschen.« Hartwig dagegen erinnert sich an seine triste Kindheit: »Ich hab’ sie noch, die Handschellen, mit denen wir immer im Kindergarten ans Töpfchen gekettet wurden. Ist das nicht traurig? Tag für Tag erklären uns so schlaue Leute wie der Herr Bundespräsident unser Leben, damit wir endlich wissen, wie es wirklich war. Da wir Töpfchenscheißer aber einfach zu dämlich sind, muß jetzt wenigstens die nächste Generation vor Verklärung und Idealisierung geschützt werden.«
Wer angesichts solcher Unbelehrbarkeit Angst um Deutschlands Zukunft hat, der sei beruhigt. Zeitgleich mit des Präsidenten Einsatz zur Aufklärung der dunklen DDR-Vergangenheit wurde in der prächtigen Privatvilla der Bankiersfamilie von Metzler in Frankfurt am Main der Zukunft gedacht und der »Zukunftsrat« gegründet. Auch der Kriegslügner Rudolf Scharping gehört zu diesem illustren Kreis, der unter anderem für »Gemeinsinn statt Eigensinn«, für »soziale Gerechtigkeit, nicht Verteilungsgerechtigkeit« und »für das Recht zu arbeiten und nicht für das Recht auf Arbeit« stehen will. Laut Gründer Manfred Pohl muß »die geistige Elite ... mehr politische Verantwortung übernehmen, um Deutschland vor dem süßen Brei zu schützen«. Da braucht einem um Deutschlands leuchtende Zukunft bei Trockenbrot und Wassersuppe nicht bange zu sein.