Es ist das illusionäre Versteckspiel Berlins, daß es immer so tut, als ob alles vorangeht. Klemm dir eine Aktentasche unter den Arm und besteig eine Bahn, gleich kommst du voran! Überlaß dich dem Verkehr – schwupp! Schon befindest du dich an der Endstation! Hier allerdings beginnt das Problem und die Schimäre. Eine Endstation ist Anfang wie Ende zugleich; sie ist eine Gummiwand, die dich wieder zurückwirft, wobei dir allmählich beigebracht wird, wo dein Heil und dein Auskommen liegt, nämlich zwischen zwei Endstationen.
Martin Kessel (1901–1990)
Nunmehr läuft, wovor wir schon in der Tagespresse gewarnt wurden: »die neue Image-Kampagne ›be Berlin‹, für die der Senat bis 2009 rund zehn Millionen Euro ausgibt. Es ist eine Mitmachkampagne: Alle Hauptstädter sind aufgerufen, ihre – positive – Berlin-Geschichte zu erzählen. Am Sonnabend werden noch einmal 1,4 Millionen Haushalte vom Regierenden Bürgermeister angeschrieben, der ebenfalls zum Mitmachen auffordert. Zusätzlich gibt es Großplakate, Flyer, Postkarten, Radio- und TV-Spots.«
Endlich gibt’s mal Großplakate.
Natürlich hat sich der Regierende Bürgermeister die Image-Kampagne nicht allein ausgedacht. Dafür hat man teure Spezialagenturen, die sich mühelos solche kräftigen Schlagworte wie »Image-Kampagne« aus den Ärmeln schütteln. Was ist eine Image-Kampagne? Spendiert der Regierende Bürgermeister jedem der am Sonnabend noch einmal von ihm angeschriebenen 1,4 Millionen Haushalte eine gut gekühlte Flasche Kampagner?
Immerhin sollen wir alle uns bekennen. Die Obrigkeit wünscht es.
Wir sollen uns aber nicht etwa, was jede Obrigkeit schätzt, zu ihr bekennen, also zur Obrigkeit – nicht einmal zu Berlin bekennen sollen wir uns. Wir sollen uns nämlich als Berlin bekennen. Damit es die ganze Welt verstehen kann, sollen wir nicht nur versichern: Isch bin aine Börliner (wie John F. Kennedy), sondern: I am Berlin, ich bin Berlin. Und alle anderen Leute werden von mir aufgefordert: Seid Berlin. Be Berlin!
Hier taucht ganz am Rand die Frage auf, ob Klaus Wowereit, der in dieser Angelegenheit doch eine gewisse Vorbild-Pflicht hat, also ob er Berlin ist.
Ich darf mal ganz offen sagen: Mir kommt Wowereit eher wie Lichtenrade vor.
Das ist keinesfalls irgendwie abfällig gemeint. Ich kenne Lichtenrade, hatte dort sehr achtbare Freunde und stehe sogar in loser Geschäftsbeziehung zu der äußerst seriösen Medizin-Technik-Firma Jochum in Lichtenrade, die ich jederzeit empfehlen könnte. Warum soll einer also nicht aus Lichtenrade kommen? Ich beispielsweise bin, was meinem Ruf nicht geschadet hat, in Berlin-Neukölln geboren. Früher sagte man spaßeshalber, die meisten Berliner stammen aus Schlesien. Genau so die Familie meines Papas. Einer unserer Urahnen namens Johann Benjamin K. lebte von 1773 bis 1837 in Schweidnitz und war dort Regierender Bürgermeister (das schmückende Beiwort benutzte man in jener Zeit noch nicht, aber gewiß hat J.B. Kusche auch ein bißchen regiert in Schweidnitz).
Es ist nicht bekannt, daß ihn irgendwann irgendjemand gebeten hat, Schweidnitz zu sein. Er hätte gar nicht verstanden, was man eigentlich von ihm wollte.
Das Großplakat bittet auch mich: »sei überraschend – sei erfolgreich – sei berlin«.
Überraschend war ich bei entsprechenden Gelegenheiten, manchmal sogar erfolgreich, Berlin war ich noch nie; an sowas würde man sich doch erinnern.
Als friedlicher Bürger möchte ich mich mit den Image-Kampagneros nicht streiten. Mein Kompromiß-Vorschlag: Ich bekenne, daß ich ein ganz kleines Stückchen von Treptow bin.