Wer besorgt auf Gegenwart und Zukunft schaut, muß den Blick auch auf geschichtliche Ereignisse richten, auf Erfahrungen, die in den Zeiten zweier Weltkriege und des Kalten Krieges nicht allein die Deutschen zu machen hatten. Eine Konferenz antifaschistischer Organisationen setzte sich deswegen im vorigen Jahr mit dem herrschenden Geschichtsbild und der Geschichtspolitik auseinander. Nun liegt das Ergebnis vor – erhellend, anregend, zu weiterem Nachdenken zwingend.
Vier in Deutschland gebetsmühlenartig vorgetragene Sentenzen – Grundelemente jener Geschichtspolitik, die im heutigen Deutschland offiziell gefördert und vielgestaltig in den Massenmedien verbreitet wird – bieten den beiden Herausgebern und 15 Autoren Stoff in Hülle und Fülle. Da ist zum einen die Behauptung, man benötige eine »grundlegende Neubewertung« des historischen Geschehens im 20. Jahrhundert, womit sich die Absicht verbindet, Täter zu Opfern zu stilisieren und die gesellschaftlichen Ursachen faschistischer Ideologie, Bewegungen und Herrschaftsformen zu kaschieren. Des weiteren behandeln Moshe Zuckermann, Kurt Pätzold und Holger Politt Aspekte der These, daß »um alle Opfer« von Diktaturen und Kriegen zu trauern sei. Im dritten Teil wehren sich Rosario Bentivegna, Hannes Heer und Ulrich Sander überzeugend gegen Versuche, faschistische Verbrechen zu relativieren. Einige Autoren, verantwortlich zumeist für Gedenkstättenarbeit, befassen sich in Teil IV mit der gleichmacherischen »Aufarbeitung diktatorischer Herrschaft zwischen 1933 und 1990« und daraus sich ableitenden Problemen. Schließlich wird am Ende des Bandes »vergessener Opfer« gedacht. Ein »Vermächtnis« von neun internationalen Lagergemeinschaften vervollständigt die Publikation, der zahlreiche Leser zu wünschen sind.
Von einer »retrospektiven Fiktion« und davon, daß in Stätten der Erinnerung an die Opfer des Faschismus und an Gedenktagen im Grunde nur »der Form Genüge getan« werde, handelt das Vorwort der Herausgeber. Sie wenden sich gegen den Versuch, die Menschheitsverbrechen des deutschen Faschismus mit anderen historischen Ereignissen gleichzusetzen und die Geschichte als Mittel zur Legitimation neuer militärischer Abenteuer zu nutzen.
Hier können nicht alle Beiträge Erwähnung finden, die einzelnen Erscheinungsformen des Geschichtsrevisionismus gelten. Sie sind in Thematik wie Gehalt unterschiedlich geraten; manche schöpfen aus Erinnerungen, andere aus wissenschaftlichen Analysen. Daneben stehen mitunter recht kurze, aber erhellende Statements zu methodischen Aspekten geschichtspolitischer Argumentation. Um theoriegeschichtliche Aufklärung und eigene Begrifflichkeit bemüht sich Wolfgang Wippermann. Mit seinen Urteilen bin ich nicht immer einverstanden; seiner Warnung, daß Faschismus nicht nur Geschichte, sondern auch Gegenwart sei, ist indessen uneingeschränkt zuzustimmen.
Gerade die im Band erkennbaren Unterschiede im Herangehen an notwendige Auseinandersetzungen mit anti-antifaschistischen Geschichtsverdrehungen, die im Grunde eine anti-antifaschistische Funktion erfüllen, regt zu intensivem Lesen und auch zu weiterem Nachdenken an. So könnten die Organisatoren der nunmehr dokumentierten Konferenz ermutigt sein, ihr andere folgen zu lassen. Antifaschismus heute – dieses Problemfeld geht weit über Historisches hinaus und bedarf auch der Beschäftigung mit neuen Erfordernissen, Inhalten und Formen antifaschistischen Wirkens. Nicht allein konservative und neoliberale Theoretiker streben nach völliger Verkehrung der bekannten Horkheimer-These zu dem Diktum, daß derjenige, der nicht vom Kommunismus reden wolle, zum Faschismus zu schweigen habe. Zugleich verstärkt sich die seit langem zu beobachtende Tendenz, den Faschismusbegriff zu meiden und mit dem Blick auf Deutschland grundsätzlich vom »Nationalsozialismus« zu reden. Diese gleichsam »verordnete« Begriffsanwendung geht einher mit Versuchen, die deutsche Variante des Faschismus sowohl zu »entfaschisieren« – also eher seine guten (mitunter auch seine angeblich notwendigen, weil antibolschewistischen) Seiten herauszustellen, nach dem Menschlichen in Hitler zu suchen und so weiter. Versuche sind allerorten spürbar, den Faschismus auch zu »entkapitalisieren« oder gar zu »sozialisieren«, also überhaupt nicht mehr nach dessen Wurzeln in der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu fragen oder ihn sogar als eine Spielart antikapitalistischer Strömungen darzustellen. Zu erkunden wäre vor allem der Zusammenhang zwischen den sich verändernden gesellschaftlichen Voraussetzungen, unter denen alter und neuer Faschismus in Gestalt von Parteien, Bewegungen und Ideologien entstehen und gedeihen konnten und auch weiterhin sich formieren können. Zu fragen wäre nach dem Zusammenhang von Krieg und innenpolitischer Entdemokratisierung, ferner nach Wirkungsmöglichkeiten völkisch-rassistischer Argumentationsmuster und auch nach antifaschistischen Positionen gegenüber inhumaner Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.
Als in Deutschland der 30. Januar 1933 nicht hatte verhindert werden können, faßte Lion Feuchtwanger im Roman »Die Geschwister Oppermann« seine kritische Rückschau in ein anschauliches Bild: Ein Marathonläufer sollte eine Meldekapsel überbringen, doch nach entkräftendem Lauf stellte sich heraus, daß diese leer war. Sie habe keine Botschaft enthalten, alle Anstrengungen, alles Widersprechen hätten sich daher als vergeblich erwiesen.
Überzeugungsstarke, wirkungsmächtige Botschaften einer Gesellschaft ohne Faschismus und Krieg zu formulieren und zu verbreiten – das bleibt Aufgabe des heutigen Antifaschismus: Widersprechen, um erfolgreich widerstehen zu können!
Heinrich Fink / Cornelia Kerth (Hg.): »Einspruch! Antifaschistische Positionen zur Geschichtspolitik«, PapyRossa Verlag, 126 Seiten, 29.90 €