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Corona, Homeoffice und das Arbeitsrecht (II)  (Marcus Schwarzbach)

Die Hoffnung, das Arbeiten zuhause erleichtere die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, wird in der Praxis enttäuscht. Homeoffice beinhaltet »das Risiko, traditionelle Geschlechterarrangements zu verfestigen«, sagt Yvonne Lott, Leiterin des Referats Geschlechterforschung am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung.

 

»Männer machen zu Hause oft mehr Überstunden. Im Durchschnitt arbeiten Väter mit Homeoffice zwei Stunden in der Woche länger als Väter, die ausschließlich im Büro arbeiten.« Ein Potential, »im Homeoffice mehr Zeit mit den Kindern zu verbringen«, sei so nicht erkennbar – obwohl das Argument häufig genannt werde. Anders sehe es bei Müttern aus, so Lott. Mütter arbeiten zu Hause »bis zu einer Stunde länger als Mütter ohne Homeoffice. Sie investieren aber im Vergleich zu Müttern, die nie im Homeoffice arbeiten, durchschnittlich drei Stunden mehr in die Kinderbetreuung. Mütter haben mit Heimarbeit also oft eine höhere Mehrfachbelastung.« Homeoffice ist keine Rückkehr an den Herd, wie die AfD es fordert, sondern »Herd und Laptop« ist hier anscheinend die Logik.

 

Probleme bereitet auch die Vereinzelung der Beschäftigten. »Axel macht neuerdings zwei Tage Home Office und einen überaus angestrengten Eindruck«, schreibt Ursula Kals für die FAZ: »In puncto Rechtfertigungsrhetorik ist Axel inzwischen routiniert. Denn die lieben Kollegen hatten abenteuerliche Vorstellungen, was Axel an diesen Arbeitstagen so treibt.«

 

Nicht jeder Befragte ist begeistert von der Zunahme der Arbeit im Homeoffice, meldet das Forschungsprojekt Digitrain 4.0: Fast 16 Prozent fühlen sich durch den »verringerten persönlichen Kontakt zu Arbeitskollegen weniger in das Unternehmen und ihr Team integriert«. Ein Viertel der Befragten beklagt, dass »fachliche Probleme mit mobil arbeitenden Kollegen schwerer zu lösen« seien, ergab eine Onlinebefragung von über 200 Beschäftigten für das Bundesministerium für Bildung und Forschung.

 

Den fehlenden Kontakt zu Kollegen sieht der Personaldienstleister Avantgarde-Experts als problematisch an: »Wer täglich oder mehrmals die Woche sein Büro in die eigenen vier Wände verlagert, der läuft Gefahr, sozial zu vereinsamen. Der zwischenmenschliche Austausch mit Kollegen beim gemeinsamen Mittagessen trägt erheblich zur Arbeitszufriedenheit bei.« Die Auswirkungen sind aber noch gravierender: Wer schon einmal versucht hat, Beschäftigte von der Bedeutung gewerkschaftlicher Aktionen wie »kämpferische Mittagspause« oder Warnstreiks zu überzeugen, weiß, wie wichtig das persönliche Gespräch ist. Das können Skype oder E-Mail nicht ersetzen. Somit kann Homeoffice zu einer weiteren Schwächung der Gewerkschaften führen.

 

Die Zeitschrift Capital berichtet von einer Stanford-Studie, der zufolge die Produktivität im Homeoffice um rund 13 Prozent steigt. Die Ursachen: »Der Mitarbeiter meldet sich seltener krank, arbeitet konzentrierter, lange Mittagspausen mit Kollegen entfallen. Manche Heimarbeiter setzen sich allerdings unter einen stärkeren Leistungsdruck«, kritisiert die Journalistin Nina Jerzy. Viele Telearbeiter sehen sich »unter besonderer Beobachtung«. Sie scheinen dem Unternehmen ihren Arbeitseifer beweisen zu wollen, wenn sie schon zuhause arbeiten »dürfen«, ist häufig zu hören.

 

Mancher wird schnell enttäuscht, wie ein Beispiel zeigt: Ein Verwaltungsangestellter äußerte den Wunsch nach Homeoffice, da es im Betrieb massive Probleme mit dem Vorgesetzten gebe. Dass sein Chef per Mail und Videokonferenz ebenso gut schikanieren konnte und so das Problem nicht gelöst wurde, nahm er erst zuhause wahr.

 

Immer mehr Beschäftigten wird beim Thema »Homeoffice« klar: Die Suche nach einfachen Lösungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird oft enttäuscht. Auch besteht für Beschäftigte das Risiko der Vereinzelung und Abkoppelung von der Entwicklung im Betrieb, etwa im Bereich der Qualifizierung. Der neue Ver.di-Vorsitzende Frank Werneke äußert sich kritisch: Arbeit im Homeoffice sei nicht »immer so idyllisch ..., wie es manchmal skizziert wird«. Das macht Hoffnung, dass die Gewerkschaften eine eigene Strategie zum Thema entwickeln. Arbeitszeitverkürzung wäre die bessere Option bei der Suche nach Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie.