Die Ausgangsbeschränkungen im Rahmen der Corona-Krise führen dazu, dass viele Menschen den ganzen Tag zuhause sitzen. Kultureinrichtungen und Bibliotheken sind geschlossen. Doch vom Sofa aus kann man jetzt per Internet einige kulturelle Ereignisse wahrnehmen, zum Beispiel per Video-Stream an Konzerten und Lesungen teilnehmen oder sich auf eine virtuelle Museumstour begeben.
Betroffen von den Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus ist auch die Ausstellung »John Heartfield – Fotografie plus Dynamit«, die eigentlich am 21. März in der Akademie der Künste (Pariser Platz, Berlin, bis 21. Juni) ihre Pforten öffnen sollte. Nach Möglichkeit soll sie verlängert werden. Da der Vorhang aber vorerst unten bleibt, wird auf der Website www.johnheartfield.de unter dem Titel »Kosmos Heartfield« eine umfangreiche multimediale Ausstellung präsentiert, die Fotos, Dokumente und audio-visuelle Zeugnisse aus dem Leben und Wirken des revolutionären Künstlers beinhaltet. Sie zeigt John Heartfield (eigentlich Helmut Herzfeld, 1891–1968) als Begründer der politischen Fotomontage, der einer der bedeutendsten politisch-satirischen Künstler im Kampf gegen den Nationalsozialismus war.
»Kosmos Heartfield« unterteilt die Biografie in drei Lebensabschnitte (»Der Weg zur Fotomontage«, »Flucht und Exil« und »Rückkehr aus dem Exil«). Unter diesen Rubriken findet man zahlreiche Abbildungen (Dokumente, Fotomontagen und Plakate) sowie Audiobeispiele (unter anderem »Song of the Refugees« mit dem Text von Heartfield). Ergänzt werden diese Zeugnisse durch Informationstexte, die Heartfields künstlerisches Netzwerk beleuchten. So hatte er engen Kontakt zu bedeutenden Zeitgenossen wie Bertolt Brecht, George Grosz, Erwin Piscator und natürlich seinem älteren Bruder Wieland Herzfelde.
Heartfields umfangreicher Ausstellungstätigkeit ist eine eigene Rubrik gewidmet. Bereits 1920 trat er als einer der Hauptakteure auf der ersten Dada-Messe in Berlin auf. Insgesamt an dreißig internationalen Ausstellungen beteiligte sich Heartfield zu Lebzeiten. Der Großteil fiel dabei in die Zeit nach seiner Rückkehr aus dem Exil. Filmmaterial und zahlreiche Dokumentationsfotos vermitteln einen Eindruck von sieben Ausstellungsprojekten – von Stuttgart 1929 bis Peking 1958. Der virtuelle Rundgang erlaubt außerdem einen Blick in den künstlerischen Nachlass, den Heartfield als testamentarische Schenkung der Akademie der Künste vermachte. Zwischen 2017 und 2019 wurden seine sämtlichen Werke digitalisiert; der Online-Katalog mit rund 6200 Objekten bietet nun einen umfassenden (und unentgeltlichen) Einblick in die Werkstatt des Künstlers. Mit einer Suchfunktion kann dabei gezielt nach Objekten und Werkgruppen gesucht werden. Übrigens sind Website und Online-Katalog übersichtlich und doch mit einem modernen Design aufgebaut. Neben dem bildkünstlerischen Werk gehört aber auch die schriftliche Hinterlassenschaft zum John-Heartfield-Archiv in der Akademie der Künste.
Zur Ausstellung, die 2021/22 in das Museum de Fundatie in Zwolle (NL) und an die Royal Academy in London reisen soll, ist außerdem ein umfangreicher Katalog erschienen (Hirmer Verlag, 312 Seiten, 39,90 €). Neben Betrachtungen über die Arbeitsweise, das Montageprinzip oder den Herstellungsprozess stellen die meisten Essays Heartfields Arbeiten auch in einen aktuellen Kontext. Dabei gehen die Autoren verschiedenen Fragen nach: Hat sich Heartfields Kunst der politischen Fotomontage überlebt? Oder sind andere visuelle Ausdrucksformen entstanden, die sein Prinzip der (De-)Konstruktion von Bildern künstlerisch weiterentwickeln? Ist der Dialog über Fakten nicht vielfach dem Dialog über Meinungen gewichen? In einzelnen Beiträgen wird auch ausführlich auf Heartfields internationales Bezugsfeld und die produktive Zusammenarbeit mit anderen Künstlern bei Bühnenausstattungen, Buchgestaltungen oder Trickfilmen eingegangen. Der reich illustrierte Begleitkatalog liefert neben der (hoffentlich bald zugänglichen) Ausstellung und der virtuellen Museumstour viele neue Funde und Erkenntnisse zu Heartfields künstlerischer Strahlkraft, die bis ins 21. Jahrhundert reicht.