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Titel820

Bemerkungen

Klagelied Nr. 21

Ach, wie war es ehedem

doch in Krisenzeiten schön.

 

Putin war der Bösewicht,

immer nur darauf erpicht,

dass der Westen Schaden nimmt.

Hauptsache, die Lunte glimmt.

 

Frech hat er und ungeniert

kürzlich unsre Krim kassiert,

die, das ist doch allen klar,

stets ein Teil des Westens war.

 

Hoffentlich stellt sich bald raus,

wo das Virus ist zu Haus,

das uns plagt tagaus, tagein.

Wirklich kann’s nur Moskau sein.

C. T.

 

 

 

Déjà-vu

Sie halte es nicht mehr aus, rief mein Weib und begann, kalte Kartoffeln zu schneiden, sie müsse mal raus. Das verstehe ich, antwortete ich sanft, aber die Kanzlerin habe gesagt ...

 

Wann habe mich jemals interessiert, was unsere Nachbarin sagt, womit mein Weib die Mieterin meinte vom Kupfergraben 6, was bei uns um die Ecke liegt. Mitunter begegneten wir uns im Wahllokal, sonst nur im Fernsehen.

 

Wir müssen raus, forderte mein Weib apodiktisch.

 

Gut, wir fuhren bis zur Ausgangssperre gelegentlich an Wochenenden ins Grüne, auch wenn’s grau war, oder an die Ostsee, quartierten uns irgendwo ein oder speisten in einem Restaurant. Das wurde in den letzten Jahren immer schwieriger – die meisten Gaststätten jenseits der größeren Städte stellten nach und nach den Betrieb ein. Erst gingen die guten Köche, dann blieben die Gäste aus. Schließlich kapitulierten die Betreiber. Aber einige Gaumentempel, die sich diesen Namen über Jahre hart erarbeitet hatten, überdauerten in der sich ausbreitenden kulinarischen Steppe. Sie wurden zu auch von uns gern angesteuerten Adressen.

 

Jetzt aber blieben auch sie aus den bekannten Gründen geschlossen, und bis zur See drang man nicht durch: Die Polizei sortierte bereits auf der Autobahn alle Fahrzeuge aus, die nicht in Mecklenburg-Vorpommern zugelassen worden waren.

 

Lass uns nach Osten fahren, sagte mein Weib doppeldeutig. In Deutschland sei seit jeher der Drang gen Osten statthaft, noch nie habe sich ein Dorfpolizist in den Weg gestellt, wenn die Räder gen Osten rollten. Lass uns an die Oder reisen und nach den Adonisröschen schauen, die müssten jetzt blühen.

 

Und wo wollen wir einkehren, warf ich ein. Alles ist dicht.

 

Sind wir zu DDR-Zeiten nicht auch unterwegs gewesen und nicht verhungert, obgleich wir kaum Restaurants fanden, in denen wir platziert wurden, weil es nämlich selten welche gab? Wir haben damals unseren Picknickkorb gefüllt und sind ins Blaue gestartet. Warum nicht heute wieder?

 

So fuhren wir denn an die Oder. Wir stellten unsere Stühlchen an den Ufersaum und hörten die Stille, die nur gelegentlich vom Flügelschlag der Schwäne oder dem Quaken der Frösche in den Nebengewässern gestört wurde. Oder wenn der Wind sanft durch das trockene Rohr strich, dass es raschelte, und eine fette Hummel vorbeibrummte. Hin und wieder flogen Feldlerchen über unseren Häuptern und sangen, was ihre Kehlen hergaben. Über allem spannte sich tiefblauer Himmel, gänzlich frei von Kondensstreifen, und die Sonne stand hoch. Auf dem gegenüberliegenden Ufer, auf dessen Deich weißrote Grenzpfosten sich reckten, radelten polnische Radfahrer rasch, während wir entschleunigten. Ruhig strömte die Oder dahin und übertrug sich auf unseren Pulsschlag.

 

Nach einer Weile holte mein Weib die Schüssel mit Kartoffelsalat und Buletten hervor, anschließend tranken wir Kaffee aus der Thermoskanne ... Es war alles wie früher. Nein, nicht ganz, damals hatte ich nicht den Spiegel dabei. Doch als ich die 130 Seiten durchgeblättert hatte, dachte ich, auch darauf hätte ich verzichten und die 5,30 € besser anlegen können. Gefehlt hätte mir nichts.

 

Dann machten wir uns auf zu den Hängen bei Lebus, um die Adonisröschen zu besichtigten wie in jedem April. Sie blühten heuer besonders üppig, wie mir schien, größer die Blüten als sonst und dichter der gelbe Teppich. Und zwischendrin, auf Decken, Campingstühlen und Holzbänken die Luftschnapper aus MOL und FF, auch einzelne Berliner waren darunter. Sie saßen plaudernd bei Nudel- und Kartoffelsalat, bei Kaffee und Kuchen wie einst in DDR-Tagen, als es kaum Ausfluglokale und Cafés hier draußen gab.

 

Wir hatten es also noch nicht verlernt.                            

 

Frank Schumann

 

 

Spanien geht in die Verlängerung

In Spanien tobt derzeit ein heftiger Streit über die mangelnde Vorbereitung des Landes auf die Corona-Krise. Gleichwohl zeigt sich die Regierung optimistisch, dass sie bald die Pandemie in den Griff bekomme. Die neuen Daten geben der Regierung recht, sagte Ministerpräsident Pedro Sánchez am 9. April vor den Abgeordneten im Parlament in Madrid: »Wir haben den Höhepunkt der Infektion erreicht und überwunden. Wir stehen kurz vor dem Beginn des Abstiegs.« Nach der Debatte sollte das Parlament über eine Verlängerung des Notstands abstimmen.

 

Die rechte Opposition – Partido Popular (PP), VOX und Ciudadanos – warf dem Ministerpräsidenten vor, zu spät auf die Warnungen der Weltgesundheitsorganisation reagiert zu haben. Für den 9. April wurden die registrierten Zahlen der mit dem Coronavirus Infizierten mit 152.446, die der Todesopfer mit 15.238 Personen angegeben.

 

In der Parlamentsdebatte kam erneut auch der Internationale Frauentag, der 8. März, zur Sprache. Allein in Madrid waren es 120.000 Teilnehmerinnen, die an dem Tag auf den Straßen der Stadt für ihre Rechte demonstrierten. Drei Tage später mussten drei Ministerinnen und die Ehefrau des Ministerpräsidenten bekanntgeben, dass sie sich mit dem Coronavirus angesteckt hatten, allerdings kann aufgrund der Inkubationszeit der 8. März nur schwerlich damit in Verbindung gebracht werden.

 

In der Parlamentsdebatte warfen Pablo Casado (PP) und Santiago Abascal (VOX) Sánchez vor, bei der Zahl der Todesopfer zu lügen. Der Vorsitzende der VOX-Partei Abascal: »Wir wissen nicht, ob es 14.000 oder 40.000 Verstorbene sind.« Casado wie Abascal lehnen es ab, sich nach dem Ende der Covid-19-Krise an dem Pedro-Sánchez-Pakt, der die spanische Wirtschaft wieder in Schwung bringen soll, zu beteiligen.

 

Der Sprecher der Esquerra Republicana de Catalunya (ERC), Gabriel Rufián, forderte für Spanien einen großen Sozialplan als Alternative zu den Erklärungen der Regierung.

 

An der Parlamentssitzung nahmen von 350 Abgeordneten nur 43 Abgeordnete vor Ort teil. In der digitalen Abstimmung votierten 270 Abgeordnete von Partido Socialista Obrero Español (PSOE), Partido Popular und Ciudadanos für die Verlängerung der Ausgangsbeschränkungen bis zum 26. April. VOX und Candidatura d´Unitat Popular (CUP) stimmten mit Nein (54 Stimmen), 25 Abgeordnete von JxCat und ERC enthielten sich.                 

 

Karl-H. Walloch

 

 

 

Pandemische Elegien

Nach B. Brecht

 

DER MEINUNGSWECHSEL

Ich sitze auf dem Balkon.

Die Regierung wechselt die Meinung.

Ich bin nicht ihrer gestrigen Meinung;

Ich bin nicht ihrer heutigen Meinung.

Warum sehe ich die Nachrichten

Mit Schafsgeduld?

 

 

RADELN. GESPRÄCHE

Es ist Abend. Vorbei gleiten

Zwei Radler. Nebeneinander radelnd

Sprechen sie. Sprechend

Radeln sie nebeneinander.

Die Polizei darf erst strafen

Beim dritten Radler.

 

 

DIE LÖSUNG

Im befreundeten Ungarland

Macht er Nägel mit Köpfen:

Der Reichsverweser Viktor Orban.

Wäre es nicht großartig

Schlüge ein Bernd Höcke

In unpassende Köpfe Nägel?

 

 

BEIM LESEN DES BRECHT

Selbst die Pest

Dauerte nicht ewig.

Einmal trockneten sie aus

Die Schwarzen Beulen.

Und niemand kannte dies:

Herdenimmunität.

 

 

VOR VIER MONATEN

Da war eine Zeit,

Da war alles hier anders.

Die Metzgerfrau weiß es.

Der Postbote hatte kaum zu tun.

Und was war mit Klopapier?

 

 

WELTWEITE WIRRNIS

Das chinesische Virus

Heißt es im fernen Amerika.

Die Deutschen streiten:

Sächlich oder männlich?

In Frankfurt sind es Wiener,

In Wien Frankfurter.

Und der uramerikanische Burger

Ist Petersburger.

 

 

DIE STRASSEN DES KOMMENDEN SOMMERS

Über die Bahnen der Autos

Donnern sie endlich wieder:

Die NATO-Armeen aus

Allerlei Staaten.

Was sie im März abbrechen mussten:

Den Drang nach Osten

 

Matthias Biskupek

 

 

 

Gedenken per Internet

Vor 75 Jahren wurden die letzten Konzentrationslager befreit, heute verhindert Covid-19 ein öffentliches Gedenken.

 

Im Januar wurde mit einer Gedenkfeier im Bundestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 gedacht. Es gab aber nicht nur Auschwitz; im April und Mai 1945 wurden weitere Konzentrationslager befreit: Buchenwald und Mittelbau-Dora am 10. April, Bergen-Belsen am 15. April, Sachsenhausen am 22. April, Flossenbürg am 23. April, Dachau am 29. April, Ravensbrück am 30. April, Hamburg-Neuengamme am 3. Mai und Mauthausen am 7. Mai 1945.

 

In den Konzentrationslagern wurden Millionen Menschen ermordet. Die öffentlichen Erinnerungen an den 75. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager sollen dazu beitragen, dass das Geschehene nicht verblasst. Nun wurden alle öffentlichen Veranstaltungen wegen Covid-19 abgesagt. Wohl werden Kränze niedergelegt, das Gedenken aber findet im Internet statt.

 

khw

 

 

 

Ohne Worte

Die Anwendung der deutschen Sprache war schon immer Gegenstand intensiver Auseinandersetzung. Vom Altmeister Goethe bis hin zum einstigen Literaturpapst und Preisverweigerer Marcel Reich-Ranicki haben sich viele Zeitgenossen dazu geäußert. Auch innerhalb der Familie bekam man als Kind oft mit auf den Weg gegeben, dass man auf seine Sprache achten, manche Begriffe aus vielerlei Gründen auch meiden soll. So haben manche Ausdrücke, die noch vor einem halben Jahrhundert als »nicht druckreif« galten oder nur mit Anfangsbuchstaben und drei Punkten angedeutet wurden, längst Eingang in den Sprachgebrauch, aber auch in den unserer Medienlandschaft gefunden. Die einen finden das abstoßend, andere sind der Auffassung, dies stelle eine Art Befreiung von Tabus dar. Darüber kann man vortrefflich streiten. Nicht streiten möchte ich allerdings über Begriffe, die in einer Zeit geprägt wurden, die sich als das dunkelste Kapitel des 20. Jahrhunderts in der deutschen Geschichte erwiesen hat. Wie selbstverständlich wird das Wort »nationalsozialistisch« oder abgekürzt NS noch heute immer wieder verwendet, wenn es um die Befassung mit Themen der Jahre 1933–1945 geht, selbst von Historikern. Umso mehr möchte ich in Erinnerung zu rufen, dass der Begriff von den Nazis selbst geprägt wurde und gewissermaßen deren eigene Schöpfung ist. Er diente der Verklärung der tatsächlichen Ziele nazistischen Ungeistes und sollte den Eindruck erwecken, als habe das Verhalten der Akteure des Nazistaates etwas mit Sozialismus zu tun. So verwundert es nicht, dass er auch in dem Namen ihrer Partei NSDAP enthalten ist. Im Vorfeld der im vergangenen Herbst in Thüringen durchgeführten Landtagswahl äußerte sich auch eine frühere Bundestagsabgeordnete, die dem Kreis der Bürgerrechtler zugerechnet wird, und sprach sich für eine Zusammenarbeit zwischen der CDU und der AfD aus. Allerdings warnte sie vor Höcke. Ein Leitartikel der stellvertretenden Chefredakteurin der Thüringischen Landeszeitung vom 16. Oktober 2019 trug als Unterüberschrift: »Sie lehnt nationale Sozialisten ab.« Eine solche Formulierung ist geeignet, bei dem einen oder anderen Leser den Eindruck zu erwecken, die AfD habe auch etwas mit Sozialismus zu tun. Hieran wird deutlich, wie notwendig es ist, sich von der Verwendung des irreführenden Begriffes zu verabschieden, egal ob es um alte oder neue Nazis geht. Diese Art Wortschöpfung trägt auch dazu bei, die Theorie von den »beiden deutschen Diktaturen« zu nähren. Faschismus sollte als das bezeichnet werden, was er ist. Bei Höcke hat das auch das Verwaltungsgericht Meiningen mit seiner Entscheidung vom 26. September 2019 (Az.: 2 E 1194/19 Me) so gesehen.

 

Als ich unlängst in einem Jugendstrafverfahren als Verteidiger auftrat, gab der ebenfalls im Gerichtssaal anwesende Vertreter des Jugendamtes an, er habe mit dem Angeklagten nicht im Vorfeld sprechen können, da dieser kurzfristig in eine andere Justizvollzugsanstalt »überstellt« worden sei. Auch dieser Begriff ist aus meiner Sicht negativ belegt. Wie zahlreichen zeitgenössischen Dokumenten zu entnehmen ist, wurden Menschen in Konzentrationslager wie  Majdanek, Sobibor, Treblinka oder Auschwitz  »überstellt«.                                 

 

Ralph Dobrawa

 

 

 

Bunte Wege

Zum Plateau auf den Seelower Höhen gelangt man über verschiedene Stufen und Schrägen. Unzählige Male war ich dort oben und schaute wie der Soldat aus Bronze ins Oderbruch. Die Denkmalanlage hatten im Herbst vor 75 Jahren Lew Kerbel und Wladimir Zigal geschaffen, die beiden zeichneten auch verantwortlich für die zeitgleich im Berliner Tiergarten errichtete. Und immer lenkte ich, wenn die Höhe erklommen, sofort meine Schritte nach links zum Gräberfeld. Man hätte auch geradeaus gehen und weitere Stufen nehmen können, doch stets versperrte eine schmiedeeiserne Kette den Aufstieg, und ein daran befestigtes Schild warnte:  »Kein Durchgang. Betreten auf eigene Gefahr!« Daran hielt ich mich, wie alle anderen es auch taten – bis mir aufging: Die Risikowarnung bedeutet ja nicht, dass man überhaupt nicht diesen Weg nehmen dürfe.

 

Also stieg ich mutig über die Kette und die bemoosten Stufen hinauf. Und nach der letzten Stufe lagen Pflastersteine in Reihe. Schwarz, rot, gold und grau ... Wer hatte diese Fahne ausgebreitet?

 

Nun wusste ich, dass die DDR zum 50. Jahrestag der Gründung der UdSSR im Jahre 1972 die Gedenkstätte neu gestaltet und mit einem Museum ergänzt hatte, das dem Kommandostand von Marschall Shukow nachempfunden war, von dem aus er den Sturm auf die Seelower Höhen kommandiert hatte. Aber gab es diesen Weg damals schon? Ich konnte mich nicht entsinnen. Also recherchierte ich im Netz.

 

Und tatsächlich: Der Nebenweg war erst Jahre später vom Seelower Kreisbaubetrieb angelegt worden. Mit den gleichen Platten, die er bereits am Fuße des Denkmals verlegt hatte. Aber um deutlich zu machen, dass dieser Pfad nicht Teil der (später denkmalgeschützten) Anlage war, wurden die dort eingesetzten Platten farblich abgesetzt. Der Baubetrieb besorgte sich vom VEB Kali-Chemie Farbenfabrik Nerchau im Bezirk Leipzig einige Fässer, um die Farben dem Beton für die Platten unterzumischen. Nun ist nicht überliefert, ob es an Farbpigmenten mangelte oder an der Fantasie der Kreisbaubetriebler. Jedenfalls nahmen sie nur Gelb, Rot und Schwarz mit nach Seelow. Zunächst hieß es, sie sollten beim Verlegen flexibel sein, wie es in den siebziger Jahren modern war, also kreuz und quer, auf keinen Fall Bahnen. Das könnte als Fahne wahrgenommen werden, und eine Flagge tritt man nicht mit Füßen. »Wir haben damals die Betonplatten so verlegt, wie wir es für gut befunden haben. Da hat uns niemand groß reingeredet«, sagte Hubert Nowak 2017 der Lokalpresse. In den Siebzigern leitete er den Kreisbaubetrieb.

 

Nun waren Farbe und Beton wohl nicht der beste, beides verwitterte, und als nach fast einem halben Jahrhundert die Restaurierung der gesamten Gedenkstätte beschlossen wurde – natürlich den grauen Nebenweg eingeschlossen –, da erinnerte sich niemand mehr, wie der mal ausgesehen hatte. Aber die Bauarbeiter entdeckten, als sie die alten Platten entfernten, an deren Unterseite die ursprünglichen Farben. Und da sie von der Denkmalpflege die Auflage bekommen hatten, den ursprünglichen Zustand herzustellen, verlegten sie neue Steine in eben jenen drei Farben. Allerdings in Bahnen, weil sie die Historie und die Freiheit in der Diktatur beim Verlegen von Steinen nicht kannten. Nur die vierte Bahn ließen sie grau. Die deutsche Fahne ist schließlich eine Trikolore und nicht vierfarbig.

 

Die Maßnahme verursachte Tränen: beim brandenburgischen Landeskonservator Tränen der Entrüstung, beim bundesweiten Publikum Tränen der Heiterkeit. Der Konflikt zog nämlich durch die Presse, denn einerseits hatten sich die Bauarbeiter an die Vorgabe gehalten – andererseits hatte der Landeskonservator damit gemeint, dass der Fußweg wieder so grau werden sollte, wie er bei Beginn der Restaurierung war. So missverständlich kann Denkmalpflege mitunter sein, wenn unklar ist, was ursprünglich meint. Es gab eine große Runde mit allen Beteiligten beim Landrat, und virtuell saßen auch drei Spender mit am Tisch, die zusammen 45.000 Euro für den Weg auf den Weg gebracht hatten.

 

Das war im Frühjahr 2017. Seither hat man nichts wieder darüber gelesen oder gehört.

 

Ich stieg also unlängst am Ende des Wegs über die zweite Absperrung und wusste nun um deren eigentliche Bedeutung: Die beiden Ketten lösten das Problem, das augenscheinlich nicht gelöst worden war.

 

Beim nächsten Besuch werde ich wieder nach links abbiegen und diesen Weg meiden. Er existiert ja praktisch nicht.

 

Frank Schumann

 

 

Räterepublik Ungarn

Die Geschichte Ungarns zwischen dem Ende des Ersten und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs wird meist mit der repressiven Diktatur des Reichverwesers Miklós Horthy sowie seiner Kumpanei mit den faschistischen Regimes Hitlers und Mussolinis in Verbindung gebracht. Tatsächlich gab es in der unmittelbaren Nachkriegszeit aber auch eine kurze – heute meist verdrängte – Zeitspanne, in der die proletarische Revolution auf Ungarn übergegriffen hatte. Die ungarische Räterepublik existierte allerdings nur vom 21. März bis zum 1. August 1919. Die jetzige ungarische Rechtsregierung bezieht ihre Legitimation unter anderem aus dem »schrecklichen roten Terror« des Jahres 1919. Rechtsradikale betrachten die kurzlebige Räteherrschaft bis heute als Ergebnis einer »jüdisch-bolschewistischen Verschwörung«.

 

Es ist verdienstvoll, dass der in Wien ansässige Promedia Verlag kürzlich einen Sammelband zu dem meist verzerrt dargestellten Zeitraum der Geschichte Ungarns veröffentlicht hat. Wie Christian Koller und Matthias Marschik als Herausgeber des Bandes schon im Vorwort schreiben, kann die Räteherrschaft nur vor dem Hintergrund der Nachkriegskrise betrachtet werden. Der Zusammenbruch des Habsburgerreiches hatte – ähnlich wie im russischen Zarenreich – eine Reihe sich ausschließender Nationalismen hervorgebracht. Die sich neu konstituierenden Staaten gerieten einander um ihren Anteil an der Konkursmasse der zusammengebrochenen Monarchie in die Haare. Ungarn musste gravierende Gebietsverluste hinnehmen, und die bürgerliche Regierung erwies sich als unfähig, den Vormarsch feindlicher Truppen zu stoppen. Die ungarischen Kommunisten und Sozialdemokraten erhofften sich militärische Rückendeckung von Sowjetrussland, welches zu dem Zeitpunkt aber selbst ums Überleben kämpfte und dazu gar nicht in der Lage war.

 

Die 16 Beiträge des Bandes beleuchten bisher wenig aufgearbeitete und bekannte Aspekte der ungarischen Räteherrschaft. Karl-Heinz Gräfe beschreibt unter anderem die Besetzung von Betrieben und die Aufteilung von Ländereien durch unzufriedene Arbeiter und von der Front zurückströmende Soldaten. Die von der Räteregierung aufgegriffenen Forderungen nach Verstaatlichung der Schlüsselindustrie und Beseitigung feudaler Relikte entsprach damals durchaus dem Wunsch breiter Bevölkerungskreise. Die Niederschlagung der Räterepublik erfolgte dann durch gemeinsam operierende rumänische, französische und serbische Truppen – erst nach deren Abzug konnte die ungarische Rechte unter Horthy die Regierungsgewalt an sich reißen.

 

Edward Saunders beleuchtet in seinem Beitrag die Biographie von Béla Kun, der bis heute als führender Kopf der ungarischen Räteregierung gilt, obwohl er zu keinem Zeitpunkt deren Regierungschef war. Kun ist bis heute eine der umstrittensten Figuren der ungarischen Geschichte. Einerseits gilt er als »roter Diktator« und verantwortlich für die angebliche Schreckensherrschaft des Jahres 1919. In den 1930er Jahren wurde Kun im sowjetischen Exil aber Opfer der stalinschen Säuberungen. Wenig bekannt ist, dass er im März 1919 aus politischen Gründen inhaftiert war und die Sozialdemokraten ihn aus dem Gefängnis holen mussten, damit er als »Kommissar für Äußeres« in die Räteregierung aufgenommen werden konnte.

 

Der renommierte Historiker Béla Bodó widmet sich in seinem Beitrag dem Ungleichgewicht in der Bewertung von »rotem« und »weißem« Terror. Er weist detailliert nach, dass es zwar unzweifelhaft auch Plünderungen und Erschießungen durch die auf Seiten der Räteregierung kämpfenden Arbeitermilizen gab, die Morde und Gewalttaten, welche auf das Konto der Konterrevolution gingen, jedoch eindeutig überwogen. Es waren in der Hauptsache antisemitisch gesonnene paramilitärische weiße Einheiten, die damals massenhaft Unbeteiligte umbrachten oder zu Tode folterten. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch der Beitrag von Julia Richers und Regina Fritz: Dem weißen Terror fielen nicht nur Anhänger der Räteregierung zum Opfer, sondern auch rechte Sozialdemokraten und bürgerliche Liberale. Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung waren im Rücken der konterrevolutionären Truppen an der Tagesordnung. Die Machtergreifung Horthys war dann Auftakt für die judenfeindliche Gesetzgebung der 1930er und 1940er Jahre.                         

 

Gerd Bedszent

 

Christian Koller/Matthias Marschik (Hg.): »Die Ungarische Räterepublik 1919. Innenansichten – Außenperspektiven – Folgewirkungen«, Promedia Verlag, 277 Seiten, 21,90 €

 

 

 

Witwen

Auf dem Friedhof, über den in kurzen Abständen in der Nähe landende Flugzeuge dröhnen, treffen sich regelmäßig drei recht unterschiedliche Frauen, durch Witwenschaft, Grabpflege und ein besonderes Verhältnis zur Bildenden Kunst freundschaftlich verbunden. Die eine ist Malerin, die andere Kunstwissenschaftlerin, und die dritte kann es sich leisten, Bilder zu kaufen. Als ein Galerist hinzukommt, wird es spannend. Die Damen kämpfen, jede auf ihre Art, um Gunst und Ansehen beim Vertreter des anderen Geschlechts, was zu Komplikationen führt.

 

Eine Novelle nannte Kerstin Hensel ihr neuestes Prosastück, und wie immer bei ihr spart sie nicht mit komischen, ja skurrilen Zutaten. Allein die Beschreibungen der Kleidung der Protagonistinnen! Auch mit Friedhofsgewächsen kennt sie sich aus. Es werden aber auch historische Hintergründe und heutige Momente beschrieben, und dies alles in einer Sprache, die laut vorgelesen ihre Reize am besten offenbart.                 

 

Christel Berger

 

Kerstin Hensel: »Regenbeins Farben«, Novelle, Luchterhand, 253 Seiten, 18 €

 

 

 

Absatzprobleme

Der Beitrag »Fuchs, Wolf, Bär, Löwe, Floh« von Georg Fülberth in Ossietzky- 7/2020 muss korrekt mit dem Satz enden: »Falls es sich durchsetzen sollte, wäre der Floh, ökonomisch gesehen, sogar eher nützlich als schädlich gewesen.« Die zwei in der Printausgabe folgenden Absätze gehören nicht zu dem Artikel.                     

kk

 

 

Zuschriften an die Lokalpresse

Keine Illusionen, Leute, das Coronavirus hält uns weiter im Griff. Die Zahl der Infizierten wächst weiter, und Entschleunigung ist vor der Himmelfahrt kaum in Sicht. Der systemrelevante Abstrafungskatalog ist in Kraft getreten, und wer sich etwa versehentlich länger auf eine ungesperrte Parkbank setzt, unterstützt die fortschreitende Durchseuchung und muss im Falle von Zahlungsunfähigkeit mit Ersatzknast rechnen. Die Behörden richten sich auf handgreifliche Debatten in den Mietdomizilen ein und vermitteln für gewaltbedrohte Frauen Schutzplätze. Ich begrüße die in den Medien unterbreiteten Vorschläge, die auferlegten Beschränkungen als Chance für die Selbstsuche und Ich-Findung zu nutzen. Auch Brettspiele wie das beliebte »Mensch, ärgere dich nicht!«, die zermürbende Arbeit an der digitalen Steuererklärung, das kreative Schneidern lustiger Volksmasken oder intime Partnerübungen sind nach meiner Vorstellung geeignete Varianten, um über die Frustzeit hinwegzukommen. Dass die persönlichen Abstände von mindestens eineinhalb Metern dabei eingehalten werden müssen, dürfte kein Problem sein. Und unsere Handys können wir statt in der U-Bahn auch für die Kommunikation zwischen der Küche und der Toilette verwenden! – Bernie-Maik Vorschläger (38), Familientherapeut, 38889 Heimburg

 

*

 

Ich finde es richtig, dass Bürgern, die mit dem Coronavirus in Verbindung gekommen sein könnten, sicherheitshalber eine häusliche Quarantäne auferlegt wird. Das widerfuhr beispielsweise meiner Cousine, nachdem sie von einem Besuch in Italien zurückgekommen war. Glücklicherweise kann sie ihren Beruf teilweise auch vom häuslichen Küchentisch aus, also Homeoffice, ausüben, sie ist Anwältin. Das geht natürlich nicht immer, denn nicht jede oder jeder ist Bundeskanzlerin oder Juristin. Deshalb frage ich mich und die Behörden, wie beispielsweise ein Obdachloser eine solche Anordnung erfüllen soll. Ist die zeitweilige Bereitstellung von Massenquartieren eine Lösung? Darf der Unbehauste für die Quarantänezeit ein kurzfristiges Untermieter-Verhältnis eingehen? Wer vermittelt und wer bestätigt solche Regelungen? Der Vermieter? Das Ordnungsamt? Der Hausarzt? Das Sozialamt? Interessant sind übrigens auch die Nebenwirkungen der Krise: Haben Sie beispielsweise schon gehört, dass das Angebot von Hamstern in Tierhandlungen zurzeit gegen Null tendiert? Dass dagegen die Rate handgreiflicher Auseinandersetzungen in den Familien deutlich angewachsen ist? Offensichtlich fehlt da das Abreagieren im Schulalltag! – Paula Mandolina Paulsen (57), auszubildende Quereinsteigerin, 04889 Kurzwalde

 

Wolfgang Helfritsch