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Titel0909

Wie erklärt man Kusche?  (Matthias Oehme)

»Der Berliner zweifelt immer« hat Lothar Kusches Freund und Kollege Heinz Knobloch einmal eine Anthologie überschrieben. Dieser Titel könnte ebensogut über einer Sammlung von Kusche-Texten stehen. Denn nichts anderes tut unser Mann. Gelassene Skepsis, das ist so eine Art literarisches Prinzip, fruchtbar, witzig, imprägnierend gegen Schauer von Unvernunft. Als informierter Feuilletonist und heller Berliner zieht er zunächst ein ungläubiges Gesicht, dann grinst er wissend. »Wer’s glaubt!«, heißt das, und: »Aber nicht mit mir, Freunde!«

Über Kusche ist schon viel geschrieben worden, auch viel Unsinn. Er bleibt natürlich in der Vorhand: Er ist Büchermillionär und hat allemal mehr geschrieben als die anderen. Und wenn es bei ihm unsinnig hergeht, liegt das an der Welt, von der er schreibt, und der Stadt, in der er lebt. Als sein Verleger habe ich trotzdem ein schlechtes Gewissen. Die Verlagswerbung setzt Sprüche in Umlauf, die sich dann nie wieder einfangen und in das Hirn zurückstopfen lassen, dem sie entsprungen sind. Kusche – der »Kishon vom Alexanderplatz«, das ist so ein Spruch, und er verunziert manchen Klappentext seiner ansonsten so ulkigen Bücher. Ich will hier nichts zu Kishon sagen, aber es spricht doch sehr für Kusches Noblesse, daß er sich über das blöde Etikett nie beschwert hat.

Natürlich, es gibt unerlöste Landstriche unseres lieben Vaterlands, in denen man Kusche vielleicht wirklich nicht kennt. Den Leuten da könnte man ihn besser erklären mit dem Verweis auf Tucholsky. (Allerdings, wie erklärt man denen Tucholsky?) Die Themen, die sich dem satirischen Kommentator des Zeitgeists und -ungeists stellen, sind: Die Unverfrorenheit der öffentlichen Lüge. Die Wirrnis der politischen Mandatsträger und staatlichen Institutionen. Die Anmaßungen, Ungeschicklichkeiten, Euphemismen, Betrügereien der zahlreichen Verkäufer von Meinungen und Waren, der Marktschreier in Parlamenten und Lobbys, der Werbefuzzis, Marketingstrategen und Lackaffen des Medienbetriebs. Ein Thema, das ihm nie ausgehen wird, sind die Leute, die nicht schreiben können (Journalisten!).

Kusche ist sicher ein Linker! Das ist nicht einfach einer, der in Weltbühne und Ossietzky schreibt. Das ist einer, der sich heute noch und immer wieder über eine Partei aufregen kann, die leider kaum noch jemanden aufregt: Die LINKE.

Inzwischen ist Kusche das, was man anderswo ein Urgestein nennt – ein Wort, das sich verbietet, wenn man all die quicklebendigen kleinen Kusches, als Strichmännchen gezeichnet von Elisabeth Shaw, gelenkig auf dem Umschlag seines jüngsten Buches posieren sieht. Ich kenne keinen, der ihn je beim Kopfstand erwischt hätte, aber es ist ja mit der Gymnastik nichts anderes gemeint als die Beweglichkeit des Geistes. Und die erlaubt ihm durchaus noch mancherlei Kopfstände.

Die DDR ist tot. Was bleibt, sind Nachschlagewerke. Die lesen sich freilich alle wie von der Konrad-Adenauer-Stiftung veranlaßt. Das solcherart zum Versinken Gebrachte interessiert uns natürlich besonders. Wenn man schnell was rauskriegen will – etwas über Schriftsteller, Künstler, Schauspieler, Redakteure, Zeitungen und Verlage aus der kleinen, tapferen Republik –, einer kann immer helfen: Kusche. Was er nicht kann: schnell helfen. An all und jedem hängen Geschichten, und von denen besonders die unglaublichen. Die wollen dann erzählt werden, und sie erfordern eine gewisse epische Breite. Nicht die des Romans. Eben die Breite von dreißig oder vierzig Zeilen, damit kommt ein guter Erzähler schon hin. Und das war Kusche von Anfang an. Zwischen dem ersten und dem letzten Text im neuen Buch liegen 60 Jahre, aber beide kommen deutlich aus der gleichen sicheren Hand und dem gleichen ausgeschlafenen Kopf. Man kann das mit viel Freude wiederlesen. Denn es trifft zu, was Matthias Biskupek so naseweis wie liebevoll herausklamüsert hat: Kusche ist einer, »dem man gerade dann gern zuhört, wenn man seine Geschichten schon lange kennt«. Gemeint ist das, wie viele dieser neidisch-nöligen Beiläufigkeiten, mit denen Eulenspiegel-Kollegen einander preisen und foppen, gemeint ist das natürlich als fettes Lob. Das wollen die heutigen Gratulanten für sicher halten!

Lothar Kusche wird am heutigen 2. Mai 80 Jahre alt. Sein Laudator Matthias Oehme leitet den Eulenspiegel Verlag, in dem seit 1969 fast alle Bücher von Lothar Kusche erschienen sind.