Das Verschwinden von Staatsoberhäuptern, hauptsächlich von mißliebigen, kann auf verschiedene Weise erfolgen: durch deren Ableben, durch Attentate, Naturkatastrophen oder im Wunschdenken kritischer Untertanen.
Gegen das vielfach angestrebte Auflösen von Diktatoren, regierenden Feldmarschällen in Luft bestehen natürlich Bedenken der Klimaschützer: wegen drohender Gefahr der Luftverschmutzung.
Das neue Programm des Berliner Kabaretts »Die Distel« beginnt damit, daß Frau Dr. Merkel plötzlich verschwunden ist. Sie hat nicht mal irgendeine Kleinigkeit für Souvenir-Sammler zurückgelassen, keinen der bekannten Knöpfe, die sie beim Regieren zu drücken oder zu drehen pflegte, keines ihrer klangvollen »Marciale«-Stiefelchen. Nur ein Zettel lag auf Herrn Pofallas Schreibtisch: »Bin dann mal weg!« War das vielleicht die Handschrift des pilgernden Witzbolds Kerkeling?
Wie dem auch sei: Regisseur Martin Maier-Bode läßt Ersatz für die vermißte Bundeskanzlerin unterm Motto »Jenseits von Angela« suchen. Je ein »christlicher« Koalitionär (Dorina Pascu) und ein »sozialistischer« (Timo Doleys) geben sich denkbare Mühe bei der für sie schwierigen und fürs Publikum sehr heiteren politisch-kritischen Schnitzeljagd. Die guten, teils brillanten Texte stammen von Silke Riemann, Sabine Wiegand, Christian Ehring, Michael Fowin, Stefan Keim, Jens Neutag und vom Regisseur Maier-Bode, dem ein flotter Ablauf der Pointen zu danken ist. Zu den Höhepunkten darf man Dorina Pascus Gospel-Song (Wiegand/Shaiman) zählen; »unter die Haut« ging auch Frau Pascus Interpretation des »Reha«-Songs (Wiegand/Winehouse). Glänzend schilderte Timo Doleys die nicht so glänzende »Stimmung in der SPD« (Maier-Bode). Fulminant musizierten und begleiteten Franz Josef Grümmer und Falk Breitkreuz, was Grümmer und Wefelmeyer komponiert hatten.
Drei Darsteller meisterten eine mehr als zweistündige Darbietung. Keinem von ihnen sah man die artistische Strapaze an, selbstverständlich auch nicht ihrem jugendlichen »Senior« Edgar Harter. Der großartige Harter in der großartigen Rolle eines gewissen Bürgers Diernowski, der, nichts Böses ahnend, nur mit seinen Einkaufstüten bewaffnet, heimwärts schlurft, als ihm die aufgeregten Kanzler-Macher über den Weg laufen. Er scheint ihr Mann zu sein. (»Einer, den keiner kennt.« – »Gut ... diese Beschreibung trifft auf die halbe Regierungsmannschaft zu.«) Diernowski aber hat sich nie etwas zu Schulden kommen lassen. Er ist ein unbescholtener Bürger! Kanzler werden? Nö! Als er sich’s dann doch überlegt hat, kommt Merkel zurück. Alles bleibt wie gehabt. Harter führt diesen Diernowski, einen wie Sie und hoffentlich auch ich, so sympathisch, augenzwinkernd, ironisch und zwischendurch auch anklägerisch (in der Entlarvung der wirklichen Zyniker unserer Gegenwart) vor, daß man ihm lange applaudiert. Ihm und dem ganzen Kabarett, das Späße macht und auch sehr bittere Wahrheiten ausspricht.
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Moderne Bücher oder Theaterstücke wollen mit ihren Titeln zumeist weder werben noch etwas über den Inhalt des Kunstwerks verraten. Sie heißen nicht »In seinem Garten liebt Don Perlimplin Belisa«, »Der Diener zweier Herren«, »Krach im Hinterhaus« oder »Senecas Tod«, sondern »Die Birne des Paris«, »Feuchtes Summen«, »Mozarts Reise nach Parchim«. Oder »Irgendwie. Irgendwo?«
Das Renaissance-Theater präsentiert in Berlin »eine Produktion des Theaters in der Josefstadt« zu Wien. Der Dramatiker, genauer gesagt: der Verfasser des Textes und der Bühnen-Anweisungen ist Neil Labute, geboren 1963 in Detroit/Michigan und, wie die Dramaturgin uns außerdem verrät, »in der Nähe von Spokane/Washington aufgewachsen«. Da weiß man gleich Bescheid. Sein Werk heißt: »Wie es so läuft« (This Is How It Goes). Schau an. Was soll man machen? Das ist nun mal so, wie es ist. Läßt sich nicht ändern. Kommt sowieso alles, wie der Dichter will, der »Film- und Theaterwissenschaft studiert« hat.
Man geht aber nicht deswegen ins Theater. Man geht hin, weil Dominique Horwitz in einer Hauptrolle auftritt. Und weil Allround-Regisseur Torsten Fischer die Darbietung arrangiert und Horwitz, aber auch Sandra Cervik und Nikolaus Okonkwo in den anderen Hauptrollen sehr gut beraten hat. Demzufolge läuft alles bestens so, »wie es so läuft«.
Bei Labute »kehrt ein Mann nach langer Zeit in die trügerische Beschaulichkeit einer Kleinstadt zurück. Früher hatte Belinda ihn kaum beachtet. Nun ist sie weiteren Treffen mit dem mittlerweile durchaus attraktiven Mann nicht abgeneigt, obgleich oder weil sie inzwischen verheiratet ist mit Cody, dem einzigen ›Schwarzen‹ weit und breit, aus dem ein erfolgreicher Geschäftsmann geworden ist. Abgesehen vom ›Makel seiner Hautfarbe‹, der ihn selbst mehr beschäftigt als sein Umfeld, hat er keine Probleme.
Der Mann zieht bei seinen Ex-Mitschülern ein, beobachtet deren Ehe und die Atmosphäre von latentem und eingebildetem Alltagsrassismus«. Und nach etwa 105 Minuten Spieldauer bleibt alles beim Alten.
Die Geschichte könnte ein bißchen langweilig werden. Aber Dominique Horwitz, Sandra Cervik und Nikolaus Okonkwo glückt es, ihren Rollen mit bewundernswerter Konzentration szenisches Leben einzuhauchen. So wird das Interesse des Publikums in Spannung gehalten. Kompliment, meine Dame, meine Herren, vor allem für das Auswendiglernen Ihrer Rollentexte und der diesen Texten quasi implantierten Extra-Monologe von teilweise 40 oder 50 Druckzeilen Länge. Daß man Ihnen die Mühe der zusätzlichen Schwerarbeit nicht anmerkt, ist besonders schön. Ihre meisten Zuschauer wissen hoffentlich, daß gepflegte Scharniere lautlos funktionieren. Ohne zu knacken.