Bad Bank
Die Bundesregierung wird nun wohl eine »bad bank« gründen. Gute Idee. Alle Banken können dann ihre schlechten Papiere weggeben: Einträge ohne einlösbaren Wert, aufgeblasene Bilanzen, faule Kredite, in den Sand gesetzte Investitionen – weg damit. Zum Abfall. Nach diesem Muster sollten wir dann gleich die ganze Republik sanieren: Weg mit allem, was schlecht, was schlimm, was einfach bad ist: Parteien, die das Gegenteil dessen tun, was sie in Wahlkämpfen versprochen haben, Sachverständigenräte, die unter dem Anspruch von Wissenschaftlichkeit immerzu verschärfte Ausbeutung propagieren (damit die Reichen noch reicher werden), Zeitungen, die uns regelmäßig belügen, V-Leute, Kriegswaffen, Hartz IV, der Kapitalismus, all das wäre zu entsorgen in einen Abfall-Staat, einen »bad state«, in dem sich Wolfgang Clement, Roland Berger, Klaus Zumwinkel, Angela Merkel und andere sicher sehr wohl fühlen werden. Und wir würden uns gern mit dem Übrigen begnügen.
Frank Schubert
Maschinelle Aktion
Eine Sorge geht um in Deutschland: die Befürchtung, drangsalierte, auf einen Arbeitsplatz und auskömmlichen Lohn angewiesene Menschen könnten sich von französischen Sitten inspirieren lassen und es mal mit der direkten Aktion versuchen, vielleicht gar mit dem Boss-napping. Aber da haben wir die Industriegewerkschaft Metall; die weiß, wie ein Kurswechsel in der Gesellschaftspolitik auf moderne Weise durchzusetzen ist, nämlich per Umfrage. »Deine Stimme für ein gutes Leben« ist der Titel eines Fragebogens, den die Gewerkschaft an ihre Mitglieder ausgegeben hat, damit sie zu 28 vorgegebenen Antworten anmerken, ob sie diese »sehr wichtig« bis »unwichtig« finden oder »voll und ganz« bis »gar nicht« teilen. Etwa: »Mir ist wichtig ..., daß ich mit meiner Rente im Alter gut auskomme« (oder eben: daß dies unwichtig sei); »Mir ist wichtig, daß es gerecht zwischen Arm und Reich zugeht« (oder: daß dies unwichtig sei). Den Fragebogen sollen die GewerkschafterInnen bearbeiten, indem sie »die Kästchen deutlich ankreuzen wie bei einem Lottoschein«; die Antworten werden dann »maschinell gelesen«, und mit dem statistisch geordneten Ergebnis wird, wie der stellvertretende IGMetall-Vorsitzende Detlef Wetzel erläuternd schreibt, »die Politik konfrontiert, um sie zu einem Handeln im Interesse der Menschen zu bewegen«.
Angenommen, die Mehrheit der Befragten kreuzt an, daß »Arbeitnehmer nicht die Leidtragenden der aktuellen Krise sein dürfen«, werden also Angela Merkel, Guido Westerwelle, Frank-Walter Steinmeier und Co., sobald ihnen dieses Umfrageergebnis mitgeteilt ist, tief beeindruckt ihre Konzepte überprüfen und nichts anderes mehr im Sinn haben als »ein gutes Leben für die ArbeitnehmerInnen«. Und in den Konzernzentralen wird angestrengtes Nachdenken einsetzen: Was mögen die Befragten meinen, die, der IGMetall-Vorgabe folgend, »Gerechtigkeit zwischen Arm und Reich« für »wichtig« halten? Der Fragebogen stellt die Naturnotwendigkeit von »Arm« hier und »Reich« dort nicht in Frage; die Herren der Wirtschaft können also aufatmen und sicher sein: Die IG Metall will soziale Unruhe nicht erregen.
Der IGMetaller, der die richtigen Kästchen angekreuzt hat, darf sich nun zurücklehnen – er hat »der Politik« zu erkennen gegeben, wo es lang gehen soll. Nur den Vergleich zum Lottoschein hätte die IGM-Verwaltung nicht auf den Fragebogen bringen sollen, der könnte zum Grübeln verleiten.
Marja Winken
Panikmache
Glaubt man den Zeitungen aus dem Hause Springer, dann hat die SPD mit ihrem Wahlprogramm (wieder mal) einen »Linksruck« vollzogen. Jetzt lebe diese Partei aufs Neue »den sozialistischen Traum aus«, heißt es in der
Welt am Sonntag, »Fleiß und Verantwortung« wolle sie »bestrafen«, und wenn die Sozialdemokraten bei der Wahl Erfolg hätten, sei der »Exodus von Leistungsträgern« zu erwarten. Stein des Anstoßes ist die wahlpropagandistische Forderung, den Spitzensteuersatz ein bißchen anzuheben, von 45 auf 47 Prozent. Unter der Kohl-Regierung lag er noch bei 53 Prozent, Schröder hatte ihn dann gesenkt. »Sozialismus«? Unter Steinmeier? Dem Regisseur der Agenda 2010? Mit Wahlkampfgetöse haben wir es zu tun, einem eher kleinlauten der SPD und einem lautstarken der konkurrierenden »Volkspartei«. Selbstverständlich wissen alle wahlkämpfenden Politiker und Journalisten, daß von der SPD keine Gefahr für den Reichtum in Deutschland ausgeht.
A. K.
Gratulanten
Dreißig Jahre alt ist sie jetzt,
die tageszeitung,
taz genannt, bei ihrer Gründung als »alternativ« bestaunt, gerühmt oder diffamiert. In ihrer Jubiläumsausgabe treten mit ganzseitigen Anzeigen einige Gratulanten auf:
Der Spiegel, die
Frankfurter Allgemeine und die Axel Springer AG, diese mit dem Text: »Ist es nicht schön, ein Alter erreicht zu haben, in dem man Coctails trinkt, anstatt sie zu werfen?« Damit den Leserinnen und Lesern ein solcher Zuspruch wohl bekommt, weist eine weitere Großannonce auf Bio-Weißweine hin, 41 Prozent Rabatt gibt’s da. »Viele unserer Leser leben längst in bürgerlichen Verhältnissen. Sie demonstrieren nicht mehr vor Atomkraftwerken. Sie wollen wissen, wie man verantwortungsvoll konsumiert«, erzählte anläßlich des Jubiläums der stellvertretende
taz-Chefredakteur der
Bild-Zeitung. Na dann – wir gratulieren nicht. Alternativ ist die
taz seit mindestens zehn Jahren nicht mehr, als sie mit Hetzartikeln über angebliche serbische Massaker den Angriffskrieg der NATO vorbereitete und rechtfertigte.
Red.
Kein Solidaritätsbasar mehr
Der Solidaritätsbasar der Berliner Journalisten auf dem Alexanderplatz war in der Hauptstadt der DDR alljährlich im Sommer ein großes Ereignis – ähnlich dem Gedenken für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg im Winter auf dem Friedrichsfelde. Beide Traditionen überdauerten die DDR. Jetzt kam die Nachricht: In diesem Jahr wird kein Solibasar mehr stattfinden. Schade. Er war – namentlich auch der
Ossietzky-Stand – ein Treffpunkt für Autoren und Leser. Und immer noch, wenn auch nachlassend, floß Spendengeld für Projekte in den ärmsten Ländern der Erde. Aber die Konzernverlage, Gewinner der deutschen Einheit, zeigten sich desinteressiert, was niemanden verwundern sollte: Solidarität ist das Letzte, was man von ihnen erwarten kann.
Red.
Zorn im Detail
Was den zum Holtzbrinck-Medienkonzern gehörenden Verlag Droemer bewogen haben mag, Jutta Ditfurths neues Buch »Zeit des Zorns« unter die Leute zu bringen, darüber läßt sich rätseln; vielleicht ist es die Ahnung, die Weltsicht von Droemer-Autoren wie Helmut Kohl und Michail Gorbatschow sei nicht krisenfest. Hocherfreulich jedenfalls ist, daß die »Streitschrift«, wie sie im Untertitel benannt ist, auf diese Weise Zugang zum Buchmarkt hat. Geboten wird darin nämlich eine gut lesbare Beschreibung der ganz normalen Schandtaten des kapitalistischen Weltsystems und seiner staatlichen Administration – mit vielen anschaulichen Details, vor allem von den Elendszonen der globalen Gesellschaft oder vom Umgang der »Zivilisatoren« mit ihren Opponenten.
Jutta Ditfurth widerspricht all denen, die beteuern, der Kapitalismus lasse sich parlamentarisch zähmen oder, im deutschen Fall, ins »Rheinische« zurückführen. Insofern ist es nur konsequent, wenn sie darlegt, der Weg der Linkspartei sei eine »Sackgasse«. Um diese Einschätzung zu stützen, hätte es allerdings nicht der Andeutungen bedurft, in linksparteilichen Kreisen seien rassistische und antisemitische Weltbilder heimisch. Unzutreffend ist die Darstellung, die sie vom Verhältnis der PDS beziehungsweise der Linkspartei zum Verfassungsentwurf der EU und zum Vertragsentwurf von Lissabon gibt; da hat sie sich von ihrem Zorn zur Ungenauigkeit verleiten lassen.
Von der SPD erwartet sie nichts, jedenfalls nichts Erfreuliches. Um diese Einschätzung historisch zu begründen, hätte sie die Zustimmung der Sozialdemokraten zu den Kriegskrediten 1914 nicht in eine Reihe mit dem Gothaer Programm von 1875 stellen sollen (auch wenn Marx Gründe hatte, es zu kritisieren).
»Wir werden alles selbst machen müssen« ist das Schlußkapitel überschrieben – ein Plädoyer für soziale und politische Bewegung von unten, für Emanzipation von parteipolitischer Stellvertreterpolitik, das ich überzeugend finde. Freilich ist es da mit dem Zorn allein nicht getan, ohne neue gedankliche Anstrengungen wird sich wenig entwickeln, und auch dabei wird der Blick aufs Detail notwendig sein. Ob dann immer noch Droemersche Hilfe zu erwarten ist?
Arno Klönne
Jutta Ditfurth: »Zeit des Zorns. Streitschrift für eine gerechte Gesellschaft«, Verlag Droemer, 266 Seiten, 16.95 €
Unser Leben
»Das Leben der Anderen« heißt ein erfolgreicher Film, in dem ein Stasimann auf dem Dachboden über Abhörwanzen das Privat- und Intimleben eines Schriftstellers in einem unteren Stockwerk ausforscht.
»Das Leben der Anderen« kann dabei auf zweierlei Art verstanden werden: Der Stasimann nimmt am Leben der anderen teil. Und wir nehmen quasi über Leinwand gruselnd am einst stasiverseuchten Leben der »Ossis« teil. Der Regisseur, Nachfahr schlesischer Kohlebarone, heimste dafür einen Oscar ein.
Die Deutsche Bahn hat 2005–2008 hunderttausende ihrer Mitarbeiter durchleuchtet, um angeblich Wirtschaftskriminalität aufzudecken. Nebenbei kontrollierte sie, welcher Angestellte Kontakte zu Journalisten hatte. Die Supermarktkette Lidl führte mindestens im Jahr 2008 (das sind die bekanntgewordenen Fälle) geheime Krankenakten über ihre Mitarbeiter. Daimler, der schwäbische Autobauer, verfuhr ähnlich. Jetzt wird bekannt, daß die Drogeriekette Müller ebenfalls über die Krankheiten ihrer Mitarbeiter Buch führt(e).
Zwanzig Jahre Mauerfall wird in diesem Jahr frenetisch gefeiert. Es wird aber Zeit für einen Film »Unser Leben«: ausgeforscht und bespitzelt von Staats- und Wirtschaftsunternehmen im heutigen goldenen und freiheitlichen »Westen«. Florian Henckel von Donnersmarck, wäre das nicht eine lohnende Aufgabe?
Stefan Hug
Freche Bischöfe
Die Berliner haben die freche, lügenhafte Kampagne der Bischöfe gegen den gemeinsamen Ethik-Unterricht gebührend bestraft. Einzig im Besitzbürgerbezirk Steglitz/Zehlendorf war »ProReli« erfolgreich. Insgesamt brachte die von CDU und FDP unterstützte Initiative gerade mal ein Sechstel der Wahlberechtigten hinter sich. Es bleibt also bei der bisherigen gesetzlichen Regelung: Zusätzlich zum Ethik-Unterricht können sich die Berliner freiwillig für den Religionsunterricht entscheiden, und auch dafür zahlt der Staat – was ich nicht selbstverständlich finde. Statt sich nun aber mit der Realität abzufinden und für die vielen gesellschaftlichen Privilegien dankbar zu sein, die ihnen immer noch geblieben sind (warum eigentlich?), rufen die Kirchenfürsten jetzt nach staatlichen Zeichen der »Versöhnung«, vor allem nach Garantien für kirchlichen Einfluß auf den Ethik-Unterricht. Hoffentlich werden sich Rot, Rot und Grün nicht auf solche Forderungen einlassen. Zwar kann es sinnvoll sein, unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen in den Schulunterricht einzubeziehen, Darüber wäre dann aber erst einmal mit Freidenker- (die Mehrheit der Berliner gehört keiner Kirche an) und Menschenrechtsgruppen zu reden.
E. S.
Jüngst entdeckt
Die Vielzahl der herandrängenden runden Jahrestage hat einen von ihnen arg in den Hintergrund der Betrachtungen gedrängt. Im April waren exakt zwei Jahrhunderte seit dem antinapoleonischen Aufstand in Tirol vergangen – ein Ereignis, eine Episode nur, die zur nationalen Großtat aufgewertet wurde. Über Generationen lernten Kinder in deutschen Schulen das Lied auf die Taten und den Todesmut des Anführers der Bauern, die am 12. April 1809 Innsbruck besetzten und die dem Franzosenkaiser verbündete bayerische Armee vertrieben. Es hebt mit den Worten »Zu Mantua in Banden Andreas Hofer lag« an und läßt den »Sandwirt« schließlich seinem letzten Gegenüber, den Männern des Erschießungspeletons, zurufen: »Gebt Feuer, ach wie schießt ihr schlecht.« So sterben Helden – im Lied.
Wo sich dennoch Erinnerung auf Feuilleton-Seiten meldete, wurde auf eine »Neuentdeckung« verwiesen, die historische Forschung jüngst gezeitigt habe. Als »Freiheitskämpfer« lasse sich von dem Hofer nicht gut berichten. Der Begriff und was sich mit ihm spätestens seit dem Pariser Kampfruf »Liberté« verbindet, sei dem Manne in seiner Beschränktheit doch fremd gewesen.
Nun ist vor nahezu 164 Jahren in einer Zeitung mit dem Titel »The Northern Start« ein Artikel eines »deutschen Korrespondenten« erschienen, an dessen Schluß zu lesen war: »Immer wenn in englischen Demokratenversammlungen ein Trinkspruch ausgebracht wird auf die ›Patrioten aller Länder‹, ist gewiß Andreas Hofer unter ihnen. Nun wohl, nach allem, was ich über die Feinde Napoleons in Deutschland gesagt habe, ist Hofers Name wert, von Demokraten mit Hochrufen bedacht zu werden? Hofer war ein stupider, ignoranter, bigotter, fanatischer Bauer, dessen Enthusiasmus der Enthusiasmus der Vendée, der Enthusiasmus von ›Kirche und Kaiser‹ war. Er kämpfte tapfer – aber das taten auch die Vendéer gegen die Republikaner. Er kämpfte für den väterlichen Despotismus Wiens und Roms. Demokraten Englands, um der Ehre des deutschen Volkes willen laßt den bigotten Andreas Hofer künftig außer Betracht!«
Was Leuten heutzutage so alles als Neuheit aufgeschwatzt wird, nicht nur in Kaufhäusern und auf anderen Märkten. Von Unwissenden oder aber von Spekulanten auf Unwissen. In diesem Falle darauf, daß Friedrich Engels‘ Artikelserie »Deutsche Zustände« nicht gelesen worden ist. Julius Mosen, der das Hofer-Lied 1831 dichtete, hat seinen Helden übrigens angemessen geschildert. Keine Rede von Freiheitskampf, stattdessen »Es leb’ mein guter Kaiser Franz«. Wenn schon nicht Engels-Lektüre, so wäre doch eine gewisse Vertrautheit mit der patriotischen Dichtkunst nützlich gewesen.
Kurt Pätzold
Hakenkreuze
Wenn Kleiderständer beim Textildiscounter »kik« zu weithin erkennbaren Hakenkreuzen montiert sind, darf man das nicht dulden. Sie stehen in etlichen Filialen, vermutlich bundesweit. Kinder machen ihre Mütter aufmerksam, daß in den Läden Symbole zu sehen sind, die ihnen in der Schule als verfassungsfeindlich erklärt wurden. Neonazis stehen feixend da und fotografieren; gelungene Propaganda nennen sie es: Der Discounter darf schon, was Ihnen polizeilich und gerichtlich noch verwehrt ist. Nach einer Strafanzeige erklären Polizisten sich als nicht zuständig, eine Bagatelle sei das. Das Verkaufspersonal erkennt die Hakenkreuze, will aber aus Kompetenzgründen nichts daran ändern, schließlich hängt der Job dran, und an den Hakenkreuzen hängen Klamotten, die sie verkaufen müssen.
Engagierte BürgerInnen wenden sich an die »kik«-Zentrale. In der Antwort nennt sich »kik« ein modernes, liberales Unternehmen und teilt mit: »Die – leider immer wieder – geäußerte Assoziation mit verfassungsfeindlichen Symbolen ist für uns nicht mehr nachvollziehbar.«
Vielleicht war es anfangs nicht beabsichtigt, Hakenkreuze zu zeigen. Vielleicht erschien es dann wirklich als Bagatelle. Aber wenn die Firma nun schreibt, die Assoziation werde »immer wieder« geäußert, wenn sie also die Wirkung kennt und trotzdem diese Kleiderständer nicht auf den Schrott wirft, dann tut sie es absichtsvoll. Und dann ist es erst recht keine Bagatelle mehr.
Gerhard Hoffmann
Als Jüdin versteckt in Berlin
Margot Friedlanders unter Mitwirkung der Schriftstellerin Malin Schwerdtfeger entstandene Autobiografie ist die Geschichte einer Überlebenden des deutschen Judenmords. Ein mit hoher literarischer Qualität geschriebenes Buch über ein jüdisches Lebensschicksal in Zeiten staatlich organisierter Unmenschlichkeit. Man durchlebt und durchleidet mit der Autorin, die 1943 als 21-jährige in Berlin untertauchte, die Stationen ihrer fünfzehnmonatigen Flucht vor den Schergen des Hitler-Staates. Es gab Menschen, die ihr unter eigener Lebensgefahr jeweils für kurze Zeit Unterschlupf boten, es gab einen Arzt, der kostenlos ihre »jüdische Nase« operativ veränderte. Aber es gab auch enttäuschende Erfahrungen mit Menschen, die hätten helfen können und es nicht taten. Der eigene Vater, von der Familie getrennt lebend und in Belgien in vermeintlicher Sicherheit, verweigerte in auch für ihn selbst schließlich verhängnisvoller Fehleinschätzung der Situation die von den Behörden verlangte Zustimmung zur Auswanderung der Minderjährigen. Die Mutter, tatkräftig aber vergeblich um rechtzeitige Auswanderung bemüht, fiel auf einen Betrüger herein, der gute Beziehungen zu einem Konsulat vortäuschte und ihr und anderen auswanderungswilligen Juden viel Geld abnahm. Als der Bruder zur Deportation abgeholt wurde, folgte ihm die Mutter ohne Abschied, nur mit dem mündlich hinterlassenen Rat »Versuche, dein Leben zu machen«. Der Bruder, die Mutter, der Vater und viele weitere Familienangehörige wurden in Auschwitz ermordet. Margot Friedlander wurde schließlich in der Joachimstaler Straße von Menschen angehalten, die sich als jüdische Greifer entpuppten und sie an die Gestapo auslieferten.
Was sie über Elend, Terror und Todesängste im Lager Theresienstadt berichtet, erfüllt das, was man schon aus der Lektüre der Bücher von H.G. Adler und Philipp Manes über diesen Ort des Grauens wußte, mit neuer kaum erträglicher Genauigkeit. Daß sie dort einen Mann wiedertraf, den sie schon aus gemeinsamer Arbeit im Jüdischen Kulturbund in Berlin kannte und nach der Befreiung noch in Theresienstadt heiratete, ist nur ein kleiner Trost in diesem von jahrelanger Angst und Bitterkeit belasteten Menschenleben. Auch die USA, in die sie mit ihrem Mann schließlich auswanderte, wurde ihr nicht zur Heimat. »Ich lebe gern in Amerika, aber Dankbarkeit schulde ich diesem Land nicht ... Damals, noch in Deutschland, als meine Familie und ich wirklich Hilfe gebraucht hätten, hat uns Amerika keine Chance gegeben.«
Ich habe das Buch tief erschüttert aus der Hand gelegt und den Wunsch verspürt, dieser Frau die Hand zu geben.
Heinrich Hannover
Margot Friedlander mit Malin Schwerdtfeger: »Versuche, dein Leben zu machen. Als Jüdin versteckt in Berlin«, Rowohlt Berlin, 269 Seiten, 19,90 €
Übrigens
– erhält auch das Bundesverteidigungsministerium ein paar schöne Sachen aus den Konjunkturpaketen, unter anderem Nachtsichtgeräte für »Tornado«-Kampfflugzeuge und eintausend Maschinenpistolen;
– hat sich die Malerin Bärbel Bohley in der Gewerkschaftszeitung
Kunst und Kultur über das Jahr 1989 geäußert, als sie in westdeutschen Medien die meistgenannte DDR-Bürgerrechtlerin war: »Wenn ich an mich denke, dann setzte ich alles daran, eine andere Gesellschaft zu erreichen, und ich merke heute: Das ist ja alles noch viel schlimmer, perspektivloser, ressourcenvergeudender und unsozialer als damals«.
Red.
Press-Kohl
Verschiedene Zeitungen druckten oder zitierten einen Bericht, in dem die Polizei ihre Arbeit und ihre Erfolge beschreibt. Manche Details dienen dem Spaß, den manche Leser an gruseligen Fakten haben.
»Grausiger Fund im Schilf des Dehmsees. – Ein Mann (etwa 35 Jahre alt) trieb mit eingeschlagenem Schädel im Wasser. Die Polizei geht von einem Verbrechen aus.« Hier handelt es sich vielleicht um eine rasche, aber nicht überzeugende Schlußfolgerung der Polizei. Verbrechen? Man darf doch nicht immer gleich das Schlimmste vermuten. Möglicherweise ist der unglückliche Mann bei dem Versuch, den Dehmsee stehenden Fußes zu überqueren, von einem ganz plötzlich herabstürzenden Meteoriten verletzt worden.
Felix Mantel