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Titel118

Schulz-Ende, Scholz-Stunde  (Otto Köhler)

Angela Merkel war am Sonntag, als die Sondierungsgespräche begannen, zukunftsfroh: »Es kann gelingen.« – »Wir müssen uns verständigen«, sprach Horst Seehofer. Aber: »Ich will mir treu bleiben.« Das will der hundertprozentig Erwählte nicht: »Wir ziehen keine roten Linien«, versprach Martin Schulz konstruktiv und gesprächsoffen und hoffte: »Wir wollen möglichst viel rote Politik in Deutschland durchsetzen.«

 

Möglichst, möglichst, möglichst viel. Das kann sehr wenig sein. Und viel für die anderen. CSU-Gruppenführer Alexander Dobrindt, der entschieden mitverhandelt, will eine »konservative Revolution«. Schulz aber braucht ein gut aussehendes Ergebnis für den SPD-Parteitag in der darauffolgenden Woche. Sagt der brav und ergeben ja, tritt Merkel-Freund und Schulz-Feind Olaf Scholz in Aktion. Schulz und Sozialdemokraten haben den Fehler gemacht Scholz, der schon immer Baumeister einer Großen Koalition war, in die Sondierungsgespräche zu schicken mit der Zuständigkeit für die Finanzen. Und wenn er dann Finanzminister wird, steht alles, was die Sozialdemokraten ausgehandelt haben, unter dem Finanzierungvorbehalt, und der tritt nach dem neuen GroKo-Treuschwur in Kraft. Die Union hat eine rote Linie: Keine Neuverschuldung. Soziale Gerechtigkeit, Investitionen für die Zukunft stoßen da auf eine unüberwindliche Mauer.

 

Die »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« – mächtige Befehlszentrale der Union – veröffentlichte in den Montagszeitungen ganzseitige Anzeigen auf rotem Grund. Abgebildet Martin Schulz mit roter Krawatte und gehorsam erhobenen Händen. Dazu die Anweisung: »Finger weg vom Geld der Bürger.«

 

Martin Schulz aber versprach schon am Sonntag: Am Donnerstag [wenn diese Ossietzky-Ausgabe die Druckerei verlassen hat] sollen die Verhandlungen über eine neue GroKo beendet sein: »Die Deutschen haben einen Anspruch darauf, dass es schnell geht.«

 

Er hat einen Anspruch darauf, dass es schnell geht, sagte der Cowboy, zog die Pistole und erschoss den alten Gaul, der ihn nicht mehr tragen konnte. Mit einer zweiten Kugel setzte er sich selbst ein Ende.

 

Bild zitiert Schulz, ohne dass er sofort dementierte: »Wenn das schiefgeht, ist meine politische Karriere zu Ende«, Horst Seehofer erwiderte nach derselben Quelle: »Nicht nur deine.« Und meinte Merkel. Dann marschiert die konservative Revolution unter dem von der CSU bereits ausgeguckten Merkel-Nachfolger Jens Spahn.

 

Und dann ist auch die Stunde des neunundfünfzigprozentig Erwählten Olaf Scholz gekommen. Er kann Hamburg verlassen, wo er nur noch auf die Scherben seiner G20-Politik treten muss (jetzt will er sogar aus der Bundeswehr Polizisten für Hamburg rekrutieren). Er darf Finanzminister und Vizekanzler werden und schließlich Dauervizekanzlerkandidat dessen, was nach vier Jahren von seiner Partei noch übrig geblieben ist.