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Hacks‘ Denken und Schreiben  (Jochanan Trilse-Finkelstein)

»Mein Leben ist Denken und Schreiben.« So äußerte sich Peter Hacks einmal, und das bedeutete, daß sein Leben äußerlich ereignislos sei. Betrachtet man es genau, so scheint seine Aussage zu stimmen – vor allem, wenn man sein Leben mit dem vieler anderer deutschsprachiger Schriftsteller im 20. Jahrhunderts vergleicht, etwa Theodor Lessing, Arnold Zweig, Stefan Zweig, Heinrich Mann, Thomas Mann, Klaus Mann, Feuchtwanger, Renn, Brecht, Weisenborn und Peter Weiss. Ihnen drohte Verfolgung, Lager oder Tod, zumindest Schreibverbot. Die meisten waren ins Exil gegangen, andere waren im Gefängnis oder in Lagern vom Tode bedroht. Manche hielten das Exil nicht durch und starben in der Fremde.

Schon früher hatten viele Dichter emigrieren müssen: Euripides und Dante, Mickwiewicz, Börne und Heine. Über solche ereignisreiche Leben läßt sich zumindest auf den ersten Blick leichter schreiben. Ich habe das hinter mir: zwei Heine-Biografien und einige kleinere über den früh verstorbenen revolutionären Österreicher Jura Soyfer und die DDR-Autoren Knauth, Matusche und Strahl, zudem zahlreichen Kurzbiografien über jüdische Autoren in der Jüdischen Korrespondenz. Da war über Strafverfolgungen, Schreibverbote, Zensur zu berichten, tiefe Einschnitte im Dichterleben. Doch wie sieht das bei Peter Hacks aus?

Anfangs gab es auch bei ihm mehr räumliche Art der Bewegung: Er wuchs noch im NS-Reich (in Breslau, heute Wroclaw) auf, wo er passiven Widerstand leistete und sich listig dem Soldat-Sein in der Wehrmacht entzogen hatte. Um Kriegsende flüchtete die Familie in den westlichen Teil Deutschlands: in Wuppertal beendete er das Gymnasium mit Abitur, begab sich dann nach München zum Studium von Geschichte, Literatur, Philosophie und Theologie. Er beschloß seine Studien und promovierte beim Theaterwissenschaftler Arthur Kutscher über »Das Theaterstück des Biedermeier«.

Er hatte frühzeitig mit dem Schreiben begonnen. Es gibt viele nicht oder kaum veröffentlichte Gedichte, von denen nur wenige in den von ihm zusammengestellten späteren Ausgaben enthalten sind; auch eine größere Anzahl von Bühnenstücken, Hörspielen, Kinderfunkstücken, fast alle aus den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren. Ausgaben sind geplant. Ob das sinnvoll ist, sei dahingestellt. Dieser außerordentlich gebildete Dichter mit höchstem Qualitätsanspruch hatte gewiß Grund, sie in seinen zahlreichen Ausgaben fortzulassen.

1955 siedelte er von West nach Ost über, nach Berlin, wo er 48 Jahre lang im Bezirk Prenzlauer Berg (erst Grellstraße, dann Schönhauser Allee) lebte oder abseits der Stadt auf seinem Landsitz bei Groß-Machnow. Als er am 28. August 2003 verstarb, wurde er auf eigenen Wunsch nicht auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof, der Ruhestätte für DDR-Prominente, in der Nähe von Hegel gleich am Brecht-Haus, sondern auf dem Garnison-Friedhof beigesetzt, unweit von Theodor Fontane. Das ging nicht gegen Brecht, von dem er sich ästhetisch-poetisch abgesetzt hatte, um der Poet Peter Hacks sein zu können, sondern eher gegen den früheren Mitstreiter und späteren Lieblingsfeind Heiner Müller.

Sein Leben aus Denken und Schreiben ist seine Biografie, eine extrem geistige Biografie ohne große Cäsuren und Höhepunkte. Sicher hatte er seine Konflikte mit der Macht, damit auch Sorgen. »Die Sorgen und die Macht« hieß sein viel umstrittenes Stück von 1960/62, wozu ihn eine Ulbricht-Rede angeregt hatte.

Den großen Schauspieler, Regisseur und Intendanten Wolfgang Langhoff kostete das Stück den Posten und die ohnedies angeschlagene Gesundheit des Widerstandskämpfers und KZ-Häftlings. Er starb 1966 kummervoll.

Auch mit »Moritz Tassow«, der 1965 in der Volksbühne am Luxemburgplatz uraufgeführten Schelmen-Komödie, bekam Hacks großen Ärger. Dieses Zeitstück in glanzvoller Besetzung war eine Sternstunde des Theaters. Fritz Cremer war der Szenograf; er entwarf auch ein köstliches Plakat, das heute noch in meinem Korridor hängt und alle Besucher begrüßt. Neun Vorstellungen vor vollen Häusern fanden statt, dann Absetzung und ein Prozeß. Am Ende wollte keiner schuld gewesen sein, es gab kein ausdrückliches Verbot, es lag keine Anordnung vor.

Was tat der Dichter? Er schrieb neue Stücke und Dramen (da machte er einen Unterschied: Dramen meist in Versen, Stücke in Prosa, ganz rein ist der Unterschied auch nicht immer), insgesamt 40 an der Zahl, Gedichte, Kindermärchen, Kinderromane, Kinderdramen feinster Art – er, der selbst keine Kinder hatte. Und glanzvolle Essays, die unter dem Titel »Die Maßgaben der Kunst« mehrfach erschienen sind, zuletzt in drei Bänden.

2003 erschien im Eulenspiegel-Verlag die 15bändige Ausgabe »Werke«, von ihm selbst noch betreut. Und das ist noch nicht alles – da gibt es die erwähnten Jugend-Schriften, von etlichen Texten mehrere Fassungen, so auch von seinem vielleicht schönsten Drama, der Komödie »Numa« nach einem altrömischen Stoff in der »Sozialistischen Republik Italien«; leider ist die schönere, die Frühfassung, nicht in »Werke« ediert.

Ein reiches Dichter-Leben, das Leben eines Klassikers, und dies doppeldeutig im besten Sinne: Sein geistig-künstlerisches Vorbild war die Klassik, sein Dichter war und blieb Goethe, neben andern großen Klassikern. Und da ist Klassik bereits ein Wert-Begriff im Sinne des Dauernden.

Darum also ist seine Biografie so schwer zu schreiben, weil es mehr ein inneres Leben zu beschreiben gilt, das Denken selbst, das Schaffen, denn das äußere Leben gibt wenig her, auch nicht für den Klatsch. Er bekannte sich zu einigen Frauen, aber er war äußerst diskret. Auch in seinen Freundschaften. Und treu – wie in seiner Philosophie und Politik. Er sah im Sozialismus und, da dieser Begriff zu sehr sozialdemokratisch verwässert ist, im Kommunismus nach Marx die Zukunft. Dort lag das Schöne. Da der Kommunismus, den es bislang nur in der Theorie und in wenigen Geschichtsbeispielen gab und gibt (Jesuitenrepublik Paraguay), doch wohl am stärksten in der alten UdSSR versucht, deshalb im grausamsten Vernichtungskrieg der Weltgeschichte am schwersten beschädigt wurde und um so entschiedener verteidigt werden mußte, galt seine Sympathie auch dem Führer jener Verteidigung: Josef Stalin, trotz dessen Untaten. Das nahmen manche übel, doch vor der Geschichte wird dieses Urteil sicher Bestand haben. Wie sähe die Welt ohne diesen roten Sieg aus?!

Die Biografie eines politischen Künstlers hoher ästhetischer Gesinnung und poetischer Meisterschaft kann sich auf Briefaustausch mit Kollegen und Freunden sowohl innerhalb Berlins als auch weltweit stützen. Den Hauptanteil bildet das zu beschreibende und zu untersuchende Werk, getrennt nach Genres. Der Dramenteil ist der umfangreichste. Einige Stücke blieben bis heute unaufgeführt, andere brachten es auf legendäre Zahlen, am häufigsten gelang das mit dem Goethe-Stück »Ein Gespräch im Hause Stein …«. Insgesamt wurden seine Stücke schon mehr als 1000 mal inszeniert, das hat seit der zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts bis jetzt nur Brecht erreicht oder übertroffen.
Einer der Grundsätze von Hacks war: »Lex mihi ars – Gesetz ist mir die Kunst.«

Unser Autor hat soeben eine umfangreiche Hacks-Biografie fertiggestellt.