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Titel1620

Die Sache mit den Hammelbeinen  (Constanze Weinberg)

Es soll ja immer noch Leute geben, die das Scheitern bei der Erziehung ihrer Kinder hinter dem Ausruf verstecken, denen müssten wohl mal die Hammelbeine langgezogen werden. Auch manche Politiker hatten die Redensart eine gewisse Zeit im Hinterkopf, als lange Haare bei jungen Leuten in Mode waren und der Widerstand gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht die CDU in Schwierigkeiten brachte. Ihr Abgeordneter Will Rasner hielt der SPD damals im Bundestag entgegen, die »Ohne-mich«-Bewegung könne sich schnell gegen den demokratischen Staat wenden. Wehrpflicht und Demokratie gehörten zusammen.

 

Dass eines Tages eine sozialdemokratische Politikerin auf die Idee verfallen könnte, die Wehrpflicht als demokratisches Heilmittel gegen rechtsextremistische Umtriebe in der Bundeswehr zu preisen, passt zu dem Kuriositätenladen, der mit Olaf Scholz an der Spitze ein Linksbündnis schmieden will. Es sei ein Riesenfehler gewesen, die Wehrpflicht auszusetzen, sagte die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, als das politisch versiffte Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr wieder einmal in die Schlagzeilen geriet. Der Bundeswehr würde es sehr gut tun, meinte sie, die Wehrpflicht wieder einzuführen. Dann könnte sich der Rechtsextremismus in der Truppe nicht so breitmachen.

 

Bis auf die AfD, deren verteidigungspolitischer Sprecher Rüdiger Lucassen den Vorstoß »ohne Wenn und Aber« unterstützte, fand niemand im Bundestag großen Gefallen an Eva Högls Schnapsidee. Auch die zuständige Ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, CDU, lehnte eine Rückkehr zur Wehrpflicht ab. Stattdessen wirbt sie für einen zusätzlichen freiwilligen militärisch ausgerichteten Dienst, zu dem junge Leute sich melden können, die nicht auf Auslandseinsätze geschickt werden wollen. Angesprochen werden sollen alle Männer und Frauen, »die sich für das Gemeinwohl und regionale Aufgaben im Heimatschutz interessieren«. Das Ganze nennt sich »Dein Jahr für Deutschland – freiwilliger Wehrdienst im Heimatschutz«.

 

Der Begriff Heimatschutz ist vieldeutig. Im Internet wird er als erstes mit »Bayerischer Heimatschutz« assoziiert, es gibt auch eine Neonazi-Organisation namens »Fränkischer Heimatschutz«, und es gab einen »SS-Heimatschutz Slowakei«, eine militärische Hilfseinheit innerhalb der Waffen-SS, deren Aufgabe es während des Zweiten Weltkriegs war, die Behörden bei der Verfolgung von jüdischen Flüchtlingen und Regimegegnern zu unterstützen. Die insgesamt zunächst 1000 Teilnehmer am »Jahr für Deutschland« sollen an heimatnahen Standorten untergebracht werden und bei Bedarf die Bevölkerung vor Ort unterstützen. Dass auch Horst Seehofer (CSU) in die Planungen eingebunden war, darf vermutet werden. Sein Ministerium heißt schließlich Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat.

 

Der schwülstige Titel des auf eine Militarisierung von Teilen des öffentlichen Lebens hinauslaufenden Vorhabens deutet darauf hin, dass es an wirklich überzeugenden Argumenten fehlt. Für die Abwehr akuter Gefahren bei Hochwasser oder Waldbränden steht das Technische Hilfswerk zur Verfügung, und auch die Bundeswehr war stets zur Stelle, wenn die Bevölkerung vor Ort Unterstützung brauchte. Eine zusätzliche Heimatschutztruppe ist überflüssig. Nach Meinung des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner offenbart die »Sommerlochdebatte mit volkserzieherischen Absichten« das fehlende Verständnis der CDU für die jüngere Generation.

 

Aus dem Bundesfamilienministerium hieß es, eine Debatte darüber, »wie wir mehr Solidarität in der Gesellschaft, mehr Engagement und Zusammenhalt erreichen können«, sei gut. Dieser Zusammenhalt bleibt aber so lange eine Schimäre, solange die Kluft zwischen Arm und Reich größer wird. Militärischer Drill führt weder zu mehr Solidarität in der Gesellschaft noch fördert er deren Zusammenhalt. Dass den jungen Leuten die sprichwörtlichen Hammelbeine langgezogen werden müssten, glauben sowieso nur noch Menschen von vorgestern. Schon jetzt leisten Jahr für Jahr mehr als 100.000 junge Leute einen freiwilligen zivilen Dienst. Die 20 Milliarden Euro, die der neue Heimatschutz jährlich kosten soll, wären im Bildungswesen besser angelegt.