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Titel1718

Peter Edel und die LTI der Gegenwart  (Hans-Jürgen Nagel)

Vor siebzig Jahren veröffentliche Die Weltbühne am 14. September 1948 einen Beitrag »Tag des Gedenkens«. Seit 1945 wurde am zweiten Sonntag der Opfer des Faschismus erinnert. Es hieß darin: »Wir begehen diesen Gedenktag in banger Sorge, weil wir erkennen mußten, daß das Vermächtnis unserer Toten, ihrem Sterben einen Sinn zu geben, bisher nicht erfüllt worden ist.«

 

Könnte das nicht heute geschrieben worden sein?

 

Autor war der ehemalige Auschwitz-Häftling mit der im linken Arm eintätowierten Nr. 164145. Sein Beruf als Grafiker rettete ihn vor dem Tod in der Gaskammer. Ins KZ Sachsenhausen überstellt, nunmehr mit deutscher Gründlichkeit Nr. 75192, komplettierte er das berüchtigte Fälscherkommando des SS-Sturmbannführers Bernhard Krüger. Ende Februar 1945 erfolgte die Verlegung ins KZ Mauthausen in Österreich und von dort ins KZ Ebensee. Anfang Mai wurde er mit seinen Kameraden durch die US Army befreit. 1947 erschien am 1. Oktober in der Weltbühne ein ausführlicher Bericht über »Block neunzehn«. Er war für den US-Ankläger Robert M. W. Kempner Anlass, den Verfasser als Zeugen im sogenannten Wilhelm-Straßen-Prozess nach Nürnberg zu bitten.

 

Der Autor beider Artikel hieß Peter Edel. Er sandte seine ersten Manuskripte aus Bad Ischl, wo er wieder den Weg ins Leben zu finden suchte. Gerade einmal 24 Jahre alt. Gezeichnet und belastet bis zu seinem Tode 1983.

 

In der DDR lebte er geachtet und geehrt als Journalist, Künstler und Schriftsteller.

 

Heute ist er Unperson.

 

Über ihn und andere mehr oder weniger prominente Schriftsteller der DDR wurden 1996 zahlreiche Fundstellen aus den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit publik. IM – Informeller Mitarbeiter – mutierte zum neuzeitlichen Brandmal. Eine passende abschätzige Wortwahl ideologischer Hardliner garniert es kommentierend in »Sicherungsbereich Literatur – Schriftsteller und Staatssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik« von Joachim Walther.

 

Karin Hartewig meint in ihrer umfangreichen Habilitationsschrift »Zurückgekehrt. Die Geschichte der jüdischen Kommunisten in der DDR«, bereits 1956 sei die Erinnerung an die Kristallnacht »auch« (?) auf dem Boden der DDR politisch instrumentalisiert worden. Sie schreibt: Zum 18. Jahrestag in einer Veranstaltung im Friedrichstadtpalast »... trat als Kronzeuge für die Vorbildhaftigkeit kommunistischer Häftlinge im Konzentrationslager und als moralischer Ankläger aller Gegner des real existierenden Sozialismus, die als wilde Faschisten hypertrophiert wurden, der Schriftsteller Peter Edel auf. Er hielt eine Rede, die das gesamte Repertoire der Demagogie beherrschte.«

 

Eine solche Aussage wirkt in einer wissenschaftlichen Betrachtung äußerst befremdlich und geschmacklos. Nur nebenbei: In der DDR war 1956 der Begriff des »real existierenden Sozialismus« noch gar nicht existent.

 

Diese Charakterisierung eines politisch und rassisch verfolgten KZ-Häftlings bescheinigt den Autoren, dass sie die Lingua Tertii Imperii (siehe Victor Klemperer: »LTI. Notizbuch eines Philologen«) und den Antisemitismus verinnerlichten und wieder hoffähig machen. Heutzutage in verschiedenen Prägungen, wo deutscher Antikommunismus allgegenwärtig den Zeitgeist beherrscht und die Feder führt.

 

Der Tag der Opfer des Faschismus wurde in den fünfziger Jahren in der Alt-Bundesrepublik in den sogenannten Volkstrauertag eingebunden. Weshalb wohl?

 

Braun dominierte die Bonner Regierung wie Amtsstuben. Bundeskanzler Konrad Adenauers rechte Hand war Staatssekretär Hans Josef Maria Globke, zu NS-Zeiten Kommentator der Nürnberger Rassegesetze. Der Henker von Warschau, SS-General Heinz Reinefahrt, residierte als wohlgelittener Bürgermeister auf Sylt. Kurt-Georg Kiesinger und Hans Filbinger repräsentierten, obwohl belastet, Baden-Württemberg als Ministerpräsidenten. Ein »Braunbuch der DDR« listete in den sechziger Jahren über 2000 Namen auf.

 

Warum wohl kämpfte Peter Edel seit seiner Befreiung deshalb unerbittlich gegen das Vergessen an? Seine Briefe aus Bad Ischl an die Mutter in Berlin, der Fernsehfilm »Die Bilder des Zeugen Schattmann« und eine Autobiografie »Wenn es ans Leben geht« belegen es für jeden, der lesen und begreifen will.

 

Arthur Miller sagte einmal in einem Interview: »Das Leben ist Kampf. Tote können nicht mehr kämpfen.«

 

Wurde Peter Edel als unbequemer und unerbittlicher Mahner und Warner deshalb ins Visier genommen?

 

Warum wohl bringt kein renommierter Verlag eine Neuauflage der Autobiografie heraus? Weshalb werden »Die Bilder des Zeugen Schattmann« nicht wieder ins Programm der Fernsehsender genommen?

 

Was in Auschwitz nicht geschah, wird auf subtilere Weise vollzogen.

 

Ja, Tote können nicht mehr kämpfen. Aber WIR, die Lebenden!

 

Dr. Hans-Jürgen Nagel ist Journalist und war stellvertretender Chefredakteur der Tageszeitung Der Morgen.