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Titel1815

Ursache und Wirkung  (Winfried Wolk)

Mit der Aussage vor dem Atlantikrat in Washington, dass Russland gegenüber der Ukraine äußerst aggressive Schritte unternehme, während die ukrainische Regierung völlig korrekt handle, folgte Wesley Clark, US-General a. D. und ehemaliger NATO-Oberbefehlshaber in Europa, aktuell der generellen Linie der US-Administration in der Ukraine-Krise. Aber nicht immer waren die Meinung des Vier-Sterne-Generals und die Ansichten der US-Regierung so deckungsgleich. Am 2. März 2007 jedenfalls ließ er in einem Interview mit der Journalistin Amy Goodman von democracy now nicht nur eine größere Distanz zu den Plänen und Vorhaben der US-Administration erkennen, sondern auch eine gewisse Skepsis, was die logische Nachvollziehbarkeit von kriegsauslösenden Entscheidungen betrifft. Wenige Tage nach dem 11. September 2001 hatte ihm nämlich einer seiner Generalskollegen eröffnet, dass sich die Bush Administration entschlossen hätte, neben dem Krieg in Afghanistan auch Krieg gegen den Irak zu führen. Zwar gebe es keinen Zusammenhang zwischen Al Kaida und Saddam Hussein und somit tatsächlich keinen wirklichen Grund, aber, so sagte der Kollege: »… Ich schätze mal, es ist so, dass wir nicht wissen, was wir wegen der Terroristen machen sollen. Aber wir haben ein gutes Militär und wir können Regierungen platt machen …« Einige Wochen später erfuhr Clark vom selben General, dass die Pläne erweitert wurden. Innerhalb von fünf Jahren sollen nun sieben Länder ausgeschaltet werden, »angefangen mit dem Irak, dann Syrien, Libanon, Libyen, Somalia, Sudan und schlussendlich Iran.« (Quelle: https://www.youtube.com)


Wegen des geplanten Irakkrieges stand Clark damals im Widerspruch zur Bush-Administration. So kritisierte er im September 2002 vor dem Streitkräfteausschuss des Repräsentantenhauses die Bush-Regierung nicht etwa, weil der Irakkrieg ein alle rechtlichen und menschlichen Normen verletzendes Kriegsverbrechen sein würde, sondern weil es keine Strategie für den Nachkriegs-Irak und die Stabilisierung der Region gebe. (Quelle: Wikipedia)


Das denkwürdige Interview, das Einblick in die erschreckenden Gedankengänge US-amerikanischer Machthaber erlaubt, fand ich bisher nirgendwo in unseren Leitmedien reflektiert. Auch unsere führenden Politiker lassen weder in Worten noch in ihren Entschlüssen erkennen, dass sie zu den Wissenden gehören. Heute muss sich nun die übrige Welt mit den Folgen dieser menschenverachtenden Politik auseinandersetzen. Das sind nicht nur 60 Millionen Flüchtlinge weltweit, es ist auch die Entwicklung eines sich ausbreitenden islamistischen Terrors bis hin zur Entstehung des IS.


Über die Europa nun erreichenden Flüchtlingsströme schrieb Vera Kämper am 18. Juni im Spiegel online: »In Syrien herrscht Bürgerkrieg, im Irak ist der ›Islamische Staat‹ (IS) auf dem Vormarsch, im Sudan herrscht ein korrupter Machthaber – und die Menschen fliehen.« Und weiter: »Die traurige Liste der Länder, aus denen die meisten Menschen fliehen, führt Syrien an. Damit löst das Bürgerkriegsland, in dem sich auch der IS weiter ausbreitet, Afghanistan ab, das seit mehr als drei Jahrzehnten den Spitzenplatz belegte. Syrien hingegen war vor drei Jahren noch nicht einmal unter den Top-30-Ländern gelistet – so schnell eskalierte die Krise unter Machthaber Baschar al-Assad. Rund 1,11 Millionen Menschen flohen vor Gewalt und Bedrohung aus Somalia. Damit kommen mehr als die Hälfte aller Vertriebenen aus nur drei Ländern.«


Einerseits macht mich das maßlose Elend fassungslos, das sich hinter diesen Zahlen verbirgt, andererseits ist es die unbegreifliche Ignoranz dieser Art von »Berichterstattung«, die die Ursachen verschweigt. Gab es da nicht einen Presse-kodex, der die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit als Basis und eine gründliche Recherche als ein unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt fordert? Kann es tatsächlich sein, dass ausgebildete Journalisten das Clark-Interview nicht zu finden in der Lage sind?


Auch keiner der Großpolitiker benennt die Ursachen für den immer weiter anwachsenden Flüchtlingsstrom, niemand den eigentlichen Verursacher und seine Vasallen. Er wird nur selten demaskiert. Meist bleibt er im Hintergrund. Er inszeniert Aktionen, die gern mit phantasievollen Namen geschmückt werden, aber vor allem der Beseitigung der der US-amerikanischen Geopolitik kritisch gegenüberstehenden Regierungen dienen. Die Farb- oder Blumenrevolutionen, der arabische Frühling, aber auch der Euro-Maidan werden stets und unbedingt als eine revolutionäre Volksbewegung dargestellt, die sich gegen die herrschenden Tyrannen oder Despoten richtet. Anfangs mag tatsächlich Unzufriedenheit mit den Gegebenheiten die Menschen auf die Straße bringen, das ist wohl wahr, aber nirgendwo auf der Welt spielt am Ende eines solchen von außen geschürten Regime Change die Bevölkerung eines der betroffenen Länder noch irgend eine Rolle. Es gibt kein Szenario für die Zeit »danach«, da hatte General Clark mit seiner Kritik an dieser Art Kriegspolitik schon Recht. Nie geht es dabei um die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen dort, immer ist es die Stärkung der geopolitischen Position der einzigen Weltmacht USA und deren Drang nach den Ressourcen. Unsere führenden Politiker wissen das. Aber niemand der europäischen Mächtigen wagt auch nur die Spur der Kritik an der Politik der USA, die ursächlich für die verheerenden Folgen verantwortlich ist. Über die wirklichen Hintergründe herrscht offiziell eisernes Schweigen. Die Folgen aber sind von den Völkern zu bewältigen, die diese europäischen Politiker zu vertreten vorgeben.


Da streiten Staatschefs über Quoten, wie viele Flüchtlinge ein Land aufnehmen sollte. Obwohl wir in einer »Wertegemeinschaft« verbunden sind, wie unsere Kanzlerin gern und oft betont, fühlen sich aber offensichtlich viele den gern zitierten Werten nicht verpflichtet, es sei denn, sie sind in Euro zu messen. Eigentlich, so meinte ich einst, müssten es menschliche Werte sein, aus dem Christentum entlehnt, wie Nächstenliebe, Barmherzigkeit und Hilfsbereitschaft. Dass sich unsere Politiker, trotz beschworener »Wertegemeinschaft« nicht einigen können, ist skandalös.


Und: Es genügt nicht, die aus ihren Heimatländern aufgrund der dort herrschenden lebensfeindlichen Bedingungen zur Flucht Gezwungenen irgendwo irgendwie unterzubringen. Ein Bett in einer maroden Turnhalle, einem leerstehenden Einkaufszentrum oder einer alten Bundewehrkaserne hilft nur für kurze Zeit. Flüchtlinge sind Menschen, soziale Wesen, keine Objekte, die man irgendwo abstellen kann. Es sind Menschen, denen die von außen initiierten Kriege die Existenz genommen und die ihr Leben bedroht haben. Sie sind traumatisiert, auch durch die Flucht. Wo sind die Programme für das »Danach«? Welche Möglichkeiten erhält ein syrischer Flüchtling, außer der, auf seinem Bett sitzen und sich dreimal täglich satt essen zu können? Was tun die Behörden der aufnehmenden Länder, damit sich da keine unkontrollierbaren Parallelgesellschaften entwickeln? Und wie wird die eigene Bevölkerung darauf vorbereitet, mit Menschen aus einer anderen Kultur und mit anderen Lebensweisen auf längere Zeit harmonisch zusammenzuleben?


All das sind gewaltige Aufgaben, und ich weiß nicht, ob sie in ihrer ganzen Dimension bedacht sind und ob es dafür überhaupt tragfähige Konzepte gibt. Ich weiß aber, dass wir diesen Aufgaben nicht gerecht werden können, wenn die Entwicklung so ungebremst weitergeht und es nicht gelingt, die Ursachen für die gegenwärtig weiter zunehmende Fluchtwelle zu beseitigen.