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Titel1919

George Grosz im Käthe-Kollwitz-Museum  (Klaus Hammer)

Es war Eva Grosz, die 1950 ein Wiedergutmachungsverfahren im Nachkriegsdeutschland einleitete – das Vermögen des Ehepaares Grosz war in Hitler-Deutschland beschlagnahmt worden, es war auch der Besitzanteil am Wohnhaus am Savignyplatz in Berlin verlustig gegangen. Fast 300 Werke von Grosz hatten die Nazis aus deutschen Museen entfernt und zum großen Teil vernichtet. Erst der Arzt Rudolf Omansen verhalf durch sein Gutachten, das er nach einer Untersuchung des seelisch wie körperlich geschwächten Künstlers anfertigte, dem Antrag vier Jahre später zum Erfolg. Für die nun einsetzende Freundschaft blieb den beiden Männern nur noch wenig Zeit, denn Grosz starb bereits Anfang Juli 1959. Aber aus ihr gingen bisher so gut wie unbekannte Illustrationen zu einer Geschichte von Omansen hervor, die jetzt erst – 60 Jahre später – von der Büchergilde Gutenberg in einer bibliophilen Ausgabe herausgebracht wurde. Wir haben es hier nicht nur mit der Wiederentdeckung eines grotesken Erzählers, sondern eben auch bei den köstlichen Tuschzeichnungen von Grosz mit dessen letzter Bildfolge zu tun, die er gezeichnet hat und die unser Grosz-Bild wesentlich erweitern wird.

 

Omansens Kurzerzählungen, bei denen es es um Psychosen, Traumata, Erinnerungen geht, zeigen ein additives Bauschema. Mit kühler, distanzierter Präzision wird Geschehen an Geschehen aneinandergereiht. In der Haupterzählung »Das unheimliche Huhn« beobachtet der Leser den grotesken Kampf eines Archäologie-Professors mit einem imaginierten Huhn, das ihm nachts erscheint und Besitz von seiner Existenz ergreift. In kurzem, knappem Stakkato einer Erzähltechnik, die durchweg bei den Symptomen bleibt, wird dem Leser ein grotesk anmutender Vorgang mitgeteilt, unterbrochen von kurzen Einschüben des inneren Monologs, die Aufschluss geben über die jeweiligen Intentionen des Protagonisten. Die Parabel wird weder aufgelöst, noch stehen Indizien für ihre Entschlüsselung bereit. Und doch muss sich Grosz, selbst von Traumata heimgesucht, angeregt gefühlt haben, die Geschichte zu illustrieren. Mit welcher Genugtuung erwürgt der Professor, der die Züge des sich immer wieder in neuen Rollen produzierenden Grosz angenommen hat, sein ihn peinigendes Phantom. Und dennoch habe er, so endet die Geschichte lapidar, »wegen eines schizophrenen Schubes« in die Irrenanstalt eingeliefert, immer nur von einem Huhn gesprochen, »das er scheinbar sehr geliebt habe«.

 

Um diese Illustrationsfolge und die ihr zugrunde liegende Geschichte von Omansen gruppiert sich im Käthe-Kollwitz-Museum eine exquisite Schau von Grosz-Werken aus den letzten amerikanischen Jahren und der knappen Lebensfrist, die ihm nach der Heimkehr nach Berlin noch gegeben war. Immer wieder ist behauptet worden, dass dem exilierten Künstler der kritische Blick, der ihn in den Jahren der Weimarer Republik auszeichnete, verlorengegangen sei. Die klug ausgewählten Werke sprechen eine andere Sprache: Das sind nicht die Beobachtungen eines Satirikers, dem das in Hassliebe verbundene Objekt – das Deutschland zwischen den beiden Weltkriegen – langsam abhandengekommen ist. Ja, Grosz’ amerikanischen Arbeiten fehlte die kontrastreiche Hierarchisierung, das Gegeneinander von Oben und Unten. Es war zu einer Motivveränderung gekommen, die Darstellung der Natur war in den Vordergrund getreten, daneben entstanden Stillleben, eine scheinbare Idylle, andererseits aber eben auch apokalyptische Darstellungen und Bürgerkriegsthemen. Die Bitterkeit, das Groteske richteten sich gegen den Nationalsozialismus und den Faschismus in Europa. Endzeitvisionen in der Nachfolge Bruegels, Boschs und der Welt der Grausamkeiten Goyas entstanden.

 

Die Tuschzeichnung »Apokalyptischer Reiter« hatte er im dritten Jahr des Zweiten Weltkrieges nochmals als Ölgemälde ausgeführt und 1943 das unheimliche Bild »Der Wanderer« vollendet. Es zeigt den Künstler einsam in einer Sturmnacht durch tiefen Morast waten. Grosz schuf Visionen des großen Völkermordens in Europa. Und nach Kriegsende malte er 1946 das surrealistische Bild »Der Höllenschlund«, das ebenso ergreifend ist wie das Gemälde »Friede II«. »Es stellt eine durchlöcherte Welt dar, jedenfalls einen teilweise durchlöcherten Teil einer Traumwelt«, äußerte sich der Künstler. Grosz wurde jetzt zu den zehn bedeutendsten Malern in den USA gezählt. Aber seine Bilder konnte er nicht verkaufen. 1948 zeigte er eine Ausstellung unter dem Titel »The Stick Men« – Insektenmenschen, apokalyptische Protagonisten, die die Gestalt von Spinnen oder Käfern angenommen haben. Es sind Protagonisten des Nichts in Nicht-Landschaften – Ausdruck seines kulturkonservativen Pessimismus. Anfang der 1950er Jahre befand sich Grosz in heller Verzweiflung – Leere, Verdruss, Mutlosigkeit hatten ihn überfallen. So kam es zu zwei Reisen nach Deutschland, auf der zweiten fiel die Entscheidung, endgültig nach Berlin zurückzukehren. Seine Frau Eva drängte darauf, doch auch Grosz resignierte angesichts des flächendeckenden Erfolges des Abstrakten Expressionismus in Amerika. Aber war die Kunstszene in Nachkriegsdeutschland tatsächlich der Figuration zugeneigt, wie Grosz zunächst glaubte?

 

Vorher entstanden in den Staaten noch Collagen in einem postdadaistischen Sinne – sind sie ein Vorgriff auf die Pop Art oder Selbstplagiat? Die Collagen sind grotesk, bruchstückhaft, entlarvend, in »Myself and New York« (1957) führt Grosz sich selbst als Clown und Varietégirl auf, Abgesang auf eine Kunst, die im kapitalistisch-saturierten Großstadtmoloch überflüssig geworden zu sein scheint. Der Künstler spielte als kaleidoskopisches Vexierspiel scheinbarer Selbsterkenntnis auch »Modelle eigenen Verhaltens vor, durch die er zeigte, was für ein Mann der G. G. eigentlich sei«. In »The Painter of the Hole II« (1950) weist der Maler das Ergebnis seines Schaffens vor, eine Leinwand mit einem großen Loch, durch das eine Ratte kriecht.

 

Grosz bleibt ein Mensch in seinen Widersprüchen. Aber seine Zeichnungen durchdringen Zerfall und Düsternis wie Röntgenfotografie und Psychoanalyse. Seine Bildsatire ist beißender politischer Kommentar, karikierte Entblößung und stereotype Verhöhnung – eben auch der eigenen Person. »Meine Bilder sind Zeugen meines inneren Lebens«, bekannte Grosz – und gerade dieser Blick in das eigene Spiegelbild zeichnet die Ausstellung aus.

 

»George Grosz – Das Huhn im Kopf. Verfemung, Trauma und Entschädigung« im Käthe-Kollwitz-Museum Berlin-Charlottenburg, Fasanenstraße 24, täglich 11–18 Uhr, bis 27. Oktober. Begleitpublikation »George Grosz, Rudolf Omansen und ein Huhn« (Büchergilde Gutenberg, 72 Seiten, 28 €).