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Titel2009

Medwedews neue Vollmachten  (Sergej Guk)

»Bombardieren! Wir werden bombardieren!« schrie Wladimir Schirinowskij, Vorsitzender der sogenannten Liberal-Demokratischen Partei, aus vollem Halse. Ein peinlicher Auftritt des politischen Kraftmeiers in der russischen Staatsduma während der ersten Lesung der Novelle zum »Verteidigungsgesetz«. Präsident Dimitrij Medwedew hatte den Entwurf eingebracht. Er wünscht neue Vollmachten für den Einsatz russischer Streitkräfte im Ausland. In bestimmten Situationen will er künftig über Krieg oder Frieden entscheiden dürfen. Der Föderationsrat würde dann erst nachträglich Gelegenheit erhalten, die Entscheidung zu bestätigen oder (theoretisch) abzulehnen.

Können so weitreichende Befugnisse nicht zu Willkür führen? Nicht nur der Abgeordnete Viktor Iljuchin, stellvertretender Vorsitzender des Duma-Ausschusses für die Einhaltung der Verfassung bei der Gesetzgebung, äußerte solche Zweifel. Die Formulierung »Schutz der Bürger der Russischen Föderation im Ausland« scheint ihm zu vage. Ähnliche Fragen stellte Alexandr Konowalow, Leiter des Instituts für strategische Studien: »Wo konkret sollen wir unsere Bürger in Schutz nehmen? Sie leben weltweit von Europa bis Kanada und von den USA bis Neuseeland. Sollen wir etwa eine Division nach Kanada schicken, wenn dort einem unserer Bürger Unrecht geschieht? Oder werden wir auf der (zur Ukraine gehörenden) Krim, wo sich viele Russen niedergelassen haben, Krieg anfangen?«

Nachdem die NATO in den vergangenen Jahren weltweit expandiert ist und vor allem US-Truppen in vielen Ländern stationiert sind, soll durch die Novelle der Einsatzbereich der russischen Armee erheblich erweitert werden. Die Gesetzesvorlage sieht zum Beispiel vor, die Truppen auch »für die Abwehr oder Vorbeugung« einer Aggression gegen einen anderen Staat einzusetzen. Selbstverständlich im Einklang mit der UNO-Charta. Rein theoretisch, so schreibt die Zeitung Kommersant, könnte Rußland sich dann in den heranreifenden Konflikt zwischen Venezuela und Kolumbien einmischen. Die meisten Experten jedoch sind der Meinung, nach Verabschiedung des Gesetzes sei eine radikale Wende in der russischen Außenpolitik nicht zu erwarten. Eher sei die Novelle als ein Signal an die Adresse der mit Rußland nicht gerade befreundeten GUS-Staaten zu verstehen. Sie zeige eben, daß Moskau notfalls seine Interessen außerhalb seiner Grenzen wahrnehmen könne.

Die Vorlage sieht konkret folgende Verteidigungsfälle vor: Schutz der im Ausland stationierten russischen Truppen und Objekte vor einem feindlichen Überfall; Abwehr einer Aggression gegen einen Verbündeten, falls dieser um Hilfe ersuche; Schutz der russischen Staatsangehörigen im Ausland; Bekämpfung von Terroristen oder Piraten und Sicherung ungestörter Schiffahrt. Die Novelle wurde in erster Lesung fast einstimmig (448 von 450 Abgeordneten) angenommen. Mögliche Korrekturen sind in der zweiten Lesung zu erwarten.